„Die Leute feiern dich einfach, wenn du ihnen Alkohol bringst.“
Timo
n der beleuchteten Triumphpforte gabelt sich frühabends Innsbrucks hochprozentigster Konvoi. Das Schlachtschiff, ein randvoll mit Spirituosen, Bier und anderem Sortiment gefüllter VW T5, den man weniger ob der Größe als seines Inhalts als Laster bezeichnen könnte, fährt nach links, ein etwas kleinerer Ford Transit nach rechts. Auf der Fahrerseite des kleineren Wagens sitzt Timo, 25, Psychologiestudent und Getränkelieferant bei Inndrinks. Vor wenigen Minuten hat er den ersten Auftrag des Abends erhalten. Am Weg muss Timo noch bei einem Stammkunden vorbeischauen. Einer dieser Vielbesteller ist Herr K., der sich alle paar Tage seine Palette Schwechater vor die Tür liefern lässt. „Er ist einfach ein bisschen älter, hat es mit der Hüfte, mit den Knien“, weiß Timo. Einige Wenige würden sich schämen, Alkohol im Geschäft zu kaufen.
Boxershortmann und Schwimmreifengirl.
Nach der Bierübergabe im zigarettenrauchgeschwängerten Hausflur und ein paar Sätzen Smalltalk geht es zur nächsten Adresse. Vier Red Bull, zwei Tafeln Schokolade. Der Tipp eines Getränkeliefernovizen: Ein Medizinstudent im Prüfungsstress. Timos Vorschlag: Ein Pärchen, das sich einen schönen Abend machen will und die Mischgetränke bereits zu Hause hat. Vor der Wohnung der scheuen Kundin ist allerdings keine Zeit für Milieustudien: Tür auf, Waren rein, Geld raus und tschüss. Für Timo ist diese Art der Warenabwicklung noch die angenehmste.
zwölf Euro Trinkgeld gab es von der Frau mit einem Entenschwimmreifen um den Bauch.
„Die Kunden machen uns in x-beliebigen Zuständen die Tür auf“, hat Timo einst von einem Arbeitskollegen mitbekommen. Im Laufe seiner Zeit bei Inndrinks stellte Timo fest, dass mit x-beliebig auch nur mit Boxershorts bekleidet gemeint sein kann. „Der Herr Boxershorts bestellt traditionell eine Kiste Bier und optional eine Flasche Wodka mit Energydrink und einen Beutel Eiswürfel, je nachdem, ob er Damenbesuch hat oder nicht.“ Psychologische Analysen seiner Kunden hat Timo längst aufgegeben. Man könnte dem Herrn Boxershorts ja durchaus eine gewisse Extrovertiertheit zuschreiben. „Solche Leute sind aber auch die, die am besten Trinkgeld geben.“ Dies galt auch im Fall zweier als Tiere geschminkter Frauen im Bikini, die sich auf Kosten ihres betrunkenen Freiers Getränke frei Haus liefern ließen: Zwölf Euro Trinkgeld gab es von der Frau mit einem Entenschwimmreifen um den Bauch.
Riesling und Kondome.
Die nächste Bestellung soll in eine teure Wohngegend Innsbrucks gehen. Eine Flasche Riesling mit Mineralwasser. Die Meinung eines Amateurs: kinderloses Ehepaar. Timos geschulter Instinkt bringt bloß ein Wort hervor: Studenten. Schon im Hausgang beben die Bässe.
Zwei Mädchen sitzen kichernd auf der Treppe vor der Altbauwohnung und halten sich am Geländer fest, sodass man darunter lieber zügig vorbeigeht. Ein angeduselter Skater-Typ Anfang 20 bezahlt und seine Freunde freuen sich. Timo zwängt sich durch das Treppenhaus, man hört, wie ein anderer junger Mann die Nachbarn nach Kondomen fragt. Sie spielen Wahrheit oder Pflicht, flüstert ein anderer.
Vom Messias zum Buhmann.
„Die Leute feiern dich einfach, wenn du ihnen Alkohol bringst“, schätzt Timo seine Funktion ein. Wie sehr manche Menschen ihren Alkohollieferanten mögen, ist jedoch bemerkenswert. Schon von einigen „durchaus gutaussehenden Mädels“ wurde ihm angeboten, nachher noch vorbeizukommen. Solche Angebote kämen öfter vor, der bereits vergebene Timo lehnt aber immer höflich ab. Das Angebot einer feiernden WG, nach dem Dienst noch einen Sprung vorbeizuschauen, ließ er sich allerdings nicht entgehen.
//Ganz so heiter und ungefährlich ist der Job eines Getränkelieferanten natürlich nicht immer. Ein Arbeitskollege bekam im Handgemenge zweier Männer beinahe eine volle Wodkaflasche um die Ohren und musste dem werfenden Wüterich noch eine halbe Stunde lang erklären, dass es dafür keine neue Flasche gebe.
Timos Bruder Yannick wurde von einem Anrainer fast verprügelt, weil er kurz am Straßenrand seines Grundstücks gehalten hatte.
//Am wenigsten Probleme hat Timo mit einer bestimmten Art von Kunde. Bei Bestellungen von zwei Tafeln Schokolade, Eistee, Longpapers und Aktivkohlefilter könne man sich sicher sein, dass niemand nach einer Viertelstunde anruft und fragt, wie lange es noch dauert. Ein weiteres Kuriosum: „Die Kiffer bestellen meistens per E-Mail.“ Warum das so ist, kann sich Timo jedoch nicht erklären.
Besser spät als nie.
Von den Bestellungen mit Sicherheit auf die Kunden zu schließen, ist für Timo meistens nicht möglich. Sicher ist nur, dass am Wochenende Hochbetrieb herrscht. Getränke liefern lassen sich Jung und Alt, Alkoholiker, Studenten und Junggebliebene. Timo und Yannick erzählen zum Schluss die Geschichte eines „alten schrägen Hippie-Pärchens“: Als die Frau verschwitzt und nur mit einem Männerhemd bekleidet das Geld holen geht, hört man die Stimme eines im Sofa halb versunkenen Mannes, der sich auf Englisch nach Zigaretten erkundigt. Die Frau im Pensionsalter kommt zurück, gibt gut Trinkgeld und sagt mit ruhiger, tiefer Stimme: „Besser spät als nie, geh?“