Wir empfehlen
NOVEMBER 2017

Wo ein Willi ist

Noch ist weder die Trauerarbeit vollbracht noch die Aufräumarbeit getan. Doch schon droht den Grünen die nächste Schicksalswahl. Ungeachtet des niederösterreichischen Vordrängens und der Größe des Wiener Umlands spielt Tirol die Hauptrolle in einem Fünf-Etappen-Rennen. Für die 31 Jahre lang bundespolitisch zwar nicht stärkste, aber inhaltlich wichtigste Oppositionspartei geht es um das regionale politische Überleben als Regierungskraft in Stadt und Land. Ihr Hauptaugenmerk muss Innsbruck gelten.

D

as, was fehlt“ bringt angeblich nun addendum.org, die Website gewordene Erwiderung auf „Quo vadis veritas?“. Am 25. September ist diese Rechercheplattform mit Hintergrundartikeln zu „Asyl“ gestartet. Seitdem versuchen auch schon Dossiers zu Terrorismus, Glücksspiel, Demokratie und Staat die hehre Frage „Wohin gehst Du, Wahrheit?“ zu beantworten. Noch waren die Grünen hier kein eigenes Thema. Wenn diese ein Addendum wert sein sollten, wäre das schon ihre dritte Gemeinsamkeit ausgerechnet mit Dietrich Mateschitz, dem Finanzier von QVV (so die Abkürzung für seine Medienstiftung Quo Vadis Veritas). Die bereits vorhandenen Schnittmengen liegen im grundsätzlich bedeutungsschwangeren Anspruch und der Selbsteinschätzung: „Das, was fehlt.“ Zu Letzterem haben die grünen Routiniers eine mindestens so vielfältige Beziehung wie der Red-Bull-Milliardär mit seinem jüngsten Start-up. Heute fehlt ihnen vor allem Geld, aber seit 1984 wird ihnen von Wahl zu Wahl bestätigt, dass ohne sie etwas fehlt – im demokratiepolitischen Gesamtkunstwerk Österreich. Das können sie zumindest bis 2021 sogar als Regierungspartei beweisen.

// 

In Wehmut um ihren aktuellen Rauswurf aus dem Nationalrat, in den sie vor 31 Jahren eingezogen sind, geraten vor allem die regionale Geschichte und Gegenwart dieser Ökopax-Zeugung zu Unrecht aus dem Blickwinkel. Das begann mit Kaspanaze Simma in Vorarlberg und endet frühestens mit Rudolf Anschober in Oberösterreich. Der eine brachte dort 1984 als Spitzenkandidat der Alternativen Liste (ALÖ) ein Wahlbündnis mit den Vereinten Grünen (VGÖ) auf Anhieb mit 13 % und vier Mandaten in den Landtag zu Bregenz. Der andere ist aufgrund des Proporzsystems sowie 2015 immerhin 10 % der Stimmen und sechs Sitzen noch bis zur nächsten Wahl in der Landesregierung zu Linz. Wenn alle Stricke reißen, ist der Worst Case der Grünen also ein Jahr ohne Regierungsverantwortung in Österreich – falls die kommende Koalition die Legislaturperiode planmäßig bis 2022 übersteht. Denn Oberösterreich, das Bundesland mit den wenigsten Wahlen, hat noch nie eine solche vorgezogen.

Der multiple Geburtsjahrgang 1986.

Dennoch wird der in der Nachwahlwoche gewonnene Fünffach-Jackpot im Lotto manch Grünen an das Jahr 1986 zurückdenken lassen. Es markiert nicht nur den Einzug ihrer mühsam fusionierten Partei in den Nationalrat, sondern ist auch das Geburtsjahr von Sebastian Kurz und 6 aus 45. Und im Gegensatz zum Glücksspiel sind die Grünen offenbar kein wirklicher Fixbestandteil der österreichischen Nationalkultur. Das liegt beim Lotto wie in der Partei auch an der Vermarktung. Dass Peter Pilz nach 31 Jahren erneut ins Parlament kommt, ist ein Indiz dafür. Der Veteran zeigt aber auch, dass die Weiterentwicklung der Inhalte nicht lapidar als ungehörige Populismus-Abweichung abgetan werden kann. Das Marketing ist leichter erlernbar als die programmatische Anpassung  an neue Verhältnisse.

Phönix aus der Asche? Wie dies gelingen kann, zeigt in Deutschland die FDP.

 

Um bundesweit zu überleben, müssen die Grünen umgehend von Selbstmitleid zum Handlungsmodus umschalten. Das bedeutet nicht nur die Verteidigung ihrer Landesregierungsbeteiligungen in Innsbruck, Klagenfurt und Salzburg. Es heißt vorerst Blickpunkt St. Pölten. Während in Tirol am 25. Februar, in Kärnten am 4. März und in Salzburg wohl erst im April der Landtag gewählt wird, hat Niederösterreich sich schon auf den 28. Jänner vorgedrängt. Johanna Mikl-Leitner wird bei ihrem ersten Antreten versuchen, ganz türkis den Kurz-Schwung mitzunehmen. Für die Grünen hingegen ist dieses Umland von Wien mit einem Fünftel der österreichischen Wahlberechtigten nach dem Burgenland und der Steiermark die größte Sorgenregion. Wie die FPÖ starten sie hier von der Ausgangsposition 8 %. Doch während die Blauen zumindest mit Verdoppelung rechnen, müssen die Grünen eine weitere Demütigung fürchten.

Die Erwin-Pröll-Vermächtnis-Wahl. 

Auch wegen der erhofften Bundessogwirkung auf das Land mit den meisten Wahlberechtigten werden die schwarz-blauen Verhandler in Wien versuchen, spätestens zu Dreikönig handelseins zu sein – als Turbo für eine Erwin-Pröll-Vermächtnis-Wahl.

Wenn die Grünen nicht im Nu zur Aufbruchsstimmung wechseln, droht das Verlierer-Image an ihnen haften zu bleiben – mit wachsendem Verlustpotenzial: 12 % in Kärnten, 13 % in Tirol, 20 % in Salzburg. Zu allem Überdruss steht dann am 22. April und am 6. Mai in Innsbruck auch die Chance von Georg Willi als ihrem ersten Bürgermeister überhaupt auf dem Spiel. Denn trotz städtischer Stärke stellen die Grünen in Österreichs 2.100 Gemeinden noch kein Oberhaupt.

// 

Diese paradoxe kommunale Schwäche einer einerseits aus Bürgerinitiativen und andererseits aus zwei ideologisch gegensätzlichen Listen – ALÖ und VGÖ – geformten Partei zeigt, wo die Grünen ansetzen müssen. Falls infolge Schwarz-Blau im Bund die SPÖ nach links rückt, wird in jener Mitte Platz frei, von wo die ÖVP nach rechts gezogen ist. Neben einer Neujustierung der Position benötigt es aber mehr Tiefe in der Organisation. Der Heimatzug aufs Land, den Alexander van der Bellen begonnen hat, ist ohne Alternative. Die Wiederauferstehung als Bundespartei benötigt die Verwurzelung in den Gemeinden.

Per Reueeffekt zum Phönix aus der Asche. 

Phönix aus der Asche?