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MAI 2019

Der gute Lobbyist

Seit Anfang der 2000er-Jahre entwickelte sich Freirad von einem kleinen, ehrenamtlichen Projekt zu einer professionellen, transmedialen Plattform, die österreichweit ihresgleichen sucht. Ein bisschen ist dies auch Markus Schennachs Verdienst, der das freie Radio über 15 Jahre lang führte.

Foto: Franz Oss
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ls Österreich um 1991 das letzte Land Europas mit einem Rundfunkmonopol war, engagierte sich auch in Tirol eine Aktivistengruppe für die Liberalisierung. Mit einem Rucksack schleppten sie ihr Radioequipment durch die ländliche Umgebung Innsbrucks, um von irgendwo ihre Beiträge auf Kassetten zu senden – heimlich und illegal versteht sich. Das war die Zeit von Radio Radiator und seinen Piratensendungen, die als Sprachrohr vieler Kulturinitiativen immer beliebter wurde. Allerdings wurden sie auch stets von der Polizei per Peilsender gejagt. Dass die Piratensendungen knapp 30 Minuten dauerten, war kein Zufall.

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Gesendet wurde immer von wechselnden Verstecken am Fuße der Nordkette, von einer Distanz, die genug Zeit für Sendung und die unvermeidliche Flucht vor den Behörden übrigließ. „Die Piraten konnten immer fliehen, also musste die Polizei zu anderen Mitteln greifen“, schildert Markus Schennach, „das illegale Radiosignal wurde mit Radio Maria überlagert.“ Half alles nichts, sie machten weiter. Das Monopol fiel 1998, aus Radio Radiator wurde Freirad. Die fixe Sendelizenz kam jedoch erst 2001 nach einem langwierigen bürokratischen Hin und Her. 

Ohne Theorie keine Politik.

Wenn Markus die abenteuerliche Gründungsgeschichte von Freirad schildert, möchte man fast meinen, dass er das Ganze auch persönlich miterlebt haben muss. Piratenradio, Auflehnung gegen die Obrigkeit – lauter Dinge, die man ihm gerne zutraut, diesem Typen, der seine Zigaretten selbst dreht und sich per Newsletter mit „venceremos“ („Wir werden siegen!“, politisches Kampflied aus Chile) verabschiedet. Ihn als Idealisten zu bezeichnen, der nur Kampfliedposen einnimmt, würde aber viel zu kurz greifen. Seine Überzeugungen wusste Markus nämlich stets auch pragmatisch anzuwenden. Doch der Reihe nach. 

„Ich weiß, es klingt pathetisch, aber ich habe immer noch das Bedürfnis, die Welt ein bisschen besser zu machen.“

Markus Schennach

 

Wie war das also in den frühen Neunzigern? Was hat ihn geprägt? „Der Umgang mit dem Kalten Krieg bis zum Fall der Mauer“, sagt er. „Ich weiß, es klingt pathetisch, aber ich habe immer noch das Bedürfnis, die Welt ein bisschen besser zu machen. Das geht über Politik.“ Und die Liberalisierung? „Ich kannte die Akteure rund um Radio Radiator, aber als sie Piratenradio gemacht haben, war ich gar nicht involviert“, erzählt er.

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Und was tat er in der Zwischenzeit? „Ich habe brav studiert“, sagt er und schmunzelt, fährt aber sachlich fort: „Und habe mich hauptsächlich mit politischer Philosophie beschäftigt, mit dem theore-tischen Überbau zur Realpolitik.“ Er mag es gar nicht, wenn Menschen als anders definiert werden und als Gruppe die Schuld für dies und jenes bekommen. Für ihn ist klar: „Alle Menschen sind gleich und haben dieselben Chancen und Möglichkeiten verdient.“ 

Politik liebt Mikros.

Nach seinem Politikwissenschaftsstudium 1996 arbeitete Markus zunächst beim Z6 Streetwork, dann für den 20er. Zu Freirad kam er, als sich der Verein 2003 von den finanziellen Startturbulenzen unter Schwarz-Blau I erholte und über den Tiroler Beschäftigungsverein eine Anstellung ermöglicht wurde. Die finanzielle Absicherung des freien Radios blieb auch in den Folgejahren eine Achterbahnfahrt, es gab mal mehr, mal wieder weniger Förderungen vom Land. „Geld von der Stadt zu bekommen war aber am schwersten“, erinnert sich Markus an den ersten Termin mit der damaligen Bürgermeisterin Hilde Zach. „Das Geld ist da, aber du bekommst es nicht“, sagte sie. „Ich finanziere kein Radio, das gegen mich redet.“ Ihre Meinung änderte sie, nachdem sie ins Studio eingeladen wurde und zu Gast in einer Sendung war. „Man kann unterschiedliche politische Meinungen vertreten und trotzdem normal miteinander reden“, sagt Markus. 

„Man kann unterschied­liche politische Meinungen vertreten und trotzdem normal miteinander reden.“

Markus Schennach
Zukunftspläne: Markus Schennach will politisch aktiv bleiben. Details werden noch nicht verraten.

Radio Power.

Finanziell abgesichert sind die Freien Radios seit 2010 durch den gesetzlich verankerten Fonds für nichtkommerziellen Rundfunk. Seither konnte auch Freirad aufblühen: Mit über 100 regelmäßigen Sendungen in 17 Sprachen von über 450 Engagierten ist der freie Sender heute ein Medium für die Zivilgesellschaft. Das bedeutet, dass wirklich alle mitmachen können, egal ob Profi, Laie, Jung oder Alt. „Unsere Sendungen stammen von Ehrenamtlichen, die nicht journalistisch arbeiten müssen, sondern sich ausprobieren können“, erklärt Markus.

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Dennoch sei es wichtig, Struktur und Qualität zu vermitteln: „Wer eine Sendung macht, hat schließlich was zu sagen. Und verdient es, dass man zuhören kann.“ So entwickelte sich Freirad auch zu einem Medienkompetenzzentrum: Das notwendige technische Know-How erlernen Interessierte in regelmäßigen Basisseminaren, es gibt eine Lehrredaktion, Workshops für Audioschnitt, Hörspiele, Sprechtraining oder Interviewtechniken. Geboten werden auch Workshops an Schulen. Die Ausbildungsschiene von Freirad ist österreichweit fast einzigartig, aber auch der Bereich, der am stärksten wächst. Vermittelt wird unter anderem ein kritischer Umgang mit Informationen, um Qualitätsmedien von weniger gehaltvollen unterscheiden zu können. Die Nachfrage ist mittlerweile so groß, dass sie kaum bewältigt werden kann. 

„Wer eine Sendung macht, hat schließlich was zu sagen.“

Markus Schennach

Und jetzt, Markus?

„Ich wollte, dass Menschen die Möglichkeit haben, öffentlich ihre Meinung zu äußern und dadurch an der Gestaltung von Demokratie teilnehmen“, beschreibt Markus das Ziel von Freirad, das getrost als erreicht betrachtet werden kann. Nach der Übergabe an Charlotte Trippolt bleibt das Projekt in mehr als in guten Händen, die nun auch Neues zulassen wird.

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Trotzdem ist ihm der Abschied von Freirad nicht leichtgefallen: „Ich habe in den vergangenen 15 Jahren so viel gelernt, es war eine super coole Zeit.“ Unvorstellbar, dass so einer nun seinen Aktivismus ad acta legt. Gibt es Pläne für die Zukunft? „Ja.“ Worum wird’s da gehen? „Um ein neues Projekt im selben Bereich, der mich seit jeher antreibt: die Verbesserung des politischen Systems Demokratie. Und nein, ich gründe keine Partei“, sagt er und lächelt. Im Sommer wird man mehr wissen.

Die Neue

Charlotte Trippolt stammt aus Schruns, hat Komparatistik studiert und in Filmwissenschaften promoviert. Sie war ÖAD-Lektorin in Rumänien und Kroatien. Seit April ist sie die neue Geschäftsführerin von Freirad. 

 

 

 

 

Frau Trippolt, welche Arbeitsbereiche wollen Sie als Erstes angehen? 2018 fanden durch Freirad 94 Workshops an verschiedenen Institutionen und Schulen statt, die Nachfrage wird immer größer. Darum wollen wir den Ausbildungsbereich erweitern. Und die Homepage und die Sendungs-App gehören optimiert.

Apropos Medienkompetenz: Warum wird der Umgang mit Medien immer komplexer? Über Tagesaktuelles informieren sich viele Menschen nur noch auf Facebook, wo es auch schwerer ist, vertrauenswerte Quellen auszumachen. Seriöse Informationen und Unterhaltung verschwimmen dort ineinander. Das politische Geschehen mag zwar auf tragische Art und Weise unterhaltsam sein, aber das Bewusstsein für einen kritischen Umgang mit Informationen und Quellen wird immer seltener. Dieses Bewusstsein wollen wir aber vermitteln und schärfen.

 

Alle Infos auch unter www.freirad.at