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AUGUST 2017

Tirol-Befüllung fürs Sommerloch

Wenn das europäische Parlament pausiert, der österreichische Nationalrat Ferien hat, der Tiroler Landtag eine Auszeit nimmt, dann ist August. Willkommen im Sommerloch? Nicht bei uns. Während die Italiener dem Ferragosto frönen, ehren die Tiroler ihre Landsleute und laden nach Alpbach zum Symposium. Der Hohe Frauentag ist ein ritueller Auftakt zur Selbstbesinnung in der Sommerfrische.

E

hre, wem Ehre gebührt? Gäbe es nicht den Slogan der AgrarMarkt Austria, würde der Begriff wohl im öffentlichen Abseits einer historisch-politischen Korrektheit verstauben. Allerdings mit dem starken Land-Stadt- und dadurch West-Ost-Gefälle, der diesem Comment eigen ist. Nun wirkt der Wiener zwar kaum weniger auf Auszeichnung erpicht, doch je Älpler, desto mehr sagt einer auch „Bei meiner Ehr‘“. Das fügt sich gut in eine Region, wo „Dem Land Tirol die Treue“ zur (un)heimlichen Zweithymne neben „Zu Mantua in Banden“ gerät. Diese Selbstdefinition verdichtet sich selten so intensiv wie am 15. August, wenn die römisch-katholische Kirche ihr Hochfest Mariä Aufnahme in den Himmel begeht. 

Landesfeiertag seit 58 Jahren.

Dass dies seit 1959 auch ein Landesfeiertag ist, hat aber mehr noch eine säkulare Ursache – das Gedenken an die dritte Bergiselschlacht von 1809. Die war zwar schon am 13. August, aber wenn schon nicht näher, mein Gott, zu dir, dann wenigstens zu Maria. Der Laizismus gehört nicht zu den Stärken Tirols, das lieber seine Schwäche für Helden pflegt. Am 20. Februar, dem Todestag von Andreas Hofer, verleiht das Land alljährlich ein Dutzend Ehrenzeichen. Während den Ring des Landes nur 15 Lebende tragen dürfen, ist die Gesamtzahl der Ehrenzeichenträger unbegrenzt. Landeshauptmann und Landtagspräsident erhalten ihn schon bei Amtsantritt. Ehre, wem Ehre gebührt?

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Die Ehrung am 15. August weicht dieser Frage aus. 48 Verdienstkreuze und 192 Verdienstmedaillen können Sommer für Sommer vergeben werden. Dazu noch Auszeichnungen für Lebensretter und Erbhof-urkunden. Dies lässt sich so kritisch sehen wie alle Ordensverleihungen in einem ohnehin übermäßig auf die Oberflächlichkeit von Titeln fokussierten Gemeinwesen. Es widerspricht aber auch nicht der Einordnung als Manifestation einer funktionierenden Zivilgesellschaft. Sie erhält 2017 jedoch besonders aktuelle politische Brisanz. Denn die Schar der Auszuzeichnenden ist klar aufgeteilt: 36 (144) Nord- und Ost-, doch nur zwölf (48) Südtiroler kommen pro Jahr für Verdienstkreuz und -medaille in Frage. Die Ehrung ist also eine Gesamttiroler Angelegenheit, auch wenn die Aufschlüsselung das Bevölkerungsverhältnis von 740.000 im österreichischen Bundesland und 510.000 in der autonomen italienischen Provinz nicht widerspiegelt. Folgerichtig beschäftigen sich die Festreden der beiden Landeshauptleute oft mit europäischen Themen. Sie werden dem Brenner heuer kaum auskommen.

Die Festreden der beiden Landeshauptleute werden dem Brenner heuer kaum auskommen.

 

Wider die Geschichtslosigkeit.

Unabhängig davon empfiehlt sich der Besuch des Festakts für alle Bundespolitiker, die diese innertirolische mit einer normalen Staatsgrenze verwechseln. Deren Vergleiche mit dem Burgenland und seinem Dichtmachen in Richtung Balkan sind eine geschichtslose Fahrlässigkeit. Und wenn sich Günther Platter, der seit 3. August mit 3.320 Tagen der nach Eduard Wallnöfer zweitlängst dienende Tiroler Landeshauptmann in der zweiten Republik ist, gegen „Romantik“ in der Brennerfrage ausspricht, ist das eine fahrlässig spekulative, auf kurzfristigen Wahlerfolg abzielende Wortwahl.

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Am 15. August gibt es auch alljährlich Anschauungsunterricht, dass diese Grenze mitten durch ein Land geht. Vor wenigen Wochen erst wurde das Jubiläum „25 Jahre Streitbeilegung mit Italien“ gefeiert.

Doch die offene Brennergrenze, nach dem Fall der Berliner Mauer und des Eisernen Vorhangs eines der kraftvollsten Symbole der europäischen Einigung, wird seitdem von Wien aus mit Füßen getreten – und in Tirol zu wenig verteidigt. Die Sonntagsreden von der Euregio gemeinsam mit dem Trentino wirken mehr denn je wie pures Geschwafel, wenn die EU-Integration bei der ersten größeren Belastungsprobe schon auf einem der niedrigsten Alpenpässe scheitert. Falls das Niveau der Auseinandersetzung um allfällige Flüchtlingsströme nicht bald die historische Größe der Streitbeilegung erreicht, waren Jahrzehnte österreichischer Südtirol-Politik vergeblich. Nicht von ungefähr fühlten sie sich in Bozen schon früher oft in München besser als in Wien verstanden. Aber nicht nur dort. 

Vom Konflikt zur Kooperation.

Obwohl er nicht dafür gedacht ist: Der Hohe Frauentag 2017 wird der Auftakt zu einer überfälligen kritischen Reflexion der Tiroler Selbstdefinition. Denn schon am 16. August geht es weiter. Das Europäische Forum Alpbach steht unter dem Motto „Konflikt und Kooperation“.