on klein auf werden Männer durch kulturelle Stereotypen und „bubengerechtes“ Spielzeug darauf konditioniert, mit Waffen zu spielen. Auch ich habe mich als Kind mit anderen Jungs in Baustellen verschanzt und im Wald den Guerillakrieg geprobt. Ohne, dass ich oder meine Eltern – von denen ich das Spielzeug bekommen habe – das je hinterfragt hätten.
Der Pazifist geht schießen.
Für die meisten meiner Geschlechtsgenossen sind das normale Kindheits- und Jugenderfahrungen, vor allem, wenn man vor dem Ende des Kalten Krieges geboren wurde. Obwohl ich in meiner Jugend zusätzlich zu diesen Erlebnissen auch noch unzählige Stunden auf digitalen Schlachtfeldern verbracht und tausende meiner Feinde mit virtuellen Headshots niedergestreckt habe, bin ich im echten Leben trotzdem ein Pazifist geworden. Mir fällt es sogar schwer, aufgrund meiner pseudo-buddhistischen Lebenseinstellung, lästige Insekten zu erschlagen.
„Stimmung kommt auf, als der Mittfünfziger eine Smith & Wesson Model 29 aus dem Rucksack holt.“
Und trotzdem haben Waffen auch für mich eine starke Anziehungskraft. Sie versprühen eine Aura von Macht, Potenz und Dominanz. Auch wenn ich mir der Blödheit dieser stumpfen Männerphantasie bewusst bin, kann ich mich ihr gleichzeitig nicht ganz entziehen. Aus diesem Grund wollte ich einmal selbst mit einer Pistole schießen.
Fluchtinstinkt und Herzrasen.
Bei Büchsenmachermeister Huber Fischbacher von HF Jagdwaffen in Innsbruck mache ich einen Termin für den Waffenführerscheinkurs am Landeshauptschießstand in Arzl aus. Dort angekommen, werde ich schon vom Mündungsknall begrüßt. Er fährt mir durch den ganzen Körper, sofort beginnt mein Herz zu rasen und in mir schreit alles nach Flucht. Ich muss diesen Instinkt überwinden und betrete einen Aufenthaltsraum, der nur durch eine Sicherheitsglaswand vom Schießstand getrennt ist. Dort warten bereits acht Männer zwischen 20 und 60 darauf, selbst dranzukommen. Sie und ich schießen einzeln hintereinander. Keiner von ihnen sieht wie ein ausgemachter Waffennarr aus. Alle wirken recht normal, außer, dass sie nicht wie ich bei jedem Schuss zusammenzucken.
//Ich setze mich hin und warte. Langsam gewöhne ich mich an den Lärm, merke aber, dass mich das Vorhaben doch um einiges nervöser macht, als ich erwartet hatte.
Dirty Harry ist auch am Start.
Im Warteraum herrscht Stille, außer einem Vater-Sohn-Paar, das darüber diskutiert, ob beide am Nachmittag noch Großkaliber schießen wollen, spricht keiner. Stimmung kommt auf, als der Mittfünfziger neben mir eine Smith & Wesson Model 29 aus seinem Rucksack holt und sie stolz vor den Anwesenden präsentiert. Das ist der Revolver, den Clint Eastwood als Dirty Harry für die Verbrecherjagd aus dem Halfter zog. Alle diskutieren darüber, wie die Waffe funktioniert, welche enorme Durchschlagskraft die 0.44-Magnum-Geschosse entwickeln und wo man diese mächtige Munition am günstigsten bekommt.
//Phallussymbolik vom Feinsten, alle starren bewundernd auf den langen Lauf der Waffe. Mir wird klar, dass es sich bei den Jungs großteils nicht um Neulinge wie mich handelt, viele sind am Schießstand, um ihren Waffenführerschein zu erneuern. Ein Umstand, der meine Nervosität nicht gerade mindert.
Die Gesetzeslage
Um in Österreich eine Waffenbesitzkarte beantragen zu können, sind die folgenden Schritte notwendig:
Grundvoraussetzung:
EWR-Bürger und mindestens 21 Jahre alt
Waffenführerschein:
Während des Kurses beim Büchsenmachermeister wird einem der sichere und fachgerechte Umgang mit der Handfeuerwaffe beigebracht. Nach dem Schießen gibt’s noch eine Einführung in das Waffengesetz und alle Pflichten, die mit dem Besitz einer Waffe einhergehen.
Psychologisches Gutachten:
Durch ein Gespräch und Tests wird festgestellt, dass der Antragsteller nicht dazu neigt, insbesondere unter psychischer Belastung mit Waffen unvorsichtig umzugehen oder sie leichtfertig zu verwenden.
Antrag beim zuständigen Amt:
Eine Rechtfertigung für den Besitz einer Schusswaffe muss abgeben werden.
Der erste Schuss.
Dann bin ich an der Reihe. Ich betrete den Schießstand und werde vom Büchsenmachermeister in Empfang genommen. Vor mir liegen eine Pistole, sechs Schuss und ein leeres Magazin. Der Fachmann erklärt mir, auf was ich achten muss, wie ich die Waffe lade, entsichere und gefahrlos mein Schuss abgebe.
//Dann bin ich auf mich gestellt. Nachdem ich den Hörschutz aufgesetzt habe, muss ich als Erstes die Munition ins Magazin laden. Das sieht leichter aus, als es ist. Die 9 mm Parabellum Patronen rutschen hin und her, man muss sie fixieren und mit Druck ins Magazin schieben.
//Dann folgt der Moment, auf den ich mich seit ein paar Wochen vorbereitet habe. Ich stecke das Magazin in die Pistole, ziehe den sogenannten Schlitten, den oberen, beweglichen Teil der Waffe, zurück, um eine Patrone in die Kammer zu laden. Die Waffe ist schussbereit. Ich kontrolliere noch einmal meine Haltung – Beine parallel und schulterbreit aufgestellt. Die Knie gebeugt und der Oberkörper leicht nach vorne gelehnt. Ich bringe beide Arme nach oben, schließe mein linkes Auge und visiere das Ziel an, lege meinen Zeigefinger auf den Abzug und drücke zum ersten Mal ab.
Der Schießstand in Arzl. Alle Teilnehmer schießen auf dieselbe Zielscheibe.
Boom, Boom, Peng!
Boom. Die Waffe reißt es nach oben, ich zucke instinktiv zusammen. Das Blut rauscht durch meinen Kopf und mein Herz will aus der Brust springen. Ich versuche mich zu sammeln, atme tief durch und lege wieder an. Boom. Das ganze sechs Mal. Ich drücke weiter ab, der Büchsenmachermeister tippt mir auf die Schulter, um mir zu signalisieren, dass ich das Magazin leergeschossen habe. Die Zielscheibe kommt von 50 Meter Entfernung auf uns zugefahren und ich erkenne am Schmunzeln von Hubert Fischbacher, dass er mir nicht sofort die Krone des Schützenkönigs überreichen wird. Nur ein Schuss hat es annähernd ins Zentrum geschafft, alle anderen sind verstreut oder gar nicht zu sehen. Er meint, dass ich mir nichts daraus machen solle, für Anfänger wie mich wären 50 Meter einfach zu weit weg.
Fazit.
Nachdem die Wirkung des Adrenalins langsam nachgelassen hat und ich mich auch emotional vom Stress des Handhabens der Waffe erholt habe, erkenne ich, dass das mit mir und den Waffen wohl nichts werden wird. 308.350 Österreicher besitzen eine oder mehrere Waffen – zu ihnen werde ich nie gehören. Der Stress, die Verantwortung und die Gefahr, jemanden zu verletzen oder gar zu töten, belasten mich zu sehr. Die Idee, eine Waffe im Haus zu haben, löst bei mir das Gegenteil von Sicherheit aus. Ich bleib dann doch lieber Pazifist.