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AUGUST 2019

Tierquälerei oder Tradition?

Wie in anderen Städten bekommen Fiakerpferde auch in Innsbruck ab 32 Grad hitzefrei. 6020 stellt darüber hinaus die Frage, ob das Pferd als Beförderungsmittel im Straßenverkehr noch einem modernen Zeitgeist entspricht.

Fotos: © Franz Oss, Brand
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arald Gritscher, der Eigentümer des gleichnamigen Fiakerunternehmens, weiß um die Problematik der öffentlichen Wahrnehmung seines Berufswesens. „Die Leute sehen ein Pferd mit heraushängender Zunge und meinen, es geht dem Tier schlecht. Weil die Hitze ihnen selbst zu schaffen macht, übertragen sie ihr Befinden auf das Tier.“

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Dieser Sichtweise hält er die schattenspendende Europaratsallee nahe des Landestheaters gegenüber. Die Pferde können dort rasten, und ein eigens angebrachter Wasserspender befeuchtet sie. Glaubhaft erscheint, dass Gritscher seine Pferde liebt, für sie sorgt und es ihnen den Umständen entsprechend gut geht. „Als Fiaker braucht man Verständnis fürs Pferd und Einfühlungsvermögen. Es entsteht eine Beziehung zwischen Pferd und Fiaker“, sagt der Chef des Fiakerunternehmens.

 

Andere Städte, andere Lösungen.

Die Stadt Rom, in der die Kutsche als Teil der antiken Vergangenheit eine weit zurückreichende Tradition besitzt, hat sich entschieden. Hier wurden die „Botticelle“ aufgrund ihres „nicht zeitgemäßen Daseins inmitten des pulsierenden Straßen-verkehrs“ aus dem Stadtkern entfernt. Elektrofahrzeuge übernehmen seither die Aufgabe der Lastentiere.

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Die bayerische Touristenstadt Rothenburg ob der Tauber verbannte im Jahr 2010 sämtliche Fiakerfuhrwerke aus der Altstadt. Diese Maßnahme ist aufgrund eines tragischen Unfalls mit einem Gespann getroffen worden und besitzt seither Gültigkeit. Wien verlagert bisweilen lediglich vereinzelte Standplätze der Pferde und Routen der Fiaker in schattige Seitengassen der Stadt.

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Gritschers größte Befürchtung gilt dem Verlust seiner Lebensgrundlage. Die Diskussionen in diesem Zusammenhang bereiten ihm Sorgen, das merkt man. Dass Teile der Altstadt seit geraumer Zeit nur mehr Fußgängern zugängig sind, bekräftigt ihn in seinem Denken. Enttäuschung und daraus wohl resultierender Trotz ist dem Fiakerunternehmer anzumerken, wenn er sagt: „Man hat hier immer reinfahren dürfen, jetzt braucht’s eine Sondergenehmigung.“ Diese würde jedoch nur bei Hochzeiten erteilt, so Gritscher.

"Als Fiaker braucht man Verständnis fürs Pferd und Einfühlungsvermögen."

Harald Gritscher, Fiaker

 

Führerschein, aber kein Gespür.

Als Problem erscheint dem Unternehmer zudem die neue Lenkberechtigungsbestimmung für Fuhrwerke. Diese schreibt den Besitz eines B-Führerscheines sowie eine dreijährige Erfahrung im Umgang mit Pferden vor. Seiner Ansicht nach genügt der auf drei Jahre festgelegte Umgang mit Pferden nicht als Legitimation einer Lenkberechtigung. „Stallausmisten zählt da auch dazu, reicht aber nicht aus, um das Tier zu kennen“, beanstandet Gritscher. 

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Bis vor wenigen Jahren galt allein die Beglaubigung des Unternehmens als Richtlinie einer Erteilung des Lenkausweises. Sein Argwohn darüber ist spürbar, wenn er von einer Fiakerin erzählt, „die den Beruf 30 Jahre unfallfrei ausübte, aber plötzlich nicht mehr durfte, weil sie keinen Führerschein besaß“. Hingegen drängen sich nun vermehrt „schwarze Schafe“ in den Fiakerberuf, „die haben dann zwar einen Führerschein, aber kein Gespür für das Tier, weil ihnen die Erfahrung fehlt“, so Gritscher. 

 

Kulturgut?

Gabriel Klammer, zuständig für das Fiakergewerbe in der Abteilung Transport und Verkehr der Wirtschaftskammer (WKO), vertritt nahezu wortgleiche Ansichten wie Gritscher. Die Vermenschlichung von Lebewesen wurde von Klammer des Öfteren als Kriterium einer öffentlichen Wahrnehmung genannt. „Außerdem wird der Fiakerbetrieb bei einer gemessenen Temperatur von 32 Grad zum Schutz der Tiere für den restlichen Tag eingestellt. Dies ist in den gewerbsinternen Bescheiden seit dem Frühjahr 2019 verankert“, so Klammer. 

Die Causa Rom und die Frage, ob man sich in Innsbruck ein ähnliches Vorgehen mit Elektrofahrzeugen vorstellen könnte, verleiten ihn zum Schmunzeln. „Nein. Das Fiakergewerbe hat in Innsbruck Tradition. Es würde Kulturgut verloren gehen. Wer sich eine Harley oder einen Mustang kaufen möchte, will kein E-Modell“. Außerdem ist er der Meinung, dass Innsbruck nicht mit einer verkehrsreichen Metropole wie Rom zu vergleichen ist.

„Das Fiakergewerbe hat in Innsbruck Tradition. Es würde Kulturgut verloren gehen.“

Gabriel Klammer, WKO
Fiakerz6z 5397

In der Europaratsallee stehen die Pferde im Schatten, dort ist auch eine Trinkstelle eingerichtet. 

 

Beschwerden?

Kristin Müller, Geschäftsführerin des Tierschutzvereins für Tirol, sieht die Sachlage in Bezug auf die Lebensbedingungen von Pferden in Städten etwas anders. „In den heißen Sommermonaten ist die Hitze teils unerträglich.“ Zusätzliche Belastungsfaktoren für das Tier markiert sie durch den aufgeheizten Asphalt und die stickigen Abgase. „Auch Bauarbeiter wissen um die Gefahr von intensiver Sonneneinstrahlung nur zu gut“, betont Müller. 

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Gibt es denn Beschwerden seitens der Bevölkerung? „Immer wieder gehen Beschwerden von aufgeregten Menschen ein, die sich um die Tiere sorgen“, antwortet die Tierschutzbeauftragte. 

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Als einzig Positives an der ganzen Sache sieht Kristin Müller die Gesetzesnovelle in den unternehmensinternen Bescheiden, die ein Verbot der Personenbeförderung ab einer gemessenen Temperatur von 32 Grad vorsieht. Ebenso werden die Fahrtenbücher, welches Pferd wo und wie lange im Einsatz ist, genauer überprüft.

 

Sporadische Kontrollen.

Eine allgemeine Tierhaltungsverordnung, die in ihrem Ausmaß obersten Standards entspricht, regelt die Haltung der Pferde. Das Innsbrucker Landesveterinärsamt kontrolliert in jährlichen Abständen die Einhaltung dieser Verordnung. Darüber hinaus darf in Innsbruck jedoch nur nach eingehenden Beschwerden kontrolliert werden. Harald Gritscher würde vermehrte sporadische Kontrollen begrüßen. Diese wären „effizienter und weniger kostenintensiv“.

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Klar ist, es geht um mehr als ums „Schwitzn in da Hitzn“ und die systematische Entzauberung der Welt. Die Causa wird bestimmt durch einen Interessenkonflikt. Das Tier, die Tradition, der öffentliche Verkehr – drei Dimensionen, samt übergeordneten Kammern und Verbänden. Drei gegensätzliche Positionen, die nur schwer miteinander ausgehandelt werden können, aber immerhin scheu aufeinander zutraben. 

„Immer wieder gehen Beschwerden von aufgeregten Menschen ein, die sich um die Tiere sorgen.“

Kristin Müller, Geschäftsführerin des Tierschutzvereins für Tirol