Christopher Standley
23. Juni 2016
In Southampton herrschte bei Christophers Freunden und ihm ausgelassene Stimmung, als sie sich entschieden, in einen Club namens Justice zu gehen. Die Musik war laut, die Luft etwas stickig und viel war Alkohol im Spiel. Zwischen den Lichtern waren tanzende Silhouetten zu erkennen und hier und da leuchtende Handydisplays, von denen immer wieder jemand aufschaute und „We stay!“ schrie.
//Danach schien die Party ausgelassener, die Musik fröhlicher und der Alkohol stärker zu sein. Der Abend nahm den Lauf, den sich alle in der Runde gewünscht hatten. „We stay!“, hörte man wieder jemanden hinten rufen „We stay!“, sagte jemand vorne. Christophers Befürchtung, dass die Abstimmung schlecht laufen könnte, schien unbegründet, ja fast lächerlich. Wie es die Umfragewerte prophezeiten, lagen die Proeuropäer vorne. Alles war in bester Ordnung.
//Dann hörte man ein vereinzeltes „We leave!“, das aber auch ein Verhörer hätte sein können. „We stay!“, vernahm man kurze Zeit später, um im nächsten Moment „We leave!“ zu hören und dann ein weiteres: „We leave!“.
Lebensmittelpunkt.
Die Atmosphäre im Klub kippte, zu feiern erschien jetzt albern. Alle kamen in der Realität an: Großbritannien wird aus der EU austreten. „Als ich am nächsten Tag aufwachte, kam ich mir richtig klein vor“, schildert Christopher seine damaligen Eindrücke: „Es gibt nichts mehr, was du machen kannst, dachte ich mir.“ Nach der Abstimmung war er sehr wütend: „Selbst ältere Damen im Supermarkt habe ich mit Argwohn angesehen“, erzählt Christopher etwas beschämt. Die ältere Bevölkerung war laut Statistik nämlich eher für den Brexit, während bei der jüngeren die Wahlbeteiligung zu wünschen übrig ließ.
„Als ich am Tag nach dem Brexit-Voting aufwachte, kam ich mir richtig klein vor.“
Christopher Standley, Student
Eigentlich war er gerade erst nach Europa gezogen, wie die Briten das Festland nennen, und war am Abstimmungstag nur zufällig in England. Seit kurzem lebte der Student in Innsbruck. Hier wollte er sich zum Lehrer ausbilden lassen, arbeiten und die Natur genießen. Der Brexit hätte für ihn zu kaum einem schlechteren Zeitpunkt kommen
können.
Back to Innsbruck.
Nach Innsbruck zurückgekehrt ging Christopher zum Rathaus, ließ sich so viele österreichische Dokumente wie nur möglich ausstellen und informierte sich über seine Rechte, hier zu bleiben, doch kaum jemand konnte ihm helfen. „Auf jedem Amt sah ich verzweifelte Blicke, sobald ich meinen Pass herzeigte“, lacht Christopher über seine Situation. Trotz der vielen Fragezeichen, die nun auftauchen, möchte er in Innsbruck bleiben. Gespannt verfolgt er die Nachrichten und hofft auf ein gutes Ende.
Fiona Park
23. Juni 2016
Sie ließ den BBC-Moderator noch seinen Satz zu Ende bringen, der im Wesentlichen besagte, dass man immer noch nichts Konkretes wisse, man die Zuseher aber informieren werde, sobald Zahlen vorliegen. Dann klappte Fiona ausatmend ihren Laptop zu und legte ihn auf ihr Nachtkästchen. „Ich war mir zu etwa 70 Prozent sicher, dass wir in der EU bleiben werden“, sagt die Werbetexterin heute lachend. Zuvor hatte sie sich überlegt, gar nicht schlafen zu gehen und auf das Endergebnis zu warten, entschied dann dennoch sich hinzulegen, da sie, wie sie sagt, mit jedem Ergebnis irgendwie leben musste und nicht zulassen wollte, dass ihr so etwas den Schlaf raubt.
//Als sie sich am nächsten Tag auf den Weg zur Arbeit machte, war ihr dennoch flau im Magen. „Ich wollte nicht glauben, dass das wirklich passiert war, und es stellten sich so viele Fragen, unter anderem, ob ich denn hierbleiben darf.“
„Viele im Ausland lebende Briten werden den Brexit auf jeden Fall spüren.“
Fiona Park, Werbetexterin
Skifahren üben.
Während des Studiums machte Fiona ein Praktikum in Tirol und wollte nach dem Abschluss ihre Skifähigkeiten verbessern, wie sie schmunzelnd sagt. Also verbrachte sie den darauffolgenden Winter hier, und seitdem sind nun fast acht Jahre vergangen und sie arbeitet mittlerweile als englischsprachige Werbetexterin für ein internationales Unternehmen in Innsbruck.
Die Brits im Ausland vergessen.
Die EU sei in Großbritannien viel weniger spürbar gewesen als in Österreich, sagt Fiona. Die Union werde als etwas gesehen, das viel Geld kostet, aber nicht präsent ist. „Nichts ist perfekt, ich habe aber im Laufe meines Lebens so viele Vorzüge der EU genießen dürfen, dass ich sie absolut zu schätzen weiß“, erklärt sie.
//Über das Brexit-Ergebnis zeigt sie sich weiterhin verärgert: „Bei der Diskussion in Großbritannien wurden wir einfach vergessen“, sagt sie: „Viele im Ausland lebende Briten werden den Brexit auf jeden Fall spüren, nicht nur weil sie viele Rechte verlieren.“ Sie erzählt von einem britischen Freund, der bisher in Innsbruck gelebt, aber in Südtirol gearbeitet hat: „Das darf er jetzt wahrscheinlich nicht mehr machen.“ Auch kennt sie Pensionisten, die Geld gespart haben, um sich eine Wohnung zu kaufen, und bald, als Nicht-EU-Bürger in Tirol, dazu nicht mehr berechtigt sind. Als Angestellte erwarte sie einfach nur mehr Bürokratie, meint sie. Sie bleibt auf jeden Fall hier, sagt sie und übt weiterhin fleißig Skifahren.
Izzy Cope
23. Juni 2016
Den Urlaubsbeginn hatten sich Izzy und ihre Freunde anders vorgestellt. Kurz vor der Landung auf Menorca wurde im ganzen Flugzeug hin- und hergeflüstert, Handys wurden durchgegeben und Seufzer signalisierten den Stewardessen, dass Tomatensaft gerade unangebracht war. „Really?!“-Fragen reihten sich an „Really!“-Antworten und es wurde massiv gegen die eigene Stirn geklatscht. „Am Flughafen kauften wir dann alle britischen Zeitungen, die wir kriegen konnten“, schildert Isobel „Izzy“ Cope ihren persönlichen Brexit-Tag. Wir haben auch gleich an einer Petition teilgenommen, die das Votum aufheben sollte, wussten aber, dass es eher eine Verzweiflungstat war.“
Im Märchenland.
2014 kam Izzy zum ersten Mal nach Tirol. Die Landschaft war schön, die Leute tief sympathisch: „Ich zog langsam, langsam hierher.“
„Als EU-Bürgerin habe ich, wie so viele, alles für selbstverständlich genommen.“
Izzy Cope, Künstlerin
Sie baute sich in Innsbruck ein Leben auf und gründete hier auch ihre Band „Hot Club du Nax“, mit der sie erfolgreich unterwegs ist.
Take it for granted.
„Als EU-Bürgerin habe ich, wie so viele, alles für selbstverständlich gehalten. Jetzt, wo ich bald keine mehr bin, merke ich, was ich damit alles verliere“, sagt Izzy. Der Brexit werde sie nicht zum Umzug zwingen: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass mir jemand das Leben so schwer machen und mich hier weghaben will“, sagt die Künstlerin lachend.
Was passiert bei einem Hard-Brexit?
Sonderregelung für britische Staatsbürger, die bereits in Österreich leben:
- Länger als fünf Jahre in Österreich: Aufenthaltstitel: Daueraufenthalt EU (unbefristet).
- Kürzer als fünf Jahre in Österreich: Rot-Weiß-Rot-Karte Plus (befristet auf ein Jahr).
- Für alle Briten, die nach dem Brexit nach Österreich ziehen, gelten die üblichen Bestimmungen für Drittstaatenangehörige.
Außerdem: Studenten aus einem Nicht-EU-Land müssen Studiengebühren in Höhe von 726,72 Euro pro Semester zahlen, ob das auch auf britische Studenten zutreffen wird, ist noch unklar.