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NOVEMBER 2018

Lebensmitteltafel

Retter der Tafelrunde

Dass in Österreich jedes fünfte Brot im Müll landet, während im selben Land eine Million Menschen an der Armutsgrenze leben, ist traurig und absurd. Die gute Nachricht: Etwas dagegen zu unternehmen, ist überhaupt nicht schwer. 6020 übernimmt die Beweisführung.

Fotos: Axel Springer
N

et ausm Kreiz“, empfiehlt eine Frau lächelnd, während ihr junger Kollege eine volle Lebensmittelkiste aufheben will. Es ist Samstag, 19.15 Uhr. Knapp 20 Personen haben alle Hände voll zu tun, weil ein soeben angekommener und voller Kleintransporter entladen werden muss. Es ist die letzte Lieferung für heute, und alle Freiwilligen der Team Österreich Tafel wissen, was nun zu tun ist, damit die Ausgabe der gespendeten Lebensmittel pünktlich um 19.30 Uhr beginnen kann.

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In der Halle der Innsbrucker Rotkreuz-Bezirksstelle wird’s also kurz hektisch: Kisten werden zielstrebig durch den Raum getragen, Kartoffeln, Ketchup, Getränke oder Schokolade je nach Tisch, Kühlschrank und Regal sortiert, hergerichtet oder im hinteren Bereich gelagert. „Wohin mit der Hundewurst?“ „Zu den Tierprodukten.“ „Was machen wir mit den großen Packungen Tiefkühlmakrelen?“ „Aufmachen und kleinere Portionen vakuumieren, das Gerät ist hinten.“ Der Umgangston ist freundlich, die Stimmung fröhlich. Die Freiwilligen sammeln und verteilen unverkäufliche, einwandfreie Lebensmittel, die von Supermärkten, lokalen Lebensmittelgeschäften, Bäckern oder direkt von den Produzenten gespendet werden. Die Dame am Gemüsetisch untersucht noch ein paar Zwiebeln, schnipselt rasch kaputte Blätter ab und drapiert das Ganze sorgfältig zu einem 1a-Warensortiment.

Die Essensausgabe findet seit März jeden Samstag in der Zentrale am Sillufer statt.

Retter der Tafelrunde

DIE EINSAMMLER. Franziska und Stefan fahren jeden Samstag verschiedene Supermärkte an.

Retter der Tafelrunde

LETZTE HANDGRIFFE. Ab 19.30 Uhr werden die Lebensmittel verteilt.

 

Die Essensausgabe ist das neueste Projekt des Roten Kreuz Innsbruck, das seit dem 31. März jeden Samstag in der Zentrale am Sillufer stattfindet. In anderen Bezirken Tirols ist die Tafel schon länger tätig. „Vorher ging’s nicht, wir hatten ein Platzproblem“, sagt Stefan Biebel, Leiter des Bereiches Gesundheit und Soziale Dienste. Doch als die ehemaligen Räumlichkeiten der Bergrettung am Areal frei wurden, wurden sie endlich fündig.

Tetris spielen.

Ein paar Stunden früher, am Samstagnachmittag. Franziska ist 20 Jahre alt, wird gerade zur Sanitäterin ausgebildet und ist seit Anfang an bei der Tafel dabei. Dass es beim Roten Kreuz auch einen sozialen Bereich gibt, findet sie super: „Soziales Engagement ist mir wichtig und ein angenehmer Ausgleich zum Rettungswesen.“ Heute hat sie schon mehrere Sammelfahrten absolviert, später hilft sie auch noch bei der Ausgabe. Zeitaufwand: acht bis neun Stunden. „Sie ist sehr fleißig“, lobt Fahrer Stefan, Franziska lächelt etwas verlegen. Bei der Freiwilligenarbeit gibt es je nach Bereitschaft auch kürzere Jobs zu erledigen, wie etwa den knapp zweistündigen Fahrerdienst, den ihr Kollege übernommen hat. Von der Tafel erfuhr der 45-Jährige, als er zufällig einen Erste-Hilfe-Kurs absolvierte. „Ich glaube, dass Helfen zum feineren Miteinander beiträgt. 

Man kann Geld spenden oder die eigene Zeit aufwenden. Die paar Stunden gehen sich auch ohne furchtbaren Freizeitverlust aus“, ist er überzeugt. 

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Ihre gemeinsame Route führt sie heute durch Pradl bis zur Rossau, um vier Märkte zu besuchen. Dass die beiden uniformiert unterwegs sind, gehört zum üblichen Prozedere – bei einem Notfall müssten sie die Tafelarbeit unterbrechen, intervenieren oder Verstärkung holen. Meistens können sie sich aber auf die Warenabholung konzentrieren. Obwohl die Spenden vom tagesspezifischen Kaufverhalten der Kundschaft abhängen, kann das Duo recht gut abschätzen, wie viele Lebensmittel bei welcher Etappe erbeutet werden können. Zwischendurch eine freundliche Plauderei, ein flottes „Wir haben schon was vorbereitet“ vom Verkaufspersonal oder ein bekennendes „Wäre toll, wenn ihr jeden Tag kommen könntet“, und der Transporter füllt sich langsam. Milchprodukte kommen in die Kühlboxen, offene Waren werden mit Handschuhen angefasst. Hygiene ist wichtig. „Jetzt dürfen wir dann Tetris spielen“, kündigt Franziska vor der letzten Etappe an. Tatsächlich warten dort etliche Kisten, das Duo muss umfüllen und umschichten. Es wird knapp, aber es geht sich aus. „Es ist viel Obst und Gemüse dabei, da werden sich die Kunden aber freuen“, sagt Stefan zufrieden. Jackpot.

„Ideal wären 100 Freiwillige, damit das Arbeitspensum während der Urlaubszeit leichter bewältigt werden kann.“

Jasmin Carli

 

„Ideal wären 100 Freiwillige, damit das Arbeitspensum während der Urlaubszeit leichter bewältigt werden kann“, lautet Carlis Wunsch für die Tafel. Interessierte werden regelmäßig zu Schnuppertagen eingeladen.

An der Aufgabe wachsen.

Die Aufgabenbereiche umfassen die Abholfahrten in Zweierteams, die Sortierung und Essensausgabe sowie der Anmelde- und Wartebereich für die Kunden. Letztere erhalten vor Ort ein nummeriertes Ticket, womit die Reihenfolge der Lebensmittelausgabe ausgelost wird – ein System, das sich laut Biebel und Carli bewährt hat. Da die Tafel niemanden mit leeren Händen nach Hause schicken will, werden die Waren anhand der Anmeldedaten im Vorhinein grob eingeteilt und fair ausgegeben.     „Wenn beispielsweise 80 Kunden kommen, wissen wir, dass sie Essen für insgesamt 300 Personen brauchen.“ Die verfügbaren Mengen richtig einzuteilen, ist daher die wohl größte Herausforderung. Das notwendige Know-how erlernen die Freiwilligen der Tafel in einer 32-stündigen Grundausbildung, Erste-Hilfe-Kurs inklusive. „Bei Fragen sind aber immer mehrere Ansprechpersonen vor Ort“, sagt Jasmin Carli. 

Der Umgang mit der Kundschaft ist dafür unkompliziert: „Das sind Menschen wie du und ich. Wenn man ihnen mit Wertschätzung begegnet, akzeptieren sie auch ein ‚Nein, mehr haben wir leider nicht‘. Konflikte gab es nie“, sagen Carli. Und Stefan Biebel ergänzt: „Es ist schön mitzuerleben, wie Menschen dank einer Aufgabe über sich hinauswachsen.“

 

GERN GESEHEN. In den Geschäften wartet man schon auf das Team.