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NOVEMBER 2016

15 ist mehr als eine Zahl

Wenn aus dem geplanten Text über den (Un-)Sinn von Jubiläen und Geburtstagsfeiern eine Laudatio auf das Medium wird, in dem das Ganze erscheinen soll, liest sich das so.

I

rgendwie sind sie ja verkappte 1968er-Erben der zweiten Generation, diese 6020-Macher. 1984 waren sie noch zu jung, um die in den Jugendrevolte-Jahren zum Bestseller avancierte Utopie von George Orwell per Magazingründung zu auszuloten. Erst 2001 starteten sie a space odyssey der anderen Art, als Stanley Kubrick sie 1968 als Science Fiction produziert hatte. Statt zur Filmmusik „An der schönen blauen Donau“ im Medienwettbewerb am kühlen grünen Inn. Big brother is watching you, dieser zentrale Satz aus dem Orwell’schen  Zukunftsroman war damals schon durchaus technologische Realität, die lokale Umsetzung hatte aber eher mit der Moser Holding, dem Unternehmen hinter der Tiroler Tageszeitung, zu tun. Der printmediale Platzhirsch beobachtete die Blattmacher für die IVB-Haltestellen von Beginn an mit einer Mischung aus Neugier und Argwohn: Kann das wirklich funktionieren? Hallo – wir schreiben 2016! Mission accomplished.

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6020 hat also Geburtstag. Einen halbrunden. Soll es den feiern? Wer seinen 15. Geburtstag nicht feiert, wirkt verhaltensoriginell. Es ist immerhin der letzte Halbrunde vor der Volljährigkeit. Eher begeht einer seinen Fünfziger mit verzagtem Verschweigen. Doch was für Menschen gilt, erscheint für Unternehmen umgekehrt. Für sie kennt das Hinausposaunen der Jahresjubiläen keine Altersgrenze, während eine ständig ältere Gesellschaft immer mehr dem Jugendwahn verfällt. Je ergrauter, weißer, kahler der Freund auf Facebook, desto eher besteht seine Geburtsangabe nur aus Tag und Monat. Schamhafte Geheimhaltung. Wer dazugehören will, sucht zunehmend den analogen wie digitalen Jungbrunnen von Schönheits-Operation bis Social-Media-Aktivität. Oder liest 6020. Das ist erst 15.

6020 ist erst 15 und doch schon ein Überlebenskünstler in der Unberechenbarkeit von Megatrends.

 

15 ist ein geiles Alter. Als Ö3 sich 1996 unter Bogdan Roscic mit Hilfe erfahrener internationaler Berater gegen die Privatradios wappnete, waren ihre Zielgruppe in extremer Zuspitzung die 15-Jährigen. In der Grundannahme, dass genau diese Teenies den gesamtgesellschaftlichen Stil am meisten prägten. Müde belächelt von routinierten österreichischen Medienmachern, die eine breitere Aufstellung als existenziell betrachteten. Der Erfolg des Senders gab der scharfen Positionierung Recht. Die Youngsters entfalteten genau jene Sogwirkung, die ihnen bis heute viele Ältere absprechen, obwohl sie ihnen von der Kleidung über SMS bis zu WhatsApp mit Verzögerung in Selbststilisierung wie Mediennutzungsverhalten nachhüpfen. So gesehen geht es für 6020 jetzt erst richtig los.

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Beim wahren Start vor 15 Jahren lag das Interesse hierzulande ausnahmsweise gerade nicht vor der Haustüre. Während 6020 im November 2001 erstmals als Stadtmagazin für Innsbruck erschien, gab es den bis heute meistbeachteten Bürgermeisterwechsel in New York: Michael Bloomberg statt Rudolph Giuliani. Das erntete in der Alpenhauptstadt aber weder wegen des einen Hintergrunds als Medien-Milliardär noch wegen des anderen  auch in Tirol vertretenen Nachnamens Aufmerksamkeit. Zwei Monate nach 9/11 war der Big Apple immer noch das Zentrum der globalen Anteilnahme.

Mittlerweile hat aber ein gesellschaftlicher Umkehrschub dafür gesorgt, dass mehr denn je gilt, was Hermann Petz, der Vorstandsvorsitzende der Moser Holding, immer wieder gerne zitiert: „95 Prozent der Menschen verbringen 95 Prozent ihrer Zeit in einem Umkreis von 25 Kilometern.“ Medial schlägt sich das einerseits im Überraschungserfolg von Magazinen wie „Landlust“ und „Servus in Stadt und Land“ nieder. Sie wirken wie eine Papier gewordene Antithese zu „Wiener“ und „Tempo“, den Zeitgeistmagazinen aus den 1980er-Jahren. Vorwärts in die Vergangenheit? 6020 ist erst 15 und doch schon ein Überlebenskünstler in der Unberechenbarkeit von Megatrends. Während die Metropolenspezies der Stadtmagazine vielerorts unter Druck des Online-Angebots geraten ist, haben die Innsbrucker Spätberufenen ihre digitale Pubertät zur Verbreiterung genutzt. Im Internet allgemein und via Facebook besonders. Gegründet 2004, stammt es aus der gleichen Mediengeneration.

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Dagegen schauen zwei Errungenschaften ziemlich alt aus, die nur wenige Tage vor 6020 auf die Menschheit losgelassen wurden: Der iPod von Apple und Windows XP von Microsoft. Sie wirken heute ähnlich weit weg wie der Mann, der in diesen Wochen den FC Tirol übernommen hatte. Jogi Löw führte ihn ab Herbst 2001 zu seinem letzten Meistertitel.