er Schreibtisch ist ein nicht angezündeter Scheiterhaufen aus Papier, Staubfussel rollen durch die Wohnung wie in einem Western für Hausparasiten, Termine sind es heute nur noch zwei und im Kühlschrank befinden sich noch Senf und ein halbvolles Glas Essiggurken. Entspannung und Ruhe sind für mich bloß noch zwei Worte wie Weltfrieden oder Pizza Hawaii, zwei unbegreifliche Abstrakta in einer sich selbst zugrunderichtenden Welt. Mitten in diesem Chaos sitze ich auf einem schlichten Holzstuhl wie ein Mönch. In den Händen halte ich mein Smartphone, auf dem Bildschirm leuchten die Buchstaben der frisch gedownloadeten App Headspace, meine letzte Hoffnung. Ich will mit digitalen Hilfsmitteln wieder zu mir kommen und meditierend meinen inneren Frieden finden.
Erinnerungen.
Die Oberfläche der App sieht freundlich aus. Ein Kreis, der orange ist wie die Kutte eines buddhistischen Mönchs, verwandelt sich in einen weißen Bildschirm.
Sobald man drin ist, kommen die Fragen. Ob ich schon Erfahrung in Meditation habe? Flashback: Ich sehe mich als Teenager im Religionsunterricht der spirituell-progressiv angehauchten Pfadfinderart. Wir sitzen auf runden gestickten Kissen in einer Art Gummizelle aus Teppichstoff. Die Lehrerin versucht, unsere Klasse sanft in einen erweiterten Sinneszustand zu kommandieren, mein Schulfreund und ich kichern ununterbrochen und fliegen raus.
//Ich klicke auf die Schaltfläche „Ja“. Die nächste Frage erörtert, warum ich die App nützen will. Eine Auswahlmöglichkeit: um weniger gestresst zu sein. Eine andere: konzentrierter zu werden. Ich stelle fest, dass es womöglich besser wäre, meine auf zehn Sekunden beschränkte Aufmerksamkeitsspanne zu erhöhen, und entscheide mich für letzteres.
Der Blick von außen.
Selbst für einen Menschen, der durch das übertriebene Verwenden von Humor als Abwehrmechanismus überhaupt nichts mehr ernst nehmen kann, ist das Konzept hinter Headspace ein schönes und aufrichtiges.
Entspannung und Ruhe sind für mich bloß noch zwei Worte wie Weltfrieden oder Pizza Hawaii.
Meditation ist etwas, das man lernen muss, und das braucht Zeit. Gedanken sollen nicht „ignoriert, gejagt oder verdrängt“, sondern „akzeptiert“ werden, sagen mir inspirierende Quotes, die gelegentlich aus dem Nirwana der App auftauchen. Es geht um den Blick von außen, wie ein Comic eines Männchens zeigt, in dem seine Gedanken in Form von kleinen Autos einfach vorbeifahren. Solche Dinge erzählt und zeigt die beruhigende (wohlgemerkt Englisch sprechende) Stimme vor jeder Session, die man idealerweise täglich bestreiten soll. Viele Religionen unter anderem fernöstlicher und christlicher Tradition haben dieses Konzept zum Beispiel in Form von Gebeten ritualisiert.
//Meine Portion täglicher Spiritualität bekomme ich nun von einem unsichtbaren Mann aus meinem Handy. Vor jeder Einheit heißt es: bequem sitzen, tief durchatmen und die Augen schließen.
Die Stimme will die Aufmerksamkeit auf meinen Körper und meine unmittelbaren Sinneseindrücke lenken. Abschweifen sei normal. Man müsse nur wieder zurückfinden. Nach drei Minuten ist die erste Sitzung vorbei. Was ich fühle? Müdigkeit und Lust auf eine Zigarette. Notiz an mich: Mein Bett ist kein guter Meditationsort.
Was bringt’s?
Im Laufe der ersten Lektionen, die unter dem Titel „Basics“ verzeichnet sind, stellt sich schon nach wenigen Tagen so etwas wie eine Routine ein. Das bewusste Sitzen, das kontrollierte Atmen, das Zirkulieren der Gedanken von der Außenwelt und zurück zur Atmung wird langsam automatisiert. Obwohl ich nicht wirklich einen langanhaltenden Effekt spüre, bin ich in diesen drei, vier Minuten zumindest Zeuge des, wenn man so will, „Idealzustandes“. Und manchmal schafft man es wirklich, kurz aus dem Fluss des Alltags auszusteigen.
Nach drei Minuten ist die erste Sitzung vorbei. Was ich fühle? Müdigkeit und Lust auf eine Zigarette.
Weiter als zu diesen kurzen Momenten bin ich allerdings noch nicht gekommen. Die Übungen sind relativ ähnlich aufgebaut, ständig wird einem versichert, dass es nicht schlimm sei, wenn man noch nichts dabei spüre. Ich merke, dass ich mich anstrenge zu entspannen. Der österreichische Psychologe Paul Watzlawick bezeichnete solche Zustände als „Paradoxien“. Man nimmt sich etwas vor, das „befolgt werden muss, aber nicht befolgt werden darf, um befolgt zu werden“. Das scheint logisch.
Das Pferd zähmen.
Wenn ich mich unter Druck setze, entspannter zu sein, kann das nur schiefgehen.
Eines der Lehrvideos hat auch für dieses Problem eine Lösung parat. Anstatt sich in einen Zustand zu zwingen, soll man sich lieber natürlich und langsam der gewünschten Entspanntheit nähern, wie bei einem wilden Pferd, das man zähmen will (ja, das sagen die wirklich so).
//Das klingt schön und gut, ist zugleich aber das größte Problem der App. So allgemein formuliert, klingt die Idee des Meditierens einfach. Auf dem hölzernen Stuhl, wo mich bereits ein kochender Mitbewohner oder die Müllabfuhr im Innenhof aus dem Konzept bringen, sehen die Dinge anders aus. Meditation ist kein Vier-Minuten-Schläfchen und schon gar kein Schabernack. Es ist Training – ein geistiger Wanderweg. Wohin? Ich weiß es noch nicht.
Info Zum Ausprobieren:
Headspace – downloadbar im App Store und bei Google Play
Ich merke, dass ich mich anstrenge, zu entspannen.