Das Faszinierende an Attwenger ist die Musikalität des Dialekts – und wie gut sie mit eurem Sound funktioniert, egal, ob mit Hiphop, Rock oder Polka. Aber wie reagiert das internationale Publikum bei euren Auftritten? Markus Binder: Wir wollen mit der Mischung aus Dialekt und Sound etwas Interessantes machen, was sich auch über den Dialekt hinaus entwickelt. Und der Klang des Dialektes hat ja schon einen hohen musikalischen Anteil, fast wie ein eigenes Instrument. Jemand hat mal über uns gesagt: „Wer die Sprache von Attwenger nicht versteht, kann trotzdem Attwenger verstehen.“
Ihr habt ja schon Bühnen in Sibirien, Mexico City oder New York bespielt. Ist es schwieriger, dort die Leute „nur“ mit eurem Sound zu fesseln? Eigentlich nicht, die Locations sind aber oft sehr unterschiedlich. Wir sind auch in Vietnam in Ho-Chi-Minh aufgetreten, wo das Publikum gesessen hat. Oder in Guadalajara in Mexiko, auf dem Hauptplatz dieser Millionenstadt, wo Tausende richtig schön und ausgelassen mitgetanzt haben. Es ist schon so, dass Musik nach wie vor als internationale Sprache funktioniert. Sie wird zwar ohne textlichen Vordergrund rezipiert, aber sie wird aufgenommen. Das ist auch für uns eine gewinnbringende Erfahrung, weil wir so unsere Musik anders verstehen lernen.
Ist es nicht ein bisschen schade, wenn die Leute die Texte nicht verstehen? Naja, als Textschreiber bin ich natürlich stolz auf meine Texte, aber das wäre jetzt Jammern auf hohem Niveau. Den textlichen Inhalt zu verstehen, ist schon ein Gewinn, darum haben wir sie auf unserem neuen Album „Spots“ auch extra abgedruckt. Man kann unverständliche Worte nachlesen, oder die Texte wie einen Gedichtband lesen, auch ohne Musik. Aber ich verlange nicht, dass man sich mit unseren Texten beschäftigt, wenn man nicht Deutsch spricht (lacht).
Eure Mundart lässt sich nicht in „traditionelle“ Ecken stellen, ihr werdet auch nie im Musikantenstadl auftreten. Ist das nicht schade? Ihr könntet doch das System von innen bekämpfen … Wir bekämpfen das System ja schon so von innen! (lacht) Aber Scherz beiseite, wir meiden die Bühnen, auf denen wir uns nicht wohlfühlen würden. Wir sind mit Attwenger schon seit 25 Jahren unterwegs, kooperieren mit Leuten, mit denen wir uns verstehen, weil es uns Spaß macht. Aber auf bestimmte Klischeehalden passen wir nicht.
Hattet ihr schon von Anfang an diesen Plan, den Dialekt vom verkitschten, erzkonservativen Mief zu befreien? Oder was können Dialekte besser als die Hochsprache? Ja, natürlich, den hatten wir: Dialekt-Texte als experimentelles Medium in die Popmusik zu bringen.
Der Lyriker Hans Carl Artmann hat ja schon in den 1950ern mit Texten im Dialekt experimentiert und richtig schöne Gedichte geschrieben. Es gibt ja auch eine Tradition, die vollgepackt ist mit Witz und rebellischem Potenzial, man denke da nur an alte „Gstanzln“. Das haben wir sehr interessant gefunden, und darauf haben wir uns regelrecht gestürzt. Hier gilt eine Hochsprache als Kodex der Herrschenden und des Bürgertums. Dialekte sind dafür herrschaftsfrei, weil sie nicht normiert sind. Diese wilden, ungezügelten Qualitäten sind auch in unserem Verständnis.
Ich Frag mich grade, ob eure Lieder auch im Tiroler Oberländer Dialekt funktionieren würden … Warum nicht? Die Mischung macht’s. Wir setzen ja nicht irgendeinen Dialekt über alles andere. Unsere Attwenger-Soundmischung ist zwar wild, aber genau das ermöglicht diesen besonderen Zugang. Wenn der Sound passt, ist die Sprache egal. Und man sollte sich nicht die Zähne am Tiroler „K“ rausbeißen, das kann man sicher auch sexy verwenden.
„Als wir anfingen, wurden wir gefragt: ‚Was habt ihr zu sagen?‘, und nicht: ‚Wie wollt ihr das finanzieren?‘“
In der „Wiener Zeitung“ hast du einmal bedauert, dass die österreichische Musikszene weniger ein Trägermedium für politisch und gesellschaftlich relevante Thematiken ist und sich eher in Richtung Selbstbedienungsbilligsupermarkt entwickelt. Warum? Wegen der Ökonomisierung, und das betrifft aber nicht nur Österreich. Als wir Ende der 1980er anfingen, wurden wir gefragt: „Was habt ihr zu sagen?“, und nicht: „Wie wollt ihr das finanzieren?“ Verkaufszahlen sind heute wichtiger, und das obwohl alle Tonträger jederzeit virtuell verfügbar sind. Wie Diskontware.
Und es gibt auch keine große Nachfrage nach politischen oder gesellschaftskritischen Inhalten. Dabei ist Popmusik seit den Anfängen auch Sprachrohr für Kritik alltäglicher Probleme, Trägerin politischer Inhalte. Das ist sehr ausgedünnt worden. Generell ist die Qualität politischer Grundsatzdiskussionen sehr verwässert: Information muss sensationell werden, damit sie überhaupt ankommt, dafür wird die Frage nach wahren Hintergründen marginalisiert. Man wird ständig mit einer dröhnenden Informationsflut versorgt, vor allem aus dem Netz, dafür ist es schwieriger, klare Positionen zu finden. Gute Bücher lesen wäre besser.
Sind eure superkurzen Lieder auf „Spot“ auch ein praktisches Statement zur viel zu kurzen Aufmerksamkeitsspanne der modernen Hörerschaft? Auch in Sachen Musik gibt es ein Überangebot. Laut einer Studie ist die durchschnittliche Verweildauer bei einem Song nur 14 Sekunden lang. Die Stücke auf unserem neuen Album reflektieren ein bisschen dieses Phänomen, aber ähnlich minimalisierte Lieder haben wir schon am Anfang gemacht. Was wir sehr lustig finden, weil niemand weiß, was dabei weggelassen wurde. „Spot“ ist auch das Gegenstück zu unserem Album „Song“ von 1997, wo drei Songs 45 Minuten dauern. Wichtig ist uns nur, dass ein Album in sich stimmig ist und groovt.
Vielen Dank für das Gespräch.