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MÄRZ 2016

Kirchturm-Challenge

Sich sehen lassen, Hände schütteln, Schmäh führen, Sorgen anhören und Probleme diskutieren: Je kleiner der Ort, desto persönlicher der Kontakt. Das wird auch bei den Gemeinderatswahlen 2022 unverzichtbar sein. Dennoch erlebt Tirol mit dem Stechen um die Bürgermeisterposten am 13. März 2016 die letzte Abstimmung, bei der vermeintlich soziale Netzwerke noch keine Hauptrolle spielen.

E

s ist weder ein urbanes Phänomen noch ländliche Unbedarftheit, wenn einerseits alles auf digitale Plattformen wie Facebook drängt und andererseits der Einsatz dieser Kanäle für die politische Werbung in den Kinderschuhen stecken bleibt. Die Ice Bucket Challenge war 2014. Einen Sommer später diente Social Media erst zur Hochzüchtung der Willkommenskultur und ist seitdem nicht nur aufgrund seiner technischen Grundverfassung ein in mancher Hinsicht entmenschlichter Tummelplatz der gesellschaftlichen Polarisierung.

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Viele von denen, die sich vor eineinhalb Jahren noch per Eiskübeldusche – massenhaft und unreflektiert – zu Deppen des Netzwerkes machen ließen, teilen sich nun in Fraktionen von „Wir sind Charlie“ bis „Grenzen dicht“. Andere schreckt dies oder das ab, manche scheuen es sowohl als auch. Facebook, Twitter & Co. wirken ungeachtet ihrer beeindruckenden Nutzungszahlen auch als Spiegelbild des Gemeinwesens. Die stillen Beobachter sind um ein Vielfaches mehr als die schrillen Aktivisten.

Je heftiger sie auf allen Seiten ihre Propaganda-Süppchen anrühren, desto weniger drängen die Gemäßigten um Aufmerksamkeit. Der Trend zum „Ich bin drin“ besteht zwar längst generationsübergreifend, doch ähnlich stark ist auch die Zurückhaltung nach dem Muster: „Finger weg!“ Wer will sich diese schon verbrennen? Erst global, dann national, schließlich regional, letztlich lokal: immer mehr. Der Wunsch nach Bürgerbeteiligung, nach Partizipation wächst zusehends – so lange er mit dem Minimalaufwand eines Postings oder Tweets befriedigt werden kann. Das digitale Leben – ein analoger Traum. Oder umgekehrt. Auf jeden Fall: je mehr Arbeit sie bereitet, desto repräsentativer soll sie bleiben, die Demokratie.

Twitter noch nicht angekommen.

Während also Österreich nun mit den Kampagnen um die Bundespräsidentschaft eine von allen Seiten auch via Social Media intensiv geführte Auseinandersetzung erlebt, bleiben die Tiroler Gemeinderatswahlen wie auch das aktuelle Stechen um zahlreiche Bürgermeisterposten von solch „neumodischem Zuig“ noch ziemlich unbehelligt.

Abgesehen vom Sonderfall Wien ist Kommunalpolitik noch nicht wirklich angekommen in der österreichischen Twitter-Szene.

 

Ein Musterbeispiel für die politische Überwindung des ländlichen Raums mit Hilfe globaler Netzwerke.

Kampagnen für Facebook-Gemeinden.

Twitter ist dafür allerdings trotz oder auch wegen der Beispielwirkung des populärsten heimischen Zwitscherers Armin Wolf vorerst weniger geeignet als Facebook. Das liegt sowohl an der vom ORF-Anchorman vorgegebenen Anspruchshürde für die 140-Zeichen-Botschaften als auch an der stagnierenden Nutzerzahl des Kurznachrichtendienstes. Weltweit bei offiziell 320 Millionen, hierzulande bei geschätzten 150.000. Zwar wächst auch Facebook in den USA wie Österreich nur noch sehr langsam, doch mit global 1,6 Milliarden Usern und 3,5 Millionen davon in der Alpenrepublik auf einem deutlich höheren Niveau. Die Durchdringung der Gesellschaft bis in die hintersten Täler ist schon derart dicht, dass sich auf dieser Basis auch kommunal kampagnisieren lässt. Bei den Kärntner Gemeinderatswahlen 2015 hat sich auf solche Art der zuvor relativ unbekannte Social-Media-Beauftragte aus dem Büro von Landeshauptmann Peter Kaiser in die Villacher Gemeindepolitik katapultiert. Heute arbeitet Andreas Sucher dort als Stadtrat der SPÖ.

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Hierzulande versuchte unterdessen der 30-jährige Thomas Nothegger mit der Liste Unabhängige KitzbühelerInnen alle Register eines Internetwahlkampfes zu ziehen, um seinen Überraschungserfolg von 2010 noch zu übertrumpfen:

Das reicht von der Homepage dieunbestechlichen.at bis zum geschickten Facebook-Mix aus Information, Unterhaltung und Propaganda. Die Basis für diesen Aufwand ist schon viel breiter als das Klischee darüber. Rund 41 Prozent der Tiroler über 14 nutzen – passiv und/oder aktiv – die sozialen Netzwerke im Internet. Das Stadt-Land-Gefälle ist extrem abgeflacht: Es klafft nur noch zwischen 33 Prozent in den kleineren Gemeinden und 43 Prozent in Innsbruck. Sogar ein Fünftel der 60- bis 69-Jährigen gehört zu den Usern von Plattformen wie Facebook, wo bereits 500.000 der 3,5 Millionen Austro-Konten der Generation 50plus zuzuordnen sind. Tendenz: rasant steigend. Während die Jungen auf andere Plattformen ausweichen, um nicht von ihren Eltern um Freundschaft angebaggert zu werden, kapern die Uhus (die Unter-Hundert-Jährigen) die Communities.

Bewerbungsvideos als Wahlstandard.

Diese generationsmäßige Eroberung vollzieht sich vorerst so ungelenk wie das Gros der Politikerauftritte in der schönen neuen Scheinwelt. Doch der Durchmarsch der Senioren verändert auch die Kommunikationsstrukturen des größten Netzwerks. Die Prinzipien tendieren immer mehr vom erfrischenden Chaos zum wohlgeordneten Schlagabtausch.

Rund 41 Prozent der Tiroler über 14 nutzen – passiv und/oder aktiv – die sozialen Netzwerke im Internet.