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JUNI 2018

Stadtpolitik

„Ganz nett, aber halt doch ein Grüner“

Innsbrucks neuer Bürgermeister Georg Willi spricht mit 6020 über seinen Wahlsieg, warum es eine Koalition der Sieger gar nicht geben kann, was seine Regierung vorhat und warum das Alkoholverbot ihn persönlich beleidigt.

Interview: Rebecca Müller
Fotos: Axel Springer
6020:

Ihr Wahlsieg kam doch unerwartet. Haben Sie mittlerweile eine Idee davon, wie er zustande gekommen ist? GEORG WILLI: Ja, wir haben eine Ahnung. Die Ahnung kommt daher, dass Leute mir erzählt haben, was sie getan haben, damit ich gewählt werde. Ein Beispiel: Eine Familie aus dem Westen der Stadt hat sich darauf verständigt, dass sie alle mich wählen – bis zur fast 100-jährigen Oma, die aber seit Jahren nicht mehr wählen war. Dieses Mal ist sie aber mit ins Wahllokal und hat ihre Stimme für mich abgegeben.

Aber überrascht waren Sie trotzdem? Sicher! Was ich geahnt habe, aber nicht festmachen konnte, war eine Wechselstimmung, die in der Stadt zu spüren war. Die Frage war nur: Reicht dieser Wunsch nach Veränderung aus, um einen Grünen, der zwar ganz nett sein mag, aber halt doch ein Grüner ist, zum Bürgermeister zu wählen? Dass der Wunsch dann doch so groß war, hat mich überrascht.

Die Koalition steht, wird aber von vielen als Koalition der Verlierer kritisiert. Was entgegnen Sie diesen Kritikern? Die lade ich ein, folgenden Gedanken mit mir durchzugehen: Was ist das Gegenteil der Koalition der Verlierer? Eine Koalition der Sieger. Die Sieger der Gemeinderatswahl im April waren die Grünen, die Freiheitlichen und vier kleinere Parteien (NEOS, Gerechtes Innsbruck, ALI, FRITZ, Anm. der Redaktion). Wer glaubt, dass man mit diesen Siegern eine Koalitionsvereinbarung zusammenbringt? Eines weiß ich sicher, nämlich dass die Konzepte der Freiheitlichen und der Grünen in manchen Fragen teilweise sogar diametral anders sind, und da kann ich keinen Zug in eine Richtung zusammenbringen. Das Bild der Verlierer ist falsch, weil es die Koalition der Sieger gar nicht geben kann.

„Zum Patscherkofel: Das Werkl steht jetzt und die Rechnungen müssen bezahlt werden.“

 

Sie haben sich sehr viele Aufgaben und Ressorts auf Ihre To-do-Liste gepackt. Warum nehmen Sie sich so viel vor? Weil ich den Gestaltungsspielraum haben will und einfach auch brauche. Jetzt wissen wir, wie es um die Stadtfinanzen steht. Es ist keine Katastrophe, es ist aber eine angespannte Situation nach einer Phase großer und langwirkender Investitionen. Diese Infrastruktur wird – mit Ausnahme des Patscherkofels, das hätte ich anders gemacht, das wissen eh alle – der Stadt und ihren Bewohnern langfristig viel Gutes bringen. Jetzt müssen wir die Dinge, die wir brauchen, weiterbringen. Mit weniger Geld, dafür mit mehr Kreativität und guten Synergien. Und dazu brauche ich diesen Gestaltungsspielraum.

Wie stark belastet ist das Klima aufgrund der Causa Patscherkofel? Mein Zugang ist ein ganz pragmatischer. Die Patscherkofelbahn wurde errichtet und wird betrieben über eine eigene Tochtergesellschaft der IVB. Das Werkl steht jetzt und die Rechnungen müssen bezahlt werden. Wir könnten sagen: „Haha, es ist nicht mehr Geld da, wir zahlen die Schlussrechnungen einfach nicht.“ Und dann? Dann geht die Firma in Konkurs, und das ist keine Option. Da müssen wir in den sauren Apfel beißen, und das bedeutet, dass die letzte, als Darlehen geplante, Tranche über 7,3 Millionen als verlorener Zuschuss konzipiert werden muss, weil die Patscherkofelbahn Gesellschaft dieses Darlehen nie zurückzahlen kann. Die Mehrkosten, rund vier Millionen, müssen auch bezahlt werden, das haben wir bereits einstimmig – worauf ich bestanden habe – beschlossen.

Und die noch ausständigen Projekte am Patscherkofel? Genau, das ist der zweite Punkt. Zu den geplanten Projekten, die noch nicht finanziert sind, gehören die Rodelbahn, die Umwandlung des Speicherteichs in einen Badeteich und die Erweiterung des Parkplatzes. Da werden wir uns zusammensetzen müssen und darüber reden, was davon wir haben wollen und was wir uns noch leisten wollen. Persönlich glaube ich, dass die Rodelbahn Sinn macht, weil die Rodler zusätzliche Gäste für die Bahn bedeuten.  

Was ist in den nächsten Jahren noch möglich und wo liegen die Prioritäten? Die erste Priorität ist Wohnen und das Gute daran ist: Beim Wohnen muss die Stadt eigentlich kaum Geld in die Hand nehmen, sondern nur die Planungen vorantreiben. Finanziert werden die Wohnungen mit Geldern der Wohnbauförderung, da liegt viel Geld beim Land bereit. Gebaut werden sollen mindestens 3.000 Wohnungen. Kommen soll auch ein neues Modell der Mietzinsbeihilfe. Da geht es um zwei Fragen: Schaffen wir es wieder, ab dem ersten Tag Beihilfe zu geben? Und dann geht es noch um den Vorwurf, diese Beihilfe sei eine Vermieterbeihilfe. Also als zweite Frage: Wie schaffen wir es, den Menschen zu helfen, ohne ungewollt die Vermieter zu fördern?

„Das Bild der Verlierer ist falsch, weil es die Koalition der Sieger gar nicht geben kann.“

 

Auch Bürgerbeteiligung fällt unter Ihre Zuständigkeit, wie soll die aufgestellt werden? Die Bürgerbeteiligung gehört meiner Meinung nach in der Stabsstelle des Bürgermeisters angesiedelt, wird aber eine gemeinsame Sache aller Stadtsenatsmitglieder. Den Bürgerbeteiligungsausschuss wird es nicht mehr geben. Weil ich will, dass jedes Ressort Bürgerbeteiligung macht und nicht nur Bürgerinformation. Und das sollen alle Amtsführenden intensiv betreuen, und die Kompetenz dafür, die können sie sich in der Stabsstelle des Bürgermeisters holen.
    
Kann so die Wahlbeteiligung wieder erhöht werden? Was ich erreichen möchte, ist, dass die Leute kapieren, dass die Gemeinderatswahl eigentlich die Wahl ist, bei der sie den meisten politischen Einfluss nehmen können. Die Kommune regelt das Leben vor der Haustüre. Wo wird mein Kind in den Kindergarten oder in die Volksschule gehen? Wann fährt der nächste Bus? Wo ist das nächste Lebensmittelgeschäft? Wo ist der nächste Gastgarten, wo ich nach dem Hackeln ein Bier trinken kann? All das entscheidet die Gemeinde.

Kippt der grüne Bürgermeister die umstrittenen Verbote der vorigen Regierung? Um die Verbote zu kippen oder zu verändern, brauche ich natürlich eine Mehrheit im Gemeinderat. Die bekomme ich nur, wenn ich dazu ein Konzept vorlege, das dann auch überzeugend ist. Und daher muss ich zuerst nach Alternativen suchen. Für mich ist Verbot die Ultima Ratio, die man nur anwenden sollte, wenn es nicht anders geht. Das gilt für das Alkohol- wie das Nächtigungsverbot. Zu Ersterem: Ehrlich gesagt, mich als liberalen Menschen beleidigt es zutiefst, wenn ich in der Maria-Theresien-Straße sitze, und im Gastgarten kann ich trinken, bis ich fast vom Sessel falle, weil ich ja dafür zahle. Und wenn ich nebenan auf der Parkbank sitze, darf ich das nicht. Das beschränkt mich in meiner Freiheit.

Vielen Dank für das Gespräch.