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MAI 2017

Die gefährdete Ehre der Medienmacher

Medienkritik ist schick. Sie bedient sich aber allzu oft bloß jener Mittel, die sie den gescholtenen Zeitungen und Sendern vorwirft. Meinung statt Fakten.

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eil alles mit allem zu tun hat, kann ein Text über Lügenpresse und Fake News, Falschmeldungen und Facebook, die Demokratie und den Journalismus ebenso gut in Innsbruck vor 40 Jahren wie in Washington heute beginnen. Oder umgekehrt: damals in den USA, jetzt in Österreich – und dazu noch ein bisschen Deutschland als Bindeglied zwischen den Zeiten und Kontinenten.

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1974 veröffentlicht Heinrich Böll „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“. Der spätere Nobelpreisträger bemerkt dazu vorab: „Personen und Handlung dieser Erzählung sind frei erfunden. Sollten sich bei der Schilderung gewisser journalistischer Praktiken Ähnlichkeiten mit den Praktiken der Bild-Zeitung ergeben haben, so sind diese Ähnlichkeiten weder beabsichtigt noch zufällig, sondern unvermeidlich.“ Am Ende tötet die Titelheldin einen Reporter.

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1974 tritt der republikanische US-amerikanische Präsident Richard Nixon zurück. Es ist der Höhepunkt von Watergate, der Urmutter aller -gates, einem zur Verfassungskrise gewucherten Skandal rund um den Einbruch in die Parteizentrale der Demokraten. Aufgedeckt von Bob Woodward und Carl Bernstein für die Washington Post. Eine erste Sternstunde des investigativen Journalismus.

Systemkritik von Hamburg bis Innsbruck.

1976 ist das Medienvertrauen in den USA auf dem All Time High: 76 Prozent der Amerikaner fühlen sich vollständig, genau und fair informiert. 1977 veröffentlicht Günther Wallraff „Der Aufmacher – Der Mann, der bei Bild Hans Esser war“. Ein Bestseller über die Redaktionsarbeit unter falschem Namen bei Europas größter Boulevardzeitung. In Deutschland erreicht die Medienkritik ihren ersten Höhepunkt. In Österreich deckt 1980 Alfred Worm im profil den AKH-Skandal auf und in Tirol schreibt Ruper Kerer in der TT – nicht zum ersten Mal – einen antisemitischen Leitartikel. Es folgt eine massive Protestwelle von Künstlern und Intellektuellen. Die Systemkritik hat Innsbruck erreicht.

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2013 ist die Washington Post wirtschaftlich und inhaltlich ein Übernahmefall. Amazon-Gründer Jeff Bezos kauft das ausgezehrte Blatt. Im Frühjahr 2014 hat seine Website 26 Millionen unique visitors. 2016 stürzt das Medienvertrauen in den USA auf sein All Time Low: 32 Prozent der Amerikaner fühlen sich vollständig, genau und fair informiert. Im November hat die Washington Post allein aus den USA 72 Millionen unique visitors und – Donald Trump wird US-Präsident. Er unterstellt den Qualitätsmedien Fake News. Auflagen, Reichweiten und Einschaltquoten von Titeln wie der Post, aber auch der New York Times und von CNN steigen wie schon lange nicht mehr.

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2014 eignen sich erst Pegida, dann die Allianz für Deutschland den 150 Jahre alten Schmähbegriff Lügenpresse an, der seit der Jahrtausendwende von rechtsextremen und -populistischen, völkischen, fremdenfeindlichen und islamophoben Kreisen reanimiert wird.

2014 eignen sich erst Pegida, dann die AfD den 150 Jahre alten Schmähbegriff Lügenpresse an.

 

In Österreich werden die einstigen Parteigazetten Salzburger Volkszeitung und Kärntner Tageszeitung eingestellt, 2016 auch das WirtschaftsBlatt. Es gibt nur noch 14 Tageszeitungen. Sie stehen im Wahlkampf um die Bundespräsidentschaft ebenso wie der ORF im Visier der Lügenpresse-Fraktion vor allem über digitale Netzwerke wie Facebook und YouTube, aber auch rechte Plattformen wie unzensuriert.at nach dem Vorbild des US-amerikanischen Breitbart, einem Mitverursacher von Trump und Brexit. Doch in Österreich wird Alexander Van der Bellen Präsident. Sendungen wie die ZIB2 feiern Quotenrekorde. 42,1 % der Tiroler über 14 lesen täglich die TT. 6020 ist schon 15 Jahre alt. 

Kaum Vertrauen in Facebook und Parteien.

2016 gibt die Europäische Kommission unter dem Eindruck der von Gallup ermittelten Vertrauenstiefstwerte in den USA ein Special Eurobarometer zu Medien in Auftrag: Im Schnitt dieser 28 repräsentativen Umfragen in allen EU-Staaten halten 66 % das Radio, je 55 % Zeitungen und Fernsehen, aber nur 32 % Social Media für zuverlässig. Bei einer Detailfrage ist Österreich demnach Europameister:

Nur hier nutzt bereits mehr als die Hälfte der Bevölkerung aktiv z. B. durch Postings die digitalen Netzwerke. Entsprechend höher liegt die Glaubwürdigkeit von Facebook & Co.: 42 %. Doch Radio (79 %), Fernsehen (77 %) und Zeitungen (66 %) gelten in Österreich noch als so zuverlässig wie die US-Medien in ihren besten – vierzig Jahre vergangenen – Umfragezeiten.

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Diese Werte vom September sind keine bloße Momentaufnahme. Als im November 2016 mit dem regulären Eurobarometer wie jedes halbe Jahr das Institutionenvertrauen ermittelt wird, liegen die österreichischen Daten erneut weit über dem Schnitt der EU-Staaten: Radio (64 %), Fernsehen (62 %), Zeitungen (54 %) genießen dabei eine absolute Ver-trauensmehrheit wie das Rechtssystem (73 %), die öffentliche Verwaltung (67 %) und die regionalen Behörden (63 %). Mehr Probleme haben das Parlament (49 %), das Internet (43 %) und die Bundesregierung (40 %). Ganz unten in der Vertrauensfrage rangieren die sozialen Netzwerke (29 %) und die politischen Parteien (26 %). Also auch die Absender und Transporteure von Vorwürfen wie Lügenpresse und Fake News.

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Folgerichtig sollte hier nun endlich ein Absatz über den Stellenwert von Journalismus für die Demokratie stehen. Oder über die Entwicklung von Medien und Parteien in den vergangenen 40 Jahren. Doch das können andere besser: