ergangenen Winter fährt C. mit Freunden von einer Feier nach Hause. Unterwegs werden sie angehalten: Polizeikontrolle. Papiere werden verlangt. Personalien überprüft. Dann sehen sich die Beamten den 20-Jährigen und das Auto ein wenig näher an. Und sie werden fündig. „Für mich war das eigentlich gar nicht so viel“, meint C. „Ich hatte genug Gras für knapp zwei Wochen dabei.“ „Viel“ oder „wenig“ ist subjektiv. Die Waage spricht aber eine deutliche Sprache: 50 Gramm zeigt sie an. Es folgt die Anzeige, dann die Gerichtsverhandlung. C. wird unter anderem der Dealerei beschuldigt – ein Verdacht, der sich nicht erhärtet. Dementsprechend kommt er halbwegs glimpflich und ohne Gefängnisstrafe davon. Doch das Gericht hat Auflagen: In Anbetracht seines durchschnittlichen Tageskonsums von fünf Gramm und mehr muss er sich regelmäßigen Drogentests unterziehen – ebenso wie einer Therapie.
Individuell problematisch.
Darüber, ob Cannabis süchtig macht, wird diskutiert. Experten und aktuelle Studien sprechen dem „Gras“ durchaus gewisses Suchtpotenzial zu – auch körperlich. Doch egal, ob die Abhängigkeit nun physisch, „nur“ psychisch oder vielleicht doch gar nicht existiert: Daran, dass das Kiffen problematisch werden kann, herrscht kein Zweifel.
//„Aber ab wann der Konsum bedenklich wird, lässt sich nicht allgemein sagen“, meint Gerhard Jäger. „Das ist von Person zu Person verschieden.“ Der Drogenberater leitet seit diesem Jahr gemeinsam mit seinem Kollegen Manuel Hochenegger ein neues Therapieangebot der Drogenarbeit Z6. In einer Therapiegruppe helfen sie Cannabis-Usern dabei, ihren Konsum in den Griff zu bekommen. Dabei steht das Gemeinsame im Vordergrund: Erfahrungsaustausch und gegenseitige Unterstützung sollen Motivation bieten.
Reduktion statt Abstinenz.
Der Therapieansatz stützt sich auf das weit verbreitete CANDIS-Prinzip. Anders als dabei eigentlich vorgesehen wird aber nicht einzeln, sondern gemeinsam therapiert. Und im Z6 geht es auch nicht darum, das Kiffen komplett aufzugeben. Stattdessen ist ein regulierter Konsum das Ziel – jeweils in einem individuell angepassten Maß. „Problematisches Verhalten kann man nicht an einer Menge festmachen“, meint er. „Ein guter Indikator ist aber die Frequenz.“ Denn wenn täglich zum Joint oder zur Bong gegriffen wird, dient die Droge in der Regel nicht nur mehr dem reinen Genuss. Und wenn das Rauchen so eine wichtige Rolle im Alltag einnimmt, dass andere Dinge wie Job, Studium oder Hobbys in den Hintergrund treten, wird es Zeit zu handeln.
Immer mehr.
Diese Schwelle hatte C. lang überschritten. „Als ich erwischt worden bin, habe ich seit rund sechs Jahren gekifft“, berichtet er. „Und seit 18 eigentlich täglich.“ Zu den Joints am Abend kam bald die Bong, die den Konsum noch einmal in die Höhe trieb. Und schließlich begann er auch untertags zu rauchen – inklusive Bongs während der Arbeitszeit. „Im Moment fällt dir gar nicht auf, dass es immer mehr wird“, meint er. „Aber im Nachhinein betrachtet war das schon verdammt viel.“
//Die Verkehrskontrolle hatte nicht nur für C. Konsequenzen. Auf seinem Mobiltelefon fanden die Ermittler Konversationen, Kontaktdaten und nicht zuletzt Bilder:
F., ein guter Freund von C., hatte ihm Fotos seiner vier Hanf-Pflanzen geschickt. „Als die Polizei vor der Tür gestanden ist, gab’s die Pflanzen zum Glück nicht mehr“, meint er. „Dafür haben sie aber 60 Gramm Haschisch bei mir gefunden.“ Mit bis zu drei Gramm pro Tag war F.s Konsum zwar nicht ganz so hoch wie der von C. – „wenig war das aber auch nicht. Alles in allem hat mich das Kiffen in den letzten beiden Jahren rund 20.000 Euro gekostet“, schätzt er. Erschwerend zu den Ausgaben kam, dass er oft wochenlang einfach nicht zur Arbeit kam. Dementsprechend gab es auch für F. die richterliche Auflage: ab zur Therapie.
Gemeinsam.
Erst nahmen die beiden am regulären Angebot der Drogenarbeit Z6 teil.
Als Gerhard Jäger auf die Anregung eines Klienten die erste Therapiegruppe ins Leben rief, waren sie gleich mit an Bord. „Mit anderen, die aus dem gleichen Grund da sind, zu reden, war eine extrem coole Erfahrung“, meint C. „Im Austausch erkennt man viel schneller die eigenen Verhaltensmuster“, pflichtet F. bei. „Man wird sich des eigentlichen Problems noch viel mehr bewusst, wenn andere davon erzählen.“
CANDIS ist ein verhaltenstherapeutischer Ansatz. Im Kern geht es darum herauszufinden, warum und wann das Bedürfnis zu rauchen besonders groß ist. Darauf aufbauend können dann Strategien entwickelt werden, um mit solchen Situationen anders umzugehen.
„Nur Abstinenz zu predigen, bringt unserer Meinung nach nichts. Die meisten wollen nicht aufhören, sondern den Konsum so weit einschränken, dass er mit ihrem Alltag vereinbar ist.“
Gerhard Jäger, Drogenarbeit Z6
Neustart
Das CANDIS-Gruppentherapie-Projekt im Z6 geht am 11. Oktober 2017 in die zweite Runde. Diesmal werden voraussichtlich acht Therapieplätze angeboten. Aktuell werden noch Teilnehmer gesucht. Wer Interesse hat, kann sich anonym und kostenlos unter 0680/30 66 075 anmelden.
Mut machen.
„Motivation ist immer ein Problem“, meint Jäger. Und das ist auch der Grund, warum die Drogenberater mit zwei Regeln von CANDIS brechen. „Nur Abstinenz zu predigen, bringt unserer Meinung nach nichts. Die meisten wollen nicht aufhören, sondern den Konsum so weit einschränken, dass er mit ihrem Alltag vereinbar ist.“ Würden die Berater das komplette Aufhören verlangen, würden sie deutlich weniger Klienten ansprechen – und damit auch vielen die Hilfe verweigern, die sie eigentlich wollen.
//Das Problem in der Gruppe anzugehen, schafft vor allem Motivation. Die Klienten können sich gegenseitig bestärken und ermutigen. Außerdem bekämpfen die Therapeuten so Feuer mit Feuer: „Cannabis-Konsumenten sind meist unter sich.
Und wer viele Kiffer im Freundeskreis hat, fühlt sich oft belächelt, wenn er weniger rauchen oder gar aufhören möchte. In der Therapiegruppe ist das genau andersherum.“
Gegenseitig im Auge.
C. und F. haben die zehn Sitzungen dauernde Gruppentherapie inzwischen abgeschlossen und sind mehr als zufrieden. „Ja, wir kiffen beide noch“, meint C., „aber nur noch am Wochenende – zwei bis drei Joints die Woche.“ Dazu kommen eventuelle „Ausrutscher“, die im Therapieprogramm vorgesehen sind. Anstatt darin ein Versagen zu sehen, werden sie teilweise eingeplant. Gibt es einen Anlass, ist die bewusste Entscheidung, sich dann mehr zu erlauben, deutlich konstruktiver, als sich danach mit dem Gefühl des Scheiterns herumschlagen zu müssen.
Dafür, dass daraus nicht mehr wird, sorgen sie gegenseitig. „Wir rauchen fast nur gemeinsam und haben einander im Auge“, meint F. „Das ist gleich wie in der Gruppe. Etwas gemeinsam anzugehen macht Mut.“ Dass es so gekommen ist, wie es gekommen ist, war im Nachhinein gut, meint er. „Die Watsche war wohl notwendig. Und das Timing mit der Therapie war perfekt.“ Als der Stress der Gerichtsverhandlung vorbei war, konnten sich die beiden voll auf ihren problematischen Konsum konzentrieren.
//Mittlerweile profitieren nicht nur C. und F. von der Therapie. Auch in ihrem Freundeskreis macht die Tendenz zur Reduktion mittlerweile die Runde. „Wir haben wohl ein wenig gezeigt, dass es geht“, meint C., „und am Schluss ist es ja wirklich so, dass ein Joint reicht. Fetter als fett kann man eh nicht werden.“
Reduktion in Eigenregie
Wer selbst versuchen möchte, seinen Konsum besser zu regulieren, sollte:
1. Konsumtagebuch führen – Wer festhält, wann wie viel gekifft wird, erkennt eher, ob der Konsum problematisch ist und ob es Muster gibt, die man ändern kann.
2. Mit Ritualen brechen – Wenn immer in derselben Situation gekifft wird, kann es helfen, genau diesen Moment zu vermeiden oder umzugestalten.
3. Konsumfreie Tage einführen – Vor allem, um tägliches Kiffen einzuschränken, kann als erster Schritt ein Tag, an dem nicht geraucht wird, hilfreich sein.
4. Konsummethode ändern – Wer zur Bong greift, raucht in sehr kurzer Zeit eine sehr große Menge. Joints schränken den Verbrauch bis zu einem gewissen Grad ein.
5. Ausrutscher erlauben/einplanen – Gelingt es nicht, sich an einen Vorsatz zu halten, ist das kein Versagen. Wer weiß, dass bei
einem Anlass mehr gekifft wird, sollte sich das eher bewusst erlauben, als es als Misserfolg zu werten.
6. Hilfe suchen – Drogenberatungen wie die des Z6 bieten unkomplizierte, kostenlose und vor allem anonyme Hilfe für alle, die sich einschränken oder aufhören wollen.