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JUNI 2018

Der Sprung im Lebenslauf

Wovon früher nur geredet wurde, tun jetzt immer mehr: den sicheren
Job an den Nagel hängen, aus dem Trott aussteigen und etwas ganz
anderes machen. Drei Umsteiger, die den Schritt ins Ungewisse gewagt
haben, sind 6020 Rede und Antwort gestanden.

Fotos: Axel Springer, Franz Oss

„Der Hof hat quasi mich gesucht“

Jurist wird Bauer. „Meine Arbeit ist abwechslungsreich und sinnstiftend.“

 

W

enn Biobauer Thomas Huber in Gummistiefel und Arbeitshose seine Schafe füttert, dann erinnert nichts mehr daran, dass seine „Schäfchen“ früher hochverschuldete Klienten waren. Der gebürtige Dornbirner hat nach seinem Jus-Studium in Innsbruck zehn Jahre bei der Schuldnerberatung gearbeitet und irgendwann aus Neugierde bei einem Biobauern in Aldrans am Hof geholfen. „Das hat mir super gefallen und die Idee, selbst Biobauer zu werden, hat mich nicht mehr losgelassen.“ 

Saatgut statt Paragraphen.

Zunächst besuchte Thomas berufsbegleitend einen Kurs zum landwirtschaftlichen Facharbeiter.

„Vor zwölf Jahren ergab sich dann die Möglichkeit, einen 500 Jahre alten Hof samt Feldern in Absam zu pachten. Ich habe den Hof nicht gesucht, er hat quasi mich gesucht“, sagt der 55-Jährige. Die Reaktionen seines Umfelds waren durchwegs positiv und bestärkend. „Beruhigend war auch, dass ich mir zunächst ein Karenzjahr genommen habe und wieder in meinen alten Job als Jurist zurückgehen hätte können.“

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Der Umstieg fiel Thomas leicht, von anderen Bauern und einer Maschinengemeinschaft im Dorf wird er bis heute gut unterstützt. „Bei den Maschinen habe ich zu Beginn schon einiges an Erklärung gebraucht. Der Großteil der Arbeit auf meinem Hof wird aber sowieso händisch erledigt.“ Das Karenzjahr ging vorbei, und Thomas und seine Ehefrau blieben am Hof. „Meine Arbeit ist abwechslungsreich und sinnstiftend, außerdem liebe ich das Draußensein im Freien. Das Leben im Jahreskreislauf entspricht der menschlichen Natur, das spüre ich ganz deutlich.“ Thomas hält Hennen und Schafe und baut auf seinen 20.000 Quadratmeter großen Feldern 40 verschiedene Sorten Gemüse an, von Artischocken bis Zwiebeln.

 

„Familie und Freunde sind richtig scharf aufs Helfen.“

Thomas Huber
Zufall. Thomas bekam die Chance, einen 500 Jahre alten Hof samt Feldern zu bewirtschaften.

Der Duft von Leder

 

A

lles begann mit einem gekauften Lederarmband. Weil Thomas Lechle mit der Qualität des Bandes nicht zufrieden war, begann er vor fünf Jahren damit, bei Helmut Schmarda, einem guten Freund der Familie, in dessen 107 Jahre alten Lederwerkstätte in der Maria-Theresien-Straße selbst eines herzustellen. Es waren schicksalhafte Freitag- und Samstagnachmittage: "Wie ich da so zwischen den Jahrzehnte alten Nähmaschinen gesessen bin, den herrlichen Ledergeruch eingeatmet habe und immer mehr ein fertiges Produkt in Händen hielt, habe ich gemerkt, dass mich diese Arbeit glücklich macht und dass ich das auch in Zukunft machen möchte“, erzählt der 44-Jährige.

Thomas war zu diesem Zeitpunkt noch Produktentwickler bei Swarovski, sein Berufsleben davor war ein abwechslungsreiches: abgebrochene Vermessungstechniker-Lehre, Snowboardprofi, Produktdesigner, Grafik- und Designagentur-Inhaber, ein Masterstudium Innovation- und Produktmanagement am MCI, dann Marketingmanager. 

Lehre mit 40.

Thomas’ Gedanken begannen sich immer mehr um einen Berufswechsel zu kreisen. „Ich habe mir überlegt, dass ich noch mindestens 30 Jahre arbeiten muss, da will ich etwas machen, das mir richtig Spaß macht.“ Und so hat sich Thomas mit Anfang 40 für einen großen Umbruch in seinem Leben entschieden und eine Lehre als Taschner begonnen. 

 

„Am Ende meines Arbeitstages sehe ich, was ich gemacht habe.“

Thomas Lechle
Tun mit Sinn. Mit 44 ist Thomas jetzt Taschner.

Das Unternehmer-Gen

 

N

achdem ich gesehen hatte, wie viel meine Eltern arbeiten mussten, wollte ich selbst nie einen eigenen Laden führen. Aber wahrscheinlich habe ich das Unternehmer-Gen doch in mir“, lacht Marianne Kohlmaier-Ecker, während sie neue Porzellantassen einräumt. Die 37-Jährige hat zunächst Wirtschaft in Innsbruck studiert und war danach Produktmanagerin bei Swarovski. Vor acht Jahren fiel der Entschluss, dass sie ihrem Leben eine neue Wende geben möchte. „In meinem alten Job ist mir vieles zu langsam gegangen, ich wollte endlich eigene Ideen umsetzen, ohne zuvor fünf Leute fragen zu müssen.“ 

Sprung ins Ungewisse.

Marianne hängte damals ihren Job an den Nagel, ohne genau zu wissen, was danach kommen würde. „Ich wollte gern in Innsbruck bleiben, aber die Jobs im Bereich Design, die ich mir vorgestellt hatte, gibt es hier nicht, also musste ich mich nach einer Alternative umsehen.“ So entstand innerhalb eines halben Jahres die Idee eines eigenen Geschäfts. „Ich habe einen Businessplan erstellt und mir finanziell vieles überlegt. Zu meiner großen Freude und auch ein wenig zu meiner Überraschung ist eigentlich alles ziemlich genau so gekommen, wie ich es mir zu Beginn überlegt hatte.“

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Ein freies Geschäft war schnell gefunden, nur ein paar Schritte entfernt vom Laden ihrer Eltern, die seit mehr als 40 Jahren am Domplatz das Glaswarengeschäft „Gläserkastl“ führen.

 

„Es gibt so viele tolle Designer.“

Marianne Kohlmaier-Ecker
Plattform. In ihrem Geschäft verkauft Marianne das, was man sonst nicht findet.