„Meine Gefühlswelt ist sehr aktiv – ich kann sie nicht abstellen.“
icht nur ihr Songwriting, auch ihre Stimme und ihre Message sind herausragend gut. Ich bin stark davon überzeugt, (…) dass man die junge Dame am Klavier unbedingt mal live erlebt haben muss.“ Diese lobenden Worte stammen vom Innsbrucker Singer-Songwriter Jo Stöckholzer und gelten einer jungen Frau namens Julia Pörnbacher, Liedermacherin und Sängerin, die als solche mit Künstlernamen Juliet auftritt. Sie ist 19 Jahre alt, trägt Tattoos und langes dunkles Haar. Ihr Zimmer ist dank Hochbett auch ihr Musikzimmer – mit Gitarre, Klavier und Fahnen einiger Nu-Metalbands. Wer Juliet auf den ersten Blick in die „harte Schale – weicher Kern“-Schublade stecken will, wird bald eines Besseren belehrt.
Sie ist fröhlich und offen, kann aber auch emotional und düster sein.
Suche nach dem Selbst.
Juliet spielt klassisch Klavier und Saxophon. Stimmbildung für Jazz und Popularmusik macht sie auch. „Ich wollte schon immer Sängerin werden, Musik ist eine wichtige Konstante in meinem Leben“, erzählt die 19-Jährige. Alternativ dazu hätte sie auch die Medizin interessiert. Letztes Jahr studierte sie aber noch Soziologie, brach dann das Studium ab, um sich jetzt den Musikwissenschaften zu widmen. Später vielleicht auch noch der Psychologie. Sie erlaubt es sich selbst, mehrere Optionen offen zu lassen: „Ich habe noch so viel zu lernen, bevor ich mich festlege.“ Als Kind sei sie sehr neugierig und wissbegierig gewesen – Eigenschaften, die ihr im Laufe ihrer Schulbahn abhandenkamen.
„Im Moment suche ich nach dieser ursprünglichen Lernbegeisterung und nach einem Lebensentwurf, in dem ich nicht leben muss, sondern will“, postuliert sie. Dann erzählt sie von Juliet als Kind, einem sehr ernsten Kind, das Menschen gar nicht mochte und vorverurteilte. „Ich war auch sehr arrogant“, gesteht die Musikerin. Dann kamen Depressionen und musikalische Rückschläge bei Wettbewerben, mit denen die ehrgeizige Musikerin eine Weile zu kämpfen hatte. „Damals fühlte ich mich wie fremdgesteuert.“ Dieses Gefühl thematisiert sie im Song „Fade away“, fragt sich, warum man nach fremden Regeln funktionieren muss, dabei aber unbemerkt bleibt – und erst auffällt, wenn man aneckt, stört und zur Last wird.
„Zu meinen Songs kann man überhaupt nicht tanzen.“
Die stoische Antwort liegt für Juliet auf der Hand: Man muss gar nichts. Jeder soll über sich selbst frei entscheiden dürfen. Selbstbestimmung.
Auf und Ab.
Eigene Songs schrieb Juliet schon mit 15, um mit einer schwierigen Liebesbeziehung zu einem Musiker fertigzuwerden – eine harte Zeit, aus der sie sich immerhin als gestärkte Persönlichkeit befreien konnte und die Erkenntnis dazugewann, dass sich Musikschreiben wunderbar als Bewältigungsstrategie eignet. Dann floh sie nach Michigan, um unweit von Detroit ein Auslandsschuljahr zu absolvieren. „Ich spielte dort Sax in einer dieser Marchin’ Bands, freundete mich mit den Kids aus der Pop-Metalszene an, nahm mit ihnen an einem Talentcontest teil, wo wir den zweiten Platz holten – so geil“, erinnert sie sich. Dabei sei es dort anfänglich nicht sehr einfach für sie und mit ihr gewesen: „Meine Probleme waren noch die alten, und ich merkte, dass ICH etwas ändern muss.
Es ist nicht notwendig, immer die Sportlichste, Beste oder diejenige zu sein, die am wenigsten isst. Es ist besser, ich selbst zu sein.“ Leicht lässt sich dieser hehre Gedanke freilich nicht umsetzen. Juliets letzte Schuljahre waren von wiederkehrenden Selbstzweifeln und Blockaden geprägt, die musikalisch ehrgeizige Phasen wieder lösten.
Nicht tanzen, zuhören!
Als sie letztes Jahr mit dem Studium pausierte, nutzte Juliet die Wintermonate, um sich ihren Liedern zu widmen und um kleine Auftritte in Innsbruck zu absolvieren. Mit ihrer Musik wolle sie nicht groß rauskommen, sondern sich auf ihren Gigs wohlfühlen: „Zu meinen Songs kann man überhaupt nicht tanzen, es geht vielmehr um ein Teilen von Gedanken und Gefühlen – emotionale Musik eben, die auf großen Veranstaltungen für eine breite Masse sehr fehl am Platz wären.“ Und wer authentische Gefühle rüberbringen will, darf sich nicht zum Liederschreiben zwingen. Wie entsteht denn nun ein Juliet-Song? Zuerst ist da ein Thema, das Juliet so lange am Klavier beschäftigt, bis sie mit der Melodik bestimmter Worte zu improvisierten Akkorden zufrieden ist.
Welches Thema und Wort sie wählt, sei reine Gefühlssache. „Ist das Wort einmal gefunden, baue ich einen ganzen Song drumherum.“ Es ist zwar fies, aber wahr, dass Lieder nur unter stress- bis schmerzvollen Bedingungen gedeihen, aber wenigstens ist Empathie vorhanden. Dadurch entstand auch der deutschsprachige Titel „Europa“, ein ergreifendes Klagelied zur Flüchtlingskrise, in dem sie die fehlende Menschlichkeit anprangert. „Ich habe das Privileg, nicht um mein Leben kämpfen zu müssen, und trotzdem kann ich nicht einfach dasitzen und nichts tun“, sagt die Musikerin. Ein befreundeter Rapper aus Kongo namens Sprit-Mixte, selber als Flüchtling nach Österreich gekommen, ist bei dem Song auch mit von der Partie. „Wenn er mitperformt, wird der Song glaubwürdig“, sagt Juliet, und fügt noch hinzu: „Meine Gefühlswelt ist sehr aktiv – ich kann sie nicht abstellen.“ Dass Weltschmerz zu den Pflichten eines jeden Singer-Songwriters gehört, ist kein Novum mehr. Aber wenn Juliet diesen Schmerz am Klavier performt, glaubt man ihr jedes Wort.
Die Musik von Juliet in Worten
Emotional, stark und stimmgewaltig
Wo tritt Juliet auf?
In der Bäckerei und im Treibhaus (vorerst)
Bekanntheitsgrad:
8 von 10 Noten
Infos unter