u diesem Track geht’s ab, das haben wir im vergangenen Feber auf der p.m.k-Tanzfläche gesehen. Die Leute mochten ihn sofort“, kündigt Johannes Bodner an, während er sein Handy mit dem tragbaren Lautsprecher verbindet. Dann erklingt eine verspielte, leichtfüßige Melodie, die bald in anregende Drum’n’Bass-Höhen emporwächst: ganz einfach, irgendwie zart und dennoch packend, trotz sehr dezenter Lautstärke. „Die Idee dafür kam mir im letzten Sommer im Gehen, während ich meine tägliche Runde machte“, sagt er. Er hielt sie mit dem Sprechrekorder fest. Zeit, um sie auszufeilen und einen Song zu produzieren, hatte er damals nicht. Der Soundtüftler verbringt seine Sommermonate nämlich auf 1.800 Höhenmetern, hütet mit Partnerin Johanna Huter seit drei Jahren mehr als 200 Kühe, Hennen und Pferde. An Wochenenden bewirten sie sogar Gäste.
//Heuer ist auch Baby Jonas mit von der Partie, daher verstärkt Johannas Schwester Valerie das Team. Zum Entspannen kommen Besucher, Almerin und Almer am langen Holztisch vor der Hütte zusammen. Gekühlte Getränke gibt’s aus dem Brunnen in Selbstbedienung. Die Musik wird hie und da von einem „Muh“ aus der Ferne unterbrochen. Einen D’n’B-Track hätte man in diesem Idyll am wenigsten erwartet. Und doch animiert er alle um den Tisch Versammelten zu anerkennendem Mitwippen. Hier lässt es sich gutaushalten.
Die Musik wird hie und da von einem „Muh“ aus der Ferne unterbrochen.
Diese Alm ist anders.
Das Leben auf der Profeglalm in Ellbögen gibt eine ganz eigene Taktung vor, der sich Johannes und seine Familie erfrischend unkonventionell anpassen. Das spiegelt sich unter anderem in ihrem Menü wider, das sie am Wochenende den vorbeikommenden Wanderern bieten.
//Typische Gerichte wie Kaspressknödel und Schnitzel sucht man hier vergebens, stattdessen wird auf echte lokale Qualität gesetzt, und zwar nicht nur als Marketingfloskel. In Ellbögen gibt es keinen einzigen Käseproduzenten mehr, darum fällt diese Zutat weg. Butter, Milch, Wurstwaren, Äpfel, Dinkel und Weizen stammen hingegen aus lokaler Produktion. Auf der Alm backen sie Brot, bauen Gemüse in einem kleinen Gewächshaus neben der Hütte an, sammeln Schwammerln, Zirbenzapfen und Brennnesseln. Daraus entstehen Nudelsaucen, Zirbenzapfenhonig und Brennesselknödel, die den klassischen Spinatknödeln um nichts nachstehen. Dank diesem Konzept müssen nur wenige Lebensmittel zugekauft werden.
//Dass warme Speisen nur am Wochenende serviert werden, stört die Besucherinnen und Besucher längst nicht mehr. Viele finden ihr Konzept sogar sehr gut. Anders ließen sich die Almarbeiten auch nicht erledigen. Für ganz Hungrige stehen freitags angerichtete Jausenteller im Kühlschrank zur Selbstentnahme bereit, die Zahlungsmoral der Selbstbediener ist gut.
So kann das Almteam seine Runden machen, ohne im Anschluss sofort in die Küche sprinten zu müssen – und die Wanderer sind froh, dass es etwas gibt. Die meisten Hirten bieten selber gar keine Speisen und Getränke an, Almwirtschaft und Gastronomie sind getrennte Bereiche.
Tausche Kopf- gegen Handarbeit.
Johanna ist den Rest des Jahres Kulturmanagerin, Yogalehrerin, Theater- und Sozialpädagogin. Gemeinsam mit Johannes hat sie 2012 den Verein Kunsttransport für transmediale Veranstaltungen und Aktionen im öffentlichen Raum gegründet. Eine davon hieß „Futurama“ und fand in Innsbruck, Hall, Lienz und Reutte statt: Sie umfasste eine pinke Wunschbox mit Telefonhörer und Anrufbeantworter, worauf das Publikum je zwei Wochen lang Antworten zu ernsten und weniger ernsten Zukunftsfragen sprechen konnte, von „wie schnäuzt man sich in der Zukunft“ bis „wie sieht deine Welt in 50 Jahren aus“. Die dadurch gesammelten, mitunter auch sehr kreativen Liveaufnahmen flossen in eine Performance in allen vier Städten ein, die die 30-Jährige kuratierte.
//Den Soundtrack dazu produzierte Johannes unter seinem Solokünstlernamen Subtape. Als Schlagzeuger in der Live-Drum’n’Bass- und Dubstep-Band beat.sem-pres, die in den Nullerjahren die Alternativbühnen Tirols und Österreichs bespielte, führt er gemeinsam mit dem Bassisten Max Arnold das Bandprojekt als Duo weiter.
Aus Schwammerln, Zirbenzapfen und Brennnesseln werden Saucen, Honig und Knödel gemacht.
Eine Zeit lang waren sie auch regelmäßig als DJs im Project zu Gast. Heute lebt Max in Wien, die Zusammenarbeit ist nun eine Fernbeziehung. Sie spielen ihre Instrumente in Eigenregie live ein, tauschen sich laufend darüber aus, verfeinern die Klänge am Computer und legen auch manchmal auf. „Konstant, aber ohne Druck, wir haben kein Label. Sobald wir aber genug Songs zur Auswahl haben, könnten wir sie schon auf Platte pressen“, erzählt Johannes. Das würde Genrefans gewiss freuen.
//Wie kam es dazu, dass Johanna und Johannes ihre Sommer auf der Alm verbringen? „Ich sehe die Alm als Ergänzung zur Kopfarbeit“, erklärt die Komparatistin. „Einfach mal was Direktes machen, produzieren und konkrete Ergebnisse sehen. Hier auf der Alm habe ich zum Beispiel auch mit dem Käsen angefangen.“ Johannes sieht das genauso. Der 35-Jährige ist Ergotherapeut: „Die Arbeit mit schwerbetroffenen Kindern, die kaum ihren eigenen Kopf halten können, hat sehr feindefinierte Ziele, und die können auch sehr belasten“, erklärt er. Die Alm bedeutet Gegensatz und Ausgleich dazu: „Wenn ich einen Zaun machen muss, ist die Aufgabe klar, absehbar und in kurzer Zeit erledigt.“
Lange Wege für Mensch und Tier.
Um das gepachtete Gebiet von ca. 1.200 Hektar besser überwachen zu können, wurde es in zwei Hälften unterteilt. Das Vieh, vorwiegend Jungtiere, Trächtige und Mutterkühe mit Kälbchen, hält sich in den ersten Wochen im unteren Bereich auf, der auch motorisiert erreichbar ist. Später im Sommer werden sie in die obere Hälfte geholt, die das Hirtenpaar nur zu Fuß erreicht. Die Almsaison beginnt bereits im Mai mit diversen Vorbereitungsarbeiten, im Juni werden die Tiere von 25 Bauern aus der Umgebung aufgetrieben. Dort bleiben sie bis September. In dieser Zeit lernen Johanna und Johannes jede charakterliche Eigenheit aller 200 Schützlinge kennen. Um sie zu hüten, ist ein Holzstock dennoch unabdingbar: „Man muss immer bedenken, dass Kühe ein spezielles Sehvermögen haben, und wissen, wie man sich ihnen richtig nähert, um sie sauber mit dem Stock zu lenken. Sie zu schlagen, ist aber nie notwendig“, weiß der gebürtige Haller.
//Johannes kennt das landwirtschaftliche Umfeld von klein auf, die eigentliche Almarbeit lernte er aber erst mit 21, als er seinen ersten Sommer mit zwei Freunden auf dem Berg verbrachte.
Es war ein Sprung ins kalte Wasser, aber dank gezielter Vorbereitung ging alles gut. „Damals haben wir eine regelrechte Welle losgetreten. Viele Freunde kamen zu Besuch und zogen im Folgejahr selber auf andere Almen“, erzählt er.
//Die Arbeit ist nichts für Bewegungsmuffel: Das Almgebiet muss täglich abgegangen werden, um die Tiere zu zählen und Salz und Kleie zu verteilen. Die Wege führen querfeldein, müssen zwischen dem Paar aufgeteilt und im Alleingang absolviert werden – eine Arbeit, die bis zu fünf Stunden in Anspruch nimmt. Johannes wollte es genau wissen und hat seine Runde getrackt: 9,5 Kilometer mit 800 Meter Höhenunterschied ist sie lang. Gehen muss er sie sieben Tage die Woche, bei jedem Wetter.
//Ich merke schnell, wie sich der Körper verändert. Die Arbeit kann zehrend sein, aber gerade diese Kontinuität wirkt sich positiv aus. Als könnte ich Energie speichern“, ist er überzeugt. Außerdem würden dabei viele Ideen für Songstrukturen entstehen. Diese werden festgehalten, um sie dann später umzusetzen. „Ich kenne auch andere Hirten, die Musik machen. Vielleicht hilft die harte Arbeit, sich von bestimmten Sachen zu lösen. Das sollte mal jemand untersuchen“, sagt er und lächelt.
9,5 Kilometer mit 800 Meter Höhenunterschied ist die tägliche Runde lang.
Mehr Infos zu Johannes und Johannas Projekten gibt’s unter:
kunsttransport.co.at