ieser Aschermittwoch der Wiener wird ihr denkwürdigster seit einem Vierteljahrhundert sein. Am 14. Februar 2018 ist Michael Häupl 8.500 Tage Bürgermeister der zweitgrößten deutschsprachigen Stadt und Landeshauptmann der zu groß gewesenen Metropole für das kleingekriegte Österreich. Mehr als alle anderen Mandatare in der Republik verkörpert dieses rote Monument der Kommunal- und Regionalpolitik den Herbst der Patriarchen in der austriakischen Ausprägung des demokratischen Systems. Der versäumte Zeitpunkt für einen ruhmreichen selbstbestimmten Abgang ist dafür typischer als das Gerade-noch-die-Kurve-Kratzen seiner Vorgänger im Loslassen: Erwin Pröll und Josef Pühringer haben Nieder- und Oberösterreich zwar rechtzeitig übergeben, doch ihre Denkmäler wären strahlender, wenn sie dies vor dem Stiftungsskandal in St. Pölten und der FPÖ-Partnerschaft in Linz getan hätten.
Niessl als letzter Patriarch.
Wenn Häupl geht, kommt zwar nicht Johnny Walker, aber dann ist Hans Niessl der dienstälteste Landeshauptmann Österreichs. Seit Ende 2000 herrscht er im Burgenland, seit drei Jahren mit einem blauen Partner. Der Tabubruch des Sozialdemokraten ist älter als die volksparteiliche Entsprechung in Oberösterreich. Ein bundespolitisches Fanal, von dem sich die damalige Kanzlerpartie nicht mehr erholen sollte. Wenn Häupl geht, ist Niessl der letzte Patriarch, der Nestor der wahren österreichischen Parallelgesellschaft – jener Landeshauptleutekonferenz, deren Vorsitz ausgerechnet der Wiener Bürgermeister bis zum Beginn des österreichischen EU-Vorsitzes Mitte 2018 innehat. Dann folgt auch hier der Burgenländer, der im Frühjahr 2019 sagen will, wer der nächste Spitzenkandidat der SPÖ wird – nochmals er oder schon der einstige Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil. Ab dieser Wachablöse wird Günther Platter der aktuell routinierteste Landeshauptmann Österreichs sein.
Eher Verwalter als Fürst.
Der Zammer ist jetzt schon der erfahrenste Schwarze in diesem Job und nach Eduard Wallnöfer der längst dienende Häuptling der Tiroler in der Zweiten Republik. Aber er ist zudem so etwas wie der Erste. Denn auch nach zehn Jahren wirkt er noch eher als dienstleistender Verwalter denn wie der demokratisch legitimierte Fürst. Herwig van Staa war hierzulande der Letzte mit dieser – bei ihm schwiegerväterlich geprägten – Selbstgestaltung.
Der Wandel vom Patriarchen zum regionalen Verwalter wirkt auch hierzulande unumkehrbar.
Alois Partl platzhalterte zu kurz und zu schwach, um entweder/oder wahrgenommen zu werden. Wendelin Weingartner hätte bundesweit Role-Model-Charakter haben können, wenn der Machtmensch den Schachspieler in ihm überwogen hätte. In diesem Konjunktiv geriet er historisch zur Episode. Ausgerechnet Platter, von dem Weingartner, aber auch Fritz Dinkhauser – ersatzväterlich wohlwollend, aber ihn nicht ernst nehmend – behauptet haben, er sei ihre Entdeckung, übertrifft die Erwartungen in die Nomenklatura seiner Vorgänger.
//Einzig der Steirer Hermann Schützenhöfer ent-spricht heute noch einem älteren Landeshauptmannbild als jenem, das Platter in bald zehn Amtsjahren für sich entwickelt hat und situationselastisch vorgibt. Der einstige Bürgermeister, Kulturlandesrat, Verteidigungs- und Innenminister verkörpert das Paradoxon, dass „Dem Land Tirol die Treue“ zeitgeistiger wirkt als die „Satis-faction“ seiner Jugend. Sein notgedrungenes Handlungsfeld ist zwar die Defensive, doch wenn alles so kompliziert wird, wie der ihm nicht wesensfremde Kanzler Fred Sinowatz einst die Welt beschrieb, bietet dieser Rückzug auf die Selbstverteidigung die breitest mögliche Identi-fikations-fläche für – das Volk. Einer wie wir.
Königsdisziplin: Erdigkeit.
Paradoxerweise ist der gelernte Drucker und spätere Gendarm ausgerechnet in dieser Bodenhaftung den Epigonen mit der größeren Formalbildung voraus. Der seit 2011 regierende Vorarlberger Markus Wallner und mehr noch die 2013 gewählten Peter Kaiser in Kärnten sowie Wilfried Haslauer in Salzburg gelten ihm als intellektuell überlegen, unterliegen dem Tiroler aber in der Königsdisziplin des Landesvatertums: Erdigkeit. Der „Elha“ – wie die ehrerbietige Abkürzung LH lautmalerisch klingt – gewinnt nun einmal nie in der Hauptstadt, sondern auf dem Land. Oberösterreichs Thomas Stelzer, ein Linzer, lernt das gerade per „training on the job“, und die 2017 nur 13 Tage nach ihm an die Spitze Niederösterreichs gekommene Johanna Mikl-Leitner hat das hingegen längst intus. Für die einstige Landesgeschäftsführerin und -rätin war die Station als Innenministerin lediglich eine Bewährungsprobe. Die Parallele zu Platter fällt auf. Doch was hier bloß irgendwie passiert ist, war dort langfristig geplant.
//Der Wandel vom Patriarchen zum regionalen Verwalter wirkt dennoch auch hierzulande unumkehrbar. Platters historisches Verdienst wird es sein, dass er die Tiroler Sehnsucht nach dem starken Mann nie erfüllen konnte – und dennoch unangefochten Landeshauptmann blieb. Kein Macher, sondern ein Erfüllungsbestimmer für jene, die lieber im Hintergrund die Fäden ziehen.
So gesehen hat er mehr an kollektivem Erkenntnisgewinn bewirkt und Demokratieverständnis erzeugt als alle anderen Nachfolger des „Walli“. Der war ihm wahrscheinlich ähnlicher, als die vollkommen unterschiedliche Oberfläche der beiden vermuten lässt. Im Zweifelsfalle bei den wirklich Mächtigen. Der Unterschied zu einst liegt in der geringeren Machtanmaßung regionaler Repräsentanten mit immer weniger wirklicher Kompetenz.
Das Schweigen der Hauptmänner.
Der Image-Wechsel vom Patriarchen zum Administrator ist letztlich bloß die Folge einer systematischen Entmachtung der regionalen Verwaltungs-ebene. Durch Brüssel wie Wien. Die neue Bundes-regierung will den Föderalismus noch mehr stutzen. Die Landeshauptleute lassen sich diese Absicht gefallen, statt laut aufzuschreien. Dadurch sägen sie am eigenen Stuhl. Denn Selbstbehauptung schaut anders aus. Das Schweigen der Hauptmänner nährt die Sehnsucht nach dem starken Mann. Als Antwort auf diese Machtschablone brauchen die neuen Prag-matiker einen wesentlich deutlicheren Gegenentwurf im Balanceakt zwischen Autorität und Demokratie.