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SEPTEMBER 2020

Das Boot ist toll

Ein Anker in Quarantänezeiten: Normalerweise baut Steffi Bielowski von Berufs wegen schnittige Boote in England. Dass ihr edles Kanu „Family Spirit“ nun in Tirol entstanden ist, hat mit Corona zu tun. Und mit Blut, das bekanntlich dicker ist als Wasser.

Fotos: Franz Oss
A

m Achensee dampft und raucht es. Nicht nur, weil das Sommergewitter vom Vortag noch am Himmel hängt, sondern auch, weil Schamanin Doris gerade alle erdenklichen Schutzgeister zusammentrommelt. Im wörtlichen und im übertragenen Sinn. Was das bringen soll? Ganz einfach: „Glück und Segen“ für das 5,6 Meter lange und 22 Kilo schwere Holzkanu, das in der taunassen Wiese auf seine Jungfernfahrt wartet. Zu Wasser geht es also just dort, wo vor einigen Monaten die Idee für die „Family Spirit“ – so der Name des Hauptdarstellers der spirituellen Taufzeremonie – entstanden ist. Damals, als die Corona-Pandemie die Welt auf den Kopf zu stellen begann, saß Steffi Bielowski mit ihren Eltern am Seeufer und überlegte, wie sie diese „komische Zeit“ bloß sinnvoll nützen könnte. Die Wahlengländerin hing nämlich nach einem Heimatbesuch in Innsbruck fest. Gestrandet in Tirol. Was nun?

„Nur herumzusegeln, war für mich auf Dauer zu arg. Ich habe mich irgendwie entwurzelt gefühlt.“

Steffi Bielowski

Am Wasser gebaut.

Die Sauerteigangst bekämpfen. An den Bauchmuskeln arbeiten. Einen auf Marie Kondo machen. Italienisch lernen. Steuerunterlagen ordnen. Die Küche ausmalen …

 

Corona-Projekte gab es ja wie Sand am Meer und genauso viele versandeten wohl auch wieder, als mit Mai dann die ersten Lockerungen auftauchten. Doch da legte Steffi erst richtig los. Am Achensee hatte sie nämlich beschlossen, für ihre Eltern ein Kanu zu zimmern. Und dafür ihren Vater Michael ins Boot zu holen. Der ehemalige Geschäftsführer der Olympiaworld hatte als Neopensionist Zeit und war „ein toller Lehrbua“, wie Steffi lächelnd betont. Eine Anmaßung, die sich die 35-Jährige durchaus erlauben kann. Schließlich hat die professionelle Holzbootsbauerin ihr Handwerk vor nunmehr sechs Jahren an der „Boat Building Academy“ im südenglischen Lyme Regis gelernt. „Die Ausbildung war extrem spannend: weil es eine Mischung aus traditionellem Handwerk und moderner Technologie war“, erzählt die passionierte Wasserratte, die zuvor eine Zeit lang als Skipperin über die Weltmeere cruiste.

 

Die längste Tour führte sie damals von Malaysia nach Australien und dauerte stolze sieben Monate. „Wenn man so lange auf dem Wasser unterwegs ist, dann wird man immer mehr mit dem Boot vertraut: Mich hat dann das Technische plötzlich viel mehr zu interessieren begonnen als das Segeln“, sagt Steffi, die nach diesem Langzeitturn aber auch gemerkt hat, dass sie wieder festen Boden unter den Füßen wollte. Steffis Erkenntnis: „Nur herumzusegeln, war für mich auf Dauer zu arg. Ich habe mich irgendwie entwurzelt gefühlt. Und das wollte ich ändern.“

Das Boot ist toll

Auf Holz klopfen: In Steffis Kanu stecken unzählige Stunden Handarbeit und eine gehörige Portion Familie. Das schmucke Logo stammt von ihrer Zwillingsschwester Tina, eingeschnitzt hat es ihre Tante Traudi.

Das Boot ist toll
Das Boot ist toll
Das Boot ist toll

Die Geister, die ich rief: Bei einer spirituellen Taufzeremonie am Achensee werden alle erdenklichen Schutzgeister für das Boot zusammengetrommelt.

Mit der Lizenz zum Cruisen.

Wurzeln hat die Innsbruckerin mittlerweile in England geschlagen. Dort lebte sie zuletzt in London und widmete sich an der Themse dem Bau von klassischen Ruderbooten – und zwar mit Techniken, die schon vor 100 Jahren en vogue waren. Zuvor arbeitete sie – als eine der wenigen Frauen – für die renommierte Firma „Spirit Yachts“ in Ipswich, die nicht nur Boots-, sondern auch Filmkennern ein Begriff sein dürfte. Schließlich schipperte anno 2006 kein Geringerer als James Bond in Gestalt von Daniel Craig in „Casino Royale“ in einer edlen Mahagoniyacht der Marke „Spirit“ durch Venedig. Und auch in „No Time To Die“, seinem finalen Auftritt als 007, wird Craig wieder auf einer „Spirit“ übers Meer und durch seine Missionen segeln, wie Steffi verrät.

 

Aber zurück zu Steffis Kanumission, die in einer stillgelegten Holzwerkstatt in Innsbruck von der Idee bis zum fertigen Produkt reifte. Und in der nicht nur jede Menge Arbeit, sondern auch ganz viel familiäres Herzblut steckt. Das Tochter-Vater-Projekt wuchs sich nämlich im Laufe der Wochen immer mehr zu einem richtigen Verwandtschaftsabenteuer aus: Die im Stil von Thonet-Sessel geflochtenen Sitze stammen von Steffis Mama Heidi, ihre Zwillingsschwester Tina hat das schmucke Bootslogo entworfen, das wiederum von Tante Traudi eingeschnitzt wurde.

 

Auch die eingangs erwähnte Schamanin Doris ist keine Zufallsbekanntschaft, sondern eine weitere Tante aus dem verzweigten Clan. „Das Schöne an diesem Boot ist, dass eigentlich meine ganze Familie drinnensteckt: Deshalb ist es auch perfekt, so wie es ist“, gerät Steffi ins Schwärmen. Der ideale Name für das schnittige Kanu, das aus kanadischem Zedernholz gebaut wurde und auch Mahagoni- und Eiche-details birgt, lag also auf der Hand: „Family Spirit“, what else?

„Das Schöne an diesem Boot ist, dass meine ganze Familie drinnen steckt: Deshalb ist es auch perfekt, so wie es ist.“

Steffi Bielowski

Späne bringen Glück.

Nachdem die Schutzgeister nun also an höchster Stelle aktiviert und in Alarmbereitschaft versetzt wurden, umgibt die „Family Spirit“ bereits zur Morgenstund eine dezente Whiskeyfahne. Zu Taufzwecken hat das Kanu nämlich eine hochprozentige Munddusche abbekommen. Sprich: Die Bootsbauerin und die neuen Bootsbesitzer haben das hölzerne Schmuckstück mit einem Mund voll Whiskey besprenkelt – die Champagnerflasche, die ansonsten obligatorisch am Rumpf zerschlagen wird, würde ja nur unschöne Dellen im schönen Holz hinterlassen.

 

Gemeinsam wird das Kanu zum Ufer getragen und sanft ins Wasser gehievt, doch bevor überhaupt der erste Paddelschlag getan wird, ertönt ein verheerendes Krächzen. Die Leisten, mit denen die Sitze am Bootskörper angebracht wurden, sind gebrochen. Wie das passieren konnte? „Eine Schlamperei von einem Tischler“, murmelt Steffi mit etwas betrübter Miene. Und ärgert sich, dass sie nicht doch jeden Handstreich selber gemacht hat.

 

Doch Minuten später strahlt sie auch schon wieder. Ihre Eltern paddeln nämlich einfach auf den Knien über den See – und sind begeistert vom schwimmenden Familienzugang, der trotz kleinen Makels mit in den Griechenlandurlaub darf. Dort wird dann auch das Geheimfach eingeweiht, das Steffi für etwaige Sun-Downer-Momente eingebaut hat – ein Flascherl Wein und zwei Gläser haben in diesem schicken Special-Feature fabelhaft Platz. Wenn das James Bond wüsste ...

 

Gekommen, um zu bleiben.

Steffi denkt indes schon an das nächste Boot. Und an die Verlängerung ihres Heimatbesuchs. Die Arbeit an der „Family Spirit“ hat ihr nämlich so viel Spaß gemacht, dass es sie vorerst einmal nicht zurück in ihre Werkstatt nach England zieht. „Ich kann mir durchaus vorstellen, dass ich noch eine Zeit lang hier in Tirol bleibe und weitere Kanus oder auch Kajaks baue. Nachdem ich so lange an großen Projekten gearbeitet habe, war es jetzt einfach toll, ein bissl was Fragileres zu bauen: und zwar vom Anfang bis zum Ende“, verrät sie. Jetzt müssten nur noch die Schutzgeister dafür sorgen, dass künftige Bootsprojekte auch ohne Corona-Welle auskommen.

Traditionshandwerk

Die renommierte „Boat Building Academy“ liegt in der Kleinstadt Lyme Regis in der südenglischen Grafschaft Dorset. In einem 40-wöchigen Kurs lernen die Studierenden hier die Kunst des Bootsbaus in Theorie und Praxis. Die Ausbildung verbindet traditionelles Handwerk mit modernsten Techniken und vermittelt neben allen erdenklichen Bauarten auch Einblicke in die unterschiedlichen Antriebssysteme. Absolventen arbeiten oft in der Marineindustrie oder als selbstständige Bootsbauer. Übrigens: Die Branche ist nach wie vor sehr männlich besetzt. In England sind nur acht Prozent der Bootsbauer weiblich.

 

Info: www.boatbuildingacademy.com

 

In Österreich wird Bootsbau unter anderem an der HTBLA Hallstatt oder an der Berufsschule in Kremsmünster unterrichtet.