utzenbacher, Bossin, Tyrol, Munding – Schriftzüge, die sich über Innsbrucker Geschäftslokalen präsentieren und Häuserfassaden schmücken. Gedruckt, gemalt oder eingraviert, auf Schildern oder als Leuchtreklame. Viele davon kennt man seit Kindheitstagen, einige sind zum Anhaltspunkt oder gar zum Treffpunkt geworden – an anderen geht man täglich vorbei, ohne sie zu bemerken. Diese Schriften prägen eine Stadt genauso wie ihre Architektur. Einige sind laut und grell, andere verhalten sich dezent und unauffällig. Doch allesamt haben sie eine Geschichte zu erzählen, sei es eine persönliche, eine politische oder wirtschaftliche – und stets sind sie Abbilder des kulturellen Wandels.
URBANTYPES.
Die Wirkung von diesen Schriften im öffentlichen Raum fasziniert Nicola
Weber und Markus Weithas vom Verein WEI SRAUM ebenso wie die Innsbrucker Grafikerin Karen Gleissner, die seit einigen Jahren das „Buchstaben-Archiv“ betreibt und dafür ausrangierte Schriftzüge sammelt. Ihr geht es vor allem darum, historische Schriftzüge und einzelne Buchstaben vor der Vernichtung zu retten.
Aus der geteilten Leidenschaft für Schriften im öffentlichen Raum ist nun das Projekt „Urbantypes“ entstanden. „Uns geht es vor allem um die Sensibilisierung“, erklärt Nicola Weber. Seit Projektbeginn blickt auch sie selbst viel häufiger auf Fassaden und ist stets auf der Suche nach spannenden Schriftzügen.
Ein wesentlicher Teil des Projekts sind die sogenannteN „Typowalks“ durch die Stadt.
Ein wesentlicher Teil des Projekts sind die sogenannten „Typowalks“ – typografische Spaziergänge durch die Stadt, bei denen Schriftzüge erkundet und ihre gestalterischen Hintergründe erklärt werden. Gleichzeitig wird die kulturelle und teils auch persönliche Geschichte entdeckt. „Die Idee für die Typowalks ist uns schon länger im Kopf herumgeschwirrt, 2016 haben wir sie erstmals ins Vereins-Programm aufgenommen“, erzählt Nicola Weber. Der nächste typografische Spaziergang findet am 27. September statt, startet in Wilten und endet in der Altstadt. „Insgesamt haben wir 27 Stationen und bei ungefähr zehn Stationen gehen wir in die Tiefe.“
//Der Schwerpunkt liegt auf Geschäftsschriftzügen, jedoch stehen Exkurse in die Schriftgeschichte anhand der Schriften am Goldenen Dachl sowie in die politischen Aspekte der Typografie ebenfalls auf dem Programm. „Spannend ist, dass hinter jeder Schrift Persönlichkeit steckt“, sagt Markus. Auch für zukünftige Schrift-Spaziergänge gibt es bereits viele Ideen: „Wenn wir den Typowalk irgendwann einmal ausweiten, könnten wir den Schwerpunkt bewusst auf historische Beschriftungen setzen oder vielleicht auch in Richtung Graffiti und Urban Art schauen.“
LOKALES FLAIR.
Das Projekt „Urbantypes“ wird im Rahmen der stadt_potenziale 2016 gefördert. Die Verbindung von Schrift und Stadtbild soll im Mittelpunkt stehen. „Der lokale Bezug ist insofern interessant, weil es dadurch eine Vergleichbarkeit zu anderen Städten gibt.
„Schriften sind unter anderem die Identifikation mit einem Ort.“
Nicola Weber
Schließlich haben unterschiedliche Städte ihr eigenes typografisches Flair, was natürlich mit der Handwerkskultur vor Ort zusammenhängt“, erzählt Nicola. Ebenfalls interessant sind natürlich die Typografen und die gesamte Marketing- und Werbebranche, die hinter den Schriftzügen steckt.
//Bereits in der ersten Recherchephase konnte das Urbantypes-Team jede Menge Material sammeln – und der Buchstaben-Fundus von Karen Gleissner hat ebenfalls enorm viel zu bieten. Damit wollen die Projektinitiatoren nun an die Öffentlichkeit gehen. Das verbindende Medium soll ein Blog sein, auf dem die neuesten Funde online vorgestellt und gesammelt werden – und damit auch die Beteiligung der Innsbrucker Community angeregt werden soll. Externe Mitwirkung ist nämlich sehr willkommen, sei es in Form von fachkundiger Unterstützung bei der Recherche oder auch als Austausch unter Gleichgesinnten. Für 2017 ist auch eine Ausstellung angedacht, die sich gänzlich dem Thema Schrift im öffentlichen Raum widmet und die Ergebnisse von Urbantypes präsentieren soll.
LIEBE ZU ALTEN SCHRIFTZÜGEN.
Das Thema Schrift und Schriftzüge ist derzeit in der Öffentlichkeit sehr präsent – national wie international. „Wo man auch hinschaut, ob nach Wien, München, Berlin oder Barcelona, es gibt überall ähnliche Projekte und Typo-Blogs rund um das Thema“, erzählt Markus Weithas.
Woher kommt dieser Trend? „Das Thema ist sehr spannend, weil es viele Sachgebiete berührt. Es ist für einen Architekten genauso interessant wie für einen Kunsthistoriker oder einen Soziologen, da sich der soziale Aspekt in der Schrift ausdrückt.“ Und natürlich geht es auch um persönliche Erinnerungen.
//Durch den Wandel der Zeit ändern sich nämlich auch die Schriften, die sich im Stadtbild abbilden. Die Wirtschaftsgeschichte, aber auch die Demokratisierung der Medien und das digitale Zeitalter lassen sich dabei besonders gut erkennen. Gewisse Klassiker sind bis heute unerreicht. „Wenn ich mir den ‚Stockereck’-Schriftzug in der Maria-Theresien-Straße anschaue, den ‚Rajsigl’ oder den ‚Pharmazie’-Schriftzug in der Anichstraße, dann kann man heute immer noch sagen: Das sind von Typografen sehr gut gestaltete Schriften“, sagt Markus Weithas. „Auch die Größe der Schriftzüge ist schön in die Fassade integriert und bezieht sich auf die Gesamtarchitektur.“ Der heutige Trend geht ganz klar zu immer größeren und lauteren Schriften. Doch auch darin erkennt
Weithas einen positiven Aspekt: „Durch das Laute kommt man wieder drauf, dass das Stille als eine Pause wahrgenommen wird und besser lesbar ist.“
RETTET DIE BUCHSTABEN.
Der wirtschaftliche Wandel im Stadtbild ist einer der Gründe dafür, warum immer mehr individuelle Schriftzüge von den Fassaden
verschwinden und Labels und Logos vieler großer Ketten an ihre Stelle treten. Damit geht viel mehr als nur ein Teil der Stadtgeschichte verloren: „Schriften sind unter anderem die Identifikation mit einem Ort. Wenn sie zunehmend verschwinden, vereinheitlichen sich die Stadtbilder natürlich immer mehr“, sagt Nicola Weber.
//Diese Schriften zu bewahren ist ein großer Wusch von Karen Gleissner, die aus einer Passion heraus Schriftzüge und einzelne Buchstaben vor ihrer Vernichtung „rettet“ und archiviert. „Wenn Geschäfte aufgelöst werden, dann ist es unser Anliegen, diese Schriften zu erhalten“, erklärt Karen. „Im Idealfall bleiben sie auf der Fassade und sind damit weiterhin ein Teil der lebenden Ortsgeschichte. Ist dies nicht möglich, so gebe ich ihnen in meinem Buchstabenarchiv eine neue Heimat.“
//Im Rahmen von Urbantypes soll Karen Gleissners großes Archiv der Öffentlichkeit gezeigt und noch mehr Aufmerksamkeit auf das Thema gelenkt werden. Doch um dieses Stück Innsbrucker Geschichte zu bewahren, braucht es die Unterstützung vieler Menschen. Tipps und Mithilfe sind immer willkommen.
Der nächste „Typo-walk“ findet am
27. September statt. www.weissraum.at
Kontakt zum Buchstabenarchiv:
[email protected]
„Wenn Geschäfte aufgelöst werden, dann ist es unser Anliegen, diese Schriften zu erhalten.“
Karen Gleissner