igentlich wollte Tom nie mehrere Partner haben. Heute organisiert er den Stammtisch der Innsbrucker Polyamors: „Das wirst du im Laufe des Abends öfter hören, dass man das anfangs nicht wollte“, sagt Tom, kurz bevor der Stammtisch beginnt: „Ich bin mir sicher, dass viele durch eine Verkettung von Umständen da hineingeraten sind, es dann aber gut fanden und nicht mehr zurück wollten.“
Sie lieben mich, sie lieben mich nicht.
In wenigen Minuten beginnt das zweite Treffen der Innsbrucker Polyamors in einem Wiltener Vereinshaus. Seit etwa fünf Jahren lebt Tom polyamor, und bei ihm war es damals genau wie er sagt „eine Verkettung von Umständen“: Seine langjährige Freundin Denise sagte ihm eines Tages, dass sie jemand anderen kennengelernt und sich verliebt habe und dass sie ein Verhältnis mit ihm beginnen wolle. Grundlegend brauche das aber ihre eigene Beziehung nicht zu stören. Schließlich liebe sie beide Männer: Alexander und ihn.
//In seiner Verzweiflung entschied Tom, sich darauf einzulassen und hatte fortan einen Nebenbuhler: Alexander. Ihn beäugelte er so, wie man das eben bei Konkurrenten macht: Mit einer ordentlichen Portion Missachtung und einem gewissen Wunsch herauszufinden, was seine Freundin an dem Typen findet.
//Ob es Verwirrtheit, Überforderung oder einfach nur ein Wink des Schicksals war, weiß Tom heute nicht mehr, aber er verliebte sich selbst in Alexander und fand sich auf einmal in einer Dreiecksbeziehung wieder: Er liebte Denise, sie liebte Alexander, der ihn liebte, aber auch Denise, die Tom liebte, aber auch Alexander. Tom fing an, Bücher über das Thema zu lesen, um seiner Gefühle einigermaßen Herr zu werden: „Da traf ich zum ersten Mal auf den Begriff Polyamorie“, sagt Tom. Er ist heute Beziehungsberater, lebt und arbeitet in Innsbruck.
Emotionale Unterstützung.
Polyamorie ist eine Beziehungsform, in der die Beteiligten offen für mehrere Partner sind. Zu „offenen“ oder polygamen Beziehungen bestehen aber einige feine, entscheidende Unterschiede: Polyamore Partner sind zwingend zu allen Beteiligten ehrlich. Jeder darf machen, was er will, solange er es nicht verschweigt.
//Die Verhältnisse können ganz unterschiedlichen Charakter haben und reichen von rein emotionalen, intellektuellen bis zu körperlichen und sexuellen Beziehungen. Auch Bisexualität wird mitunter nicht ausgeschlossen. Tom sagt: „Für alle Beteiligten ist das eine Herausforderung und emotional extrem konfrontierend.“ Diejenigen, die sich darauf einlassen, brauchen oft emotionale Unterstützung von Gleichgesinnten. „In jeder größeren Stadt Österreichs und Deutschlands gibt es einen Polyamorie-Stammtisch, und ich habe mich entschieden auch in Innsbruck einen zu organisieren.“
Monogames Dogma.
Beim Treffen Ende März sitzen etwa zehn Menschen im Raum des Vereinshauses in Wilten. Viele kennen sich nicht, verstehen sich aber auf Anhieb gut. Es scheint eine Verbindung da zu sein und ein Konsens darüber, dass man sich ins klassische monogame Dogma nicht hineinzwängen lassen will.
//„Ich dachte lange Zeit, dass mit mir etwas nicht in Ordnung ist“, sagt Peter, der etwa Mitte vierzig ist und mit Johanna, einer seiner zwei Freundinnen, gekommen ist. Immer wieder verliebte er sich in mehrere Frauen und teilte ihnen das auch mit. Er lebte polyamor, bevor er den Begriff überhaupt kannte. Mit seiner anderen Freundin wohnt er in einer WG.
//Johanna hat einen jüngeren Freund, mit dem sie sich hin und wieder trifft. Ob ihn das störe? „Sowas wie Eifersucht ist bei mir nur homöopathisch vorhanden“, sagt er. Kürzlich habe ihm Johanna bei einem Konzert eine kurzzeitige Liebschaft vorgestellt, mit dem sie etwas am Laufen hatte. Peter bemerkte, dass der junge Mann sehr eingeschüchtert war, als er erfuhr, dass der ein Meter achtzig große und massige Peter der feste Freund von Johanna ist. Der wiederum fand das sehr amüsant.
„Ich dachte, dass mit mir etwas nicht in Ordnung ist.“
Peter
Sich selbst kennenlernen.
Am anderen Ende des Tisches sitzen zwei jüngere Pärchen: Silvia und Stefan scheinen beide Metallfans zu sein. Stefan und Silvia, beide blond, schwarz angezogen, berichten vom letzten Sommer, als sie sich entschieden, ihre Beziehung zu öffnen. „Seitdem Silvia das vorgeschlagen hat, habe ich eine unglaublich aufregende Zeit“, berichtet Stefan. Allgemein nehme er Beziehungen zu Menschen viel ernster, mache sich viel mehr Gedanken über sich selbst, was ihn ausmacht und was ihn glücklich macht. Außerdem habe er auch eine bisexuelle Seite an sich entdeckt, treffe sich seit kurzem auch mit Jungs.
//Paul und Nadine sitzen daneben und stammen ihrem Akzent nach zu urteilen irgendwo aus Zentralhessen. Vor einigen Jahren hatten sie eine „Freundschaft-Plus“-Beziehung, wie sie sagen. Nadine hätte sie gerne in eine richtige umgewandelt, aber Paul wollte nicht, weil monogame Beziehungen bei ihm nie funktioniert haben. Sie verliebte sich daraufhin in seinen besten Freund, mit dem sie einige Jahre zusammen war, gleichzeitig aber auch mit Paul ein Verhältnis hatte. „Anfangs war es sehr schwierig, doch mit der Zeit lernt man sich selbst extrem gut kennen“, erzählt Nadine.
„Anfangs war es sehr schwierig, doch mit der Zeit lernt man sich selbst extrem gut kennen.“
Nadine
(In)toleranz.
Die meisten Menschen reagieren überrascht und mit Ablehnung, wenn man ihnen erklärt, dass man polyamor lebe, sagen alle Anwesenden. Unehrlichkeit und heimliche Affären in einem klassischen, monogamen Verhältnis werden viel eher toleriert als eine ehrliche, auf einem Konsens beruhende polyamore Beziehung. „Meine Freunde sind eher ‚konservativ‘“, meint beispielsweise Tom: „Kürzlich habe ich aber herausgefunden, dass mehrere Affären haben und zwar zum Teil mit Männern.“ Polyamorie lehnen sie aber aus moralischen Gründen ab, sagt Tom: „So etwas könne ganz einfach nicht funktio-
nieren, meinen sie.“
Nadine berichtet aber, dass sie auch anderweitige Erfahrungen gemacht hat. Als sie vor kurzem zuhause eine Geburtstagsparty organisierte, sagte sie zu ihrem Vater, dass zwei Jungs kommen werden, die sich beide bei ihm als „Nadines Freund“ vorstellen werden. Beide werden recht haben. Anfangs war er überrascht und glaubte, sie wolle ihn pflanzen. Nachdem sie aber ein intensives Gespräch darüber geführt haben, Nadine ihm erklärt habe, dass alle Bescheid wissen und ehrlich zueinander sind, habe er es toleriert. Mittlerweile finde er die Beziehungen seiner Tochter so toll, dass er es sogar Freunden und Verwandten erzählt, wenn sie zu Besuch sind. Sein Einsatz gehe ihr fast ein bisschen zu weit, sagt sie.
Im Grunde das Gleiche.
Nachdem Tom seine erste polyamore Beziehung zu Denise und Alexander beendet hatte, begann er ein Verhältnis mit einer Schweizerin, die mit ihrem Ehemann auch polyamor lebte. Diese Liaison dauerte einige Monate, und auch die beendete er schlussendlich. Gleichzeitig trennte sich Denise von Alexander. Tom und Denise fanden wieder zueinander und sind bis heute zusammen. Denise möchte sich den Stress von Polyamorie nicht mehr antun. Ihr Verhältnis zu Tom stört das aber nicht, denn an die Grundsätze der Polyamorie glaube sie weiterhin, sagt Tom: „Polyamore Beziehungen haben schließlich die gleichen Probleme wie herkömmliche, nur oft multipliziert mit der Zahl der Verbindungen“, erklärt Tom: „Das wichtigste in jeder Beziehung ist Ehrlichkeit. Wenn man polyamore Beziehungen unehrlich führt, dann macht man alles falsch. Wenn man irgendeine Beziehung unehrlich führt, dann macht man ebenfalls alles falsch.“
Beziehungsformen
Vor allem im englischsprachigen Raum haben sich Bezeichnungen für die verschiedenen Beziehungsformen etabliert, angelehnt an die geometrische Form der Buchstaben
V
Eine Person hat enge
Beziehungen zu zwei Menschen.
Z
Zwei Personen haben eine Beziehung zueinander und jeweils zu einem weiteren Partner.
W
Eine erweiterte Form eines V
TRIADE
Dreiecksbeziehung
QUAD
Vierecksbeziehung