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OKTOBER 2019

„In Berlin sind wir ‚ethno‘“

Musiker, Autor, Dandy, Naturliebhaber, Großstadtmensch, Kurzzeittiroler: Ernst Molden hat viele Gesichter. 6020 traf ihn im Rahmen des 17. Sprachsalz Literaturfestivals in Hall. Auf der Veranda des Parkhotels erklärt er, wer im Dialekt singen sollte, wie es war, in den 1980ern in Tirol jung zu sein, und warum Karfiol böse ist.

Fotos: Franz Oss
6020:

In Ihrem Schaffen stehen Sie zwischen Literatur und Musik, zwischen DeltaBlues und Schrammelmusik, zwischen Geheimtippstatus und Wienerlied-legende. Sind Sie ein Nischenviech? Ernst Molden: Ich würde mich als „Gschichtldrucker“ bezeichnen. Das ist ein Ausdruck, den es in Wien gibt für jemanden, der die Welt mit seinen Geschichten unterhält. Alles, was ich mache – ob das jetzt Romane sind, Kolumnen oder in den letzten Jahrzehnten hauptsächlich Songs –, es ist immer Geschichtenerzählen. Mein Hauptanliegen ist, dass mir und meinem Publikum nicht fad wird. Das heißt, ich muss etwas Neues zu erzählen haben.

Ihr Lebensweg ähnelt ein wenig dem von Leonard Cohen: zuerst Romane veröffentlichen und dann Musik machen ... Ein bisschen.

Sie haben in einem Interview gesagt, dass Sie perfekt zwischen Döblinger-Sprech und Arbeiterdialekt switchen können. Welches Viech sind Sie? Ein Chamäleon? Das Chamäleon ist eher David Bowie. Ich bin ein Laubfrosch. Wenn er auf einem grünen Blatt sitzt, ist er grün. Wenn er auf dem Ast weitergeht, wird er braun.

Sie gelten als Liebhaber und literarischer Kartograph des 3. Wiener Gemeindebezirks. Teile Ihrer Jugend haben Sie aber in Tirol verbracht. Hat Ihre frühere Heimat in Ihnen und Ihrer Musik Spuren hinterlassen? Als ich da war, wollte ich eigentlich nur nach Wien zurück. In den frühen 1980er-Jahren war Hall in Tirol stockkonservativ. Ich war in einer katholischen Schule mit sehr netten Patres. Trotzdem ist mir der Sound von Wien abgegangen. In Tirol habe ich richtig gut Gitarrespielen gelernt.

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Zu der Musik, die ich jetzt mache – zu amerikanischem Folk und Blues –, bin ich hier gekommen. In Wien haben s’ gekokst und Keyboard gespielt, in Tirol haben s’ Bier getrunken und Folk gespielt. Mir ist auch wichtig, dass ich hierherfahre. Meine Mama wohnt in Alpbach und ich verbringe immer wieder Zeiten da. Am besten nicht im Winter, weil ich die Skifahrer nicht aushalte, und schon gar nicht im Sommer, weil ich das Forum in Alpbach nicht aushalte.

Zuletzt erschienen sind sein Kolumnenband „Das Nischenviech“ (2019), das Album „Dei Schwesta waand“ (2018) mit dem Frauenorchester sowie das Soloalbum „Hurra“ (2018).

„In Wien haben s’ gekokst und Keyboard gespielt, in Tirol haben s’ Bier getrunken und Folk gespielt.“

Ernst Molden
Ernst Molden und das Frauenorchester, mit dem er das Album „Dei Schwesda waand“ (2018) aufgenommen hat und regelmäßig auf Tour geht

„Die Welt braucht beides. ‚Hells Bells‘ und ‚Kuri Li‘“, so verbinden Sie gleich im ersten Aufsatz aus Ihrem neuen Buch einen Singvogel mit einem der berühmtesten Glockeneinsätze der Musikgeschichte. Überhaupt suchen Sie in Ihrem aktuellen Buch „Das Nischenviech“ die Natur in der Großstadt. Sind Sie einer, der Gegensätze zusammenbringen will? Ich finde, das ganze Leben ist ein ständiges Hin- und Herfedern zwischen Polen. Man muss sich immer für einen Weg entscheiden. Das begründet auch meine Faszination für Wien: Es ist eine wirklich große, uralte Stadt, die 700 Jahre Kaiserresidenz war und alles mögliche und trotzdem absolute Wildscapes hat – nicht nur im Wienerwald und in der Lobau, sondern auch in den Bezirken. In Wien gibt es immer Orte, an denen du in Ruhe gelassen wirst.

Sie sind in Ihrer Karriere als Musiker am Anfang oft von Kritikern zerrissen worden ... Aber es war auch so uncool. Als ich angefangen habe, war Wiener Elektronik am Höhepunkt, Kruder und Dorfmeister und so. Keiner hat wienerische Lieder mit der Akustikgitarre gemacht, das war nicht in. Nachdem ich meine Frau immer romantisieren konnte, habe ich das immer weiter gemacht, bis sich die Zeiten geändert haben.

„Um mich hat es nie einen Hype gegeben.“

Vor ein paar Jahren kamen aber Wanda, Voodoo Jürgens und viele andere daher, machten sehr erfolgreich dasselbe und wurden im Radio auf und ab gespielt. War das für Sie frustrierend? Ich habe mich daran gewöhnt, dass das Radio eigentlich keine Rolle spielt. Mir ist es immer ums Livespielen gegangen. Um mich hat es nie einen Hype gegeben. Das war ein allmähliches Größerwerden und eine Gemeinde finden. Mir ist dieser Vorgang viel lieber. Richtiger Pop ist natürlich plakativ. Songwritermusik ist die Musik mit Zwischentönen, da wirst du nie so riesig werden.

„Das Böse riecht nach Karfiol“, lautet eine Zeile aus dem Song „Feiaweamau und Inschenea“ vom aktuellen Album „Die Schwesta waand“. Wie riecht eigentlich das Gute? Das Gute riecht nach Flieder, nach Lindenblüten im Sommer, nach einem guten Gulasch. Karfiol ist eigentlich ein liebes, unschuldiges Gewächs. Ich mag’s halt nicht. Brokkoli auch nicht. Alles, was Roserln hat, ist nicht zum Essen.

Auf dem 17. Sprachsalz-Festival erzählte Ernst Molden seine „Gschichtln“ – während und zwischen den Songs.

„Ich rege mich schon auf, aber nicht musikalisch.“

Ich habe hier noch ein paar Sätze zum Vervollständigen. Dialektmusik ist ... Ich mag, wenn der Sound, den ich höre, mit dem Menschen zusammenpasst. Die Dialektmusik ist reduziert auf ein geografisches Feld. Wir spielen bis Bayern rauf, und ab dann versteht uns keiner mehr.

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Wir werden nach Berlin oder Hamburg eingeladen, aber da werden wir als „ethno“ betrachtet. Du reduzierst dich natürlich mit der Sprache, aber wenn du die Inhalte so sehr in deiner unmittelbaren Umgebung suchst, wie ich das mit Wien mache, dann ist die Sprache automatisch da. Der Onkel Fredl sagt, was er sagt, und so gehört das in den Song.

Dialektmusik aus Tirol endet leider oft bei den Jungen Zillertalern. Es verdrießt die Leute ein bisschen, dass die ganz große Masse die Jungen Zillertaler oder einen Gabalier oder irgendeinen Scheiß hört. Gabalier war ja gerade im Praterstadion. Das kannst du dir nicht vorstellen, das war wie im neuen Jim-Jarmusch-Film über die Zombies. Nach dem Konzert war ich zufällig im Prater und habe geglaubt, ich bin in „The Dead Don’t Die“ – nur, dass die alle Lederhosen anhatten. Das war unfassbar.

Ein Songwriter ist ... Ein Typ oder eine Frau, der oder die Songs schreibt. Es ist die älteste Form der Literatur. Homer, mit dem alles angefangen hat, war ein Songwriter. Sprache ist per se Musik. Letztens habe ich ein Gedicht von Goethe ins Wienerische übertragen und vertont. Goethe ist ein super Songwriter.

Sie sind ein großer Dylan-Fan. Würden Sie auch Protestlieder schreiben? Ist Ihre Musik irgendwie politisch? Nein, das sind alles Liebeslieder an meine Frau, an meine Lieblingslandschaften, an meine Stadt. Wenn ich protestieren will, ist mir der Song zu schade. Ich rege mich schon auf, aber nicht musikalisch.

Wie viel ist künstlerische Freiheit heute Wert? Alles.

Vielen Dank für das Gespräch.

Zur Person

Ernst Molden (* 1967) ist Schriftsteller, Liedermacher und Gschichtldrucker. Der gebürtige Wiener zog als Jugendlicher nach dem Konkurs von Vater Fritz Molden mit der Familie nach Alpbach in Tirol, bis er nach Matura und Bundesheer wieder ins geliebte Wien zurückkehrte. Heute ist er inoffizieller Stadtchronist, offizieller Dandy und Bandkollege von Willi Resetarits, Dem Nino aus Wien und vielen anderen.