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SEPTEMBER 2015

Kunst

Ende der Unschuld

In ihrem Megahit „Bad Romance“ betrauert Lady Gaga nicht bloß eine grottenschlechte Romanze, nein, das Video ist vollgepackt mit okkulten Botschaften, altägyptischen und satanischen Symbolen. Die Künstlerin Karin Ferrari weiß, inwieweit Theorie, Paranoia und fantastische Erzählung hier zusammenfließen.

Foto: tiroler landesmuseum
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enn’s fad wird, ist Fiktion einfach besser. Ein Talent zum Geschichtenerfinden hat Mensch ja schon immer an den Tag gelegt. Okkulte Verschwörungstheorien sind als solche noch spannender, und dass man diese noch in einem Pop-Video entdeckt, ist die absolute Krönung. Es ist schon ein paar Jahre alt, darum hier kurz die entschlüsselte Storyline zu Lady Gagas Musikvideo „Bad Romance“: Der Protagonistin wird eine Gehirnwäsche verpasst, die Arme wird mit Wodka gefügig und willenlos gemacht, und ihre Seele leidet. Nach einer glamourös und zugleich derb angedeuteten Gang-Bang-Szene – hier steht der Diamantenregen für eine bestimmte Körperflüssigkeit – muss sie aber noch ein allerletztes Opfer bringen. Sie muss gehörnte Tiere anbeten, dann brennt’s. Daraufhin wird sie zur Siegerin, einer Sonnengöttin, die nun mit unsterblichem Ruhm gekrönt wird.

Karin Ferrari, SYMBOLIC SYNTAX OF LASER SPACE CATS AND UNICORNS, Poster 2013

 

Es gibt sehr viele Musikvideos, die das zeigen. Ich kann leider nicht alle analysieren, weil so eine Videoanalyse sehr zeitaufwändig ist.“ Aber mit drei Videos hat sie sich intensiv beschäftigt. So entstand ihre erfolgreiche Trilogie mit dem Titel „DECODING (THE WHOLE TRUTH)“, in der sie Videos von Lady Gaga, Azealia Banks und Katy Perry sachlich, wissenschaftlich und bewusst auch pseudowissenschaftlich entschlüsselt. Und dabei ist es völlig irrelevant, dass diese Bereiche ineinanderfließen und gleichwertig behandelt werden. Karin Ferrari spielt gerne mit reißerischen und populistischen Netzphänomenen, die so tun, als gäbe es nur einfache Erklärungen für die Welt und gleichzeitig einen hohen Wahrheitsanspruch geltend machen. Ferraris Video-Werke können als Persiflage auf eben diesen Pseudo-Wahrheitsanspruch gesehen werden.

Konsumkritisch, aber reizüberflutet.

Sind coole Markenlogos einfach nur schön anzuschauen, oder ist man als Konsument immer auch ein kleines bisschen Opfer der Markenomnipräsenz? Die Künstlerin beschäftigt sich auch mit anderen Pop-Phänomenen: „Ich verwende und interpretiere visuelles Material aus dem popkulturellen Bereich, zum Beispiel Modefotografie, Logos und Grafikdesign von Albumcovers. Damit mache ich Collagen, Poster und T-Shirts.

Ein Beispiel dafür ist das Poster ‚SYMBOLIC SYNTAX OF LASER SPACE CATS AND UNICORNS’, das Bilder der Hipster-Subkultur der frühen 2010er-Jahre systematisiert, und zwar anhand einer Kreuztabelle.“

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In ihren Collagen spielt die 34-Jährige mit dem Zwiespalt zwischen einer leider-geilen Faszination für schöne Sachen und der dazugehörigen Skepsis, weil die Herstellung dieser Produkte eventuell nicht koscher ist. Da kommt die Frage auf: Finden wir Gucci, Apple und Co. bloß schön, weil es uns die Werbelogos ständig eintrichtern? Oder sind sie wirklich makellos schön, und wir müssen sie einfach haben? Warum gibt es Dinge, die es vermögen, ganze Massen anzuziehen? Ferrari entdeckt diese Blickfänge an jeder Ecke unseres Alltags, im Fernsehen, in Illustrierten und sogar Erotikmagazinen. Diese setzt sie dann in ihren Werken neu zusammen, und als Betrachter erschaudert man, weil sich die Anziehungsmechanismen aller Elemente plötzlich ähneln. Aber: Ferraris Kunst belehrt nicht, gut möglich, dass das auch gar nicht ihre Aufgabe ist, dafür erzeugt sie lustige Aha-Effekte.

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Was hat die Wahlwienerin noch so vor? „Nachdem ‚DECODING (THE WHOLE TRUTH)‘ auf YouTube sehr erfolgreich war, kommt nächstes Jahr im Rahmen von ‚ORF III Artist in Residence’ ein Spin-off davon ins Fernsehen“, erzählt sie. Das ganze „Triple-Feature“ kann man übrigens auch im Innsbrucker Volkskunstmuseum im Rahmen der Langen Nacht der Museen am 3. Oktober erleben. Und bis zum 13. September kann man ab Seite 470 im ORF Teletext Karin Ferraris „Darktxt“-Beiträge sehen.