Öffentlicher Mehrwert oder: Da war doch was?!
Als das Projekt Pema 2 am 22. Jänner 2013 von Pema-Chef Markus Schafferer, Christine Oppitz-Plörer – damals Bürgermeisterin, heute Stadträtin ohne Amtsführung – und Gerhard Fritz – damals Planungsstadtrat, heute derweil als Gemeinderat offiziell beurlaubt – präsentiert wurde, waren die Pläne noch groß, wie ein Bericht in der Tiroler Tageszeitung vom 23. Jänner 2013 zeigt: Die Rede war von einer öffentlich zugänglichen Terrasse mit 2.000 m2 und einer dreigeschossigen Tiefgarage mit 200 Stellplätzen.
//Im Sockel sollte ein Einkaufszentrum „im Premiumsegment“ entstehen, im Turm Wohnungen und Büros Platz finden – ein Mix aus Studentenwohnungen und hochwertigen Einheiten. Baustart: Ende 2013 (daraus ist übrigens 2016 geworden), Investitionsvolumen: 45 Millionen Euro.
//In einem weiteren Bericht aus der TT vom 15. Mai 2014 klang das dann so: „Gefüllt werden soll das knapp 60 Millionen Euro teure Gebäude mit einem Einkaufszentrum im zweigeschoßigen Sockel, einer öffentlichen (Kultur-)Plattform samt Gastronomie und im Turm selbst mit rund 90 Wohnungen.“
Galerie, Stadtmodell, Gründerzentrum.
Am 21. Juli 2015 fasste der Stadtsenat einstimmig den Grundsatzbeschluss, 3.600 m2 im Pema 2 zu mieten. Untergebracht werden sollten dort die Stadtbücherei, die Andechsgalerie, das Stadtmodell und ein Gründerzentrum.
//Die Miete sollte 59.500 Euro pro Monat betragen. Dazu Planungsstadtrat Gerhard Fritz in der TT vom 22. Juli 2015: „Wir wollen den Mietpreis natürlich noch runterdrücken.“ Im selben Artikel ist von Pema-Chef Markus Schafferer zu den Mietkosten nachzulesen, dass der Preis eigentlich mit 14,50 Euro pro Quadratmeter budgetiert war, man der Stadt schon entgegengekommen sei: „11,50 Euro sind das untere Ende der Fahnenstange“ – aber dazu später mehr.
Die Kosten oder: Liest du schon oder mietest du noch teuer?
Angekauft wurden eine gut 4.000 m2 große Fläche um 16,6 Millionen Euro von der IIG. Mit der Ausstattung der Bib hat die Stadt insgesamt 18,7 Millionen Euro reingesteckt. Um diesen Ankauf zu refinanzieren, mietet die Stadt die Bib nun von der IIG – um 90.000 Euro pro Monat. Immerhin – so die Argumentation der Befürworter des Deals, allen voran Christine Oppitz-Plörer – wird so Eigentum geschaffen.
//In 25 Jahren besitzt die Stadt Innsbruck also einen Teil eines Gebäudes. Die Bibliothek wird allerdings auch zu diesem Zeitpunkt keinen Gewinn abwerfen, sondern weiterhin kosten. Was für eine öffentliche Einrichtung absolut in Ordnung ist. Diesen Umstand aber als Argumentation auf der Habenseite anzuführen, ist nicht ganz schlüssig. Und noch zum Nachdenken: Für „ihre“ 4.000 m2 hat die Stadt 16,6 Millionen Euro Steuergeld im Edelrohbau bezahlt, das gesamte Gebäude mit 19.000 m2 hat rund 60 Millionen Euro gekostet. Man muss kein Betriebswirtschaftler sein, um zu verstehen, dass hier mit dem Einsatz von Steuergeld einer privaten Firma ein Riesenprojekt erst ermöglicht wird.
Pema-2-Chronologie
22. Jänner 2013:
Projekt wird vorgestellt
24. Oktober 2013:
Flächenwidmungsplan mit 22:12 Stimmen (sechs Enthaltungen) beschlossen
21. Juli 2015:
Stadtsenatsbeschluss
27. Jänner 2016:
Grundsatzbeschluss Gemeinderat
10. Mai 2016:
Die Verhandlungen sind abgeschlossen
19. Mai 2016:
Gemeinderat segnet die Verträge mit 23:17 Stimmen ab
28. Juni 2016:
Offizieller Baustart Pema 2
9. November 2018:
Die Stadtbibliothek wird eröffnet
Das Kontrollamt kritisiert mehrere Aspekte des Projekts.
Kritik des Kontrollamts oder: Aus 90 mach 173
Mit dem Pema 2 bzw. mit der Stadtbibliothek hat sich auch das Kontrollamt beschäftigt – und mehrere Aspekte des Deals kritisiert. Zum Beispiel die Anzahl der Wohnungen: Ursprünglich waren 90 geplant, 2015 waren es dann 120 und im Frühjahr 2016 erst 132 und dann 173 Wohnungen.
//Um diese auch unterzubringen, wurde ein zusätzliches Stockwerk gebaut – und zwar durch eine „kompaktere Bauweise“, der Turm ist also deswegen nicht höher geworden. Wäre der Turm höher geworden (als ursprünglich genehmigt und vom Gemeinderat abgesegnet), hätte sich damit die Fassade geändert, wodurch das Projekt neu verhandelt und abgesegnet hätte werden müssen. Und damit sind wir beim nächsten Punkt.
Der Umgang mit diesen Änderungen:
Der Kontrollamtsbericht hält weiter fest: Am 25. Jänner 2016 liegt das finale Angebot der Pema Gruppe an die Stadt auf dem Tisch: 4.095 Euro pro Quadratmeter für 4.060 m2. Das sind 105 Euro pro Quadratmeter weniger, als noch am 15. Jänner 2016 angeboten wurden. Dieses Angebot hat der Gemeinderat am 27. Jänner 2016 mit 23:17 Stimmen abgesegnet.
//Ebenfalls am 25. Jänner 2016 schickt das Amt für Stadtplanung eine E-Mail an die Präsidiale im Magistrat und weist darauf hin, dass die Änderungen – das zusätzliche Stockwerk und die zusätzlichen Wohnungen – gegen den Projektsicherungsvertrag verstoßen und ein „Missverhältnis von Wohnungen zu notwendigen Nebenanlagen“ und einen Qualitätsverlust bedeuten würden. Das Amt empfiehlt daher, dass diese „zuwiderlaufenden Projektänderungen“ nicht durchgeführt werden sollten.
Verantwortung Auftritt Planungsstadtrat
Gerhard Fritz (Grüne): Einen Tag später, am 26. Jänner 2016, meldet sich der damals zuständige Stadtrat Gerhard Fritz und erklärt, er könne den Empfehlungen des Amts „politisch nicht folgen“, unter anderem weil sich durch die Änderungen die Konditionen für die Stadt – sprich der verringerte Preis – verbessert hätten. Auftritt Bürgermeisterin Christine Oppitz-Plörer (FI): Dasselbe Argument bringt Oppitz-Plörer in einer Besprechung mit dem Vorstand der Präsidiale und empfiehlt laut Bericht „der Forderung der Stadtplanung in dieser Angelegenheit nicht nachzukommen“.
Was sagt das Kontrollamt dazu?
Das Kontrollamt zeigt sich „verwundert“, dass die Empfehlungen des zuständigen Amts (also da, wo die Expertinnen und Experten sitzen) ignoriert wurden, das veränderte Projekt lediglich im Bauausschuss besprochen wurde, dort die Änderungen am Projektsicherungsvertrag selbstständig behandelt bzw. mit den Stimmen von FI und den Grünen – und gegen die Stimmen von SPÖ und ÖVP – durchgebracht wurden. Nach Meinung des Kontrollamts hätten die Änderungen „zumindest die Zustimmung des Stadtsenats“ gebraucht.
Zahlen Zur neuen Bib, bitte!
Bücher und Medien
Ca. 55.000 bei Beginn
72.613 am 10. Oktober 2019
150.000 geplant für die kommenden Jahre
7.754 Nutzer bei der Eröffnung
14.526 Nutzer am 10. Oktober 2019
Besuche vom 9. November 2018 bis 10. Oktober 2019: 132.164
Mitarbeiter
Colingasse (alter Standort): 9 Mitarbeiter
Amraser Straße: 27 Mitarbeiter
Viele Wohnungen stehen leer, andere werden auf Airbnb vermietet.
Der nicht geschaffene Wohnraum oder: Papa, kaufst ma a Wohnung?
„Young urban living“ prangt in goldenen Lettern am Pema 2. Eine fast schon zynische Ansage bei diesen Preisen: 2 Zimmer, 59 m2, 1.250 Euro Warmmiete. Davon abgesehen, ist auch bekannt, dass viele davon leer stehen bzw. auch auf Airbnb zu finden sind. Am 19. Oktober berichtete die Tiroler Tagezeitung von einem Investor aus Garmisch, der um rund 1,4 Millionen Euro drei Wohnungen im Pema 2 gekauft hat, die man über Airbnb nun um rund 50 Euro pro Nacht mieten kann.
Keine Aufwertung oder: Da fährt der Zug darüber
Eine Aufwertung des Stadtteils sollte mit der neuen Stadtbibliothek geschaffen werden. Als „größtes Wohnzimmer“ der Stadt mag die Bib funktionieren, ein konsumfreier Raum, an dem noch dazu Bücher, Magazine und andere Medien zur Verfügung stehen, ist unangefochten eine gute Sache. Der Pema 2 ist aber trotzdem neben dem Frachtenbahnhof, die Wege dorthin sind dadurch auch nicht schöner geworden. Mit öffentlicher Terrasse, Gastronomie oder Einkaufsmöglichkeiten hätte der Stadtteil sicher mehr gewonnen – ob diese jemals realisiert werden, ist nicht klar, im Moment schaut’s aber nicht danach aus.
Brauchen wir das? Oder: Ein paar Bibs hatten wir schon
Diese Frage ist nicht einseitig zu beantworten. Der Wert einer Bildungseinrichtung darf und muss hoch eingeschätzt werden. Wenn es aber um den Einsatz von Steuergeldern geht, sollte die Frage nach dem Bedarf immer eine wesentliche Rolle spielen. Die Uni- und Landesbibliothek hat acht Standorte in der Stadt, die Bücherei der AK Tirol umfasst 45.000 reale Medien, mehr als 53.700 digitale Titel – eines der größten Angebote österreichweit – übrigens gratis.
Umgeblättert –
ein Blick auf die andere Seite
Man soll ja ein Buch nicht nach seinem Einband beurteilen. Die neue Stadtbibliothek wird fast ausschließlich auf die politische Debatte reduziert, 6020 hat auch die andere Seite angeschaut und mit einer langjährigen Mitarbeiterin gesprochen.
3 Fragen an Veronika Rieser
Seit 15 Jahren Bibliothekarin in der Stadtbibliothek
6020: Was hat sich für Sie mit dem Umzug geändert?
Veronika Rieser: Die Stadtbibliothek ist in ihrer Geschichte zum ersten Mal sichtbar. Dadurch wird auch neues, vor allem jüngeres Publikum angesprochen. Es ist eindeutig bemerkbar, dass das Gebäude von Beginn an als Bibliothek geplant war. Das erleichtert die tägliche Arbeit ungemein. Endlich müssen wir vor und nach Veranstaltungen keine Regale mehr verschieben!
Werden die Lese- und Arbeitsplätze in Anspruch genommen?
Ausgesprochen gut und das von Anfang an. Es gibt Zeiten, zu denen kein einziger Platz frei ist. Das haben wir in diesem Ausmaß nicht erwartet. Dabei sind alle Gesellschaftsschichten und Altersgruppen vertreten. Insbesondere fällt uns auf, dass viele Schüler und Studenten sowie Lerngruppen Zeit bei uns verbringen. Immer wieder wird nach längeren Öffnungszeiten gefragt.
Wie geht es Ihnen mit der Kritik an der neuen Stadtbibliothek?
Man muss versuchen, die Kritik nicht persönlich zu nehmen. Das fällt allerdings manchmal nicht leicht, weil die Bibliothek und das ganze Gebäude von manchen in einen Topf geworfen werden. Die Bibliothek wurde von Anfang an sehr gut angenommen.
Vielen Dank für das Gespräch.