as hat es in Tirol ganze 27 Jahre lang nicht gegeben: Eine Bodybuilder-Amateur-Meisterschaft. Es ist ein milder Oktobertag und das FoRum ist pumpvoll (das Wortspiel ist Absicht). Wer bei „Amateuren“ mit nur dilettantisch durchtrainierten Teilnehmern rechnet, irrt gewaltig. So viele Muskelprotze und -protzinnen in echt zu sehen, sorgt bei Laien zunächst für Schockstarre. Der Unterschied zwischen zweidimensionalen TV-Builder-Bildern und deren Live-Leibhaftigkeit ist riesig.
Große Szene, hohes Niveau.
Die Kategorie Neulinge betritt die Bühne, also Athleten, die zum ersten Mal mitmachen. Einer davon ist 60 Jahre alt. „Bitte eine Doppelbizeps-Pose von vorne. Eine seitliche Trizeps-Pose. Einmal Doppelbizeps mit Wade“, lauten die Ansagen des Moderators, die Teilnehmer gehorchen und präsentieren jede einzelne Faser und Faszie ihrer Muskeln. Manche lächeln dabei verschmitzt, anderen steht viel Anstrengung ins Gesicht geschrieben. Als Nächstes ist die Fitnessklasse der Damen
dran, auch Bikiniklasse genannt. Erst später, als eine Teilnehmerin ganz nahe vorbeigeht, merkt man, wie schmal ihre Physis wirklich ist, nur Muskeln, kein Gramm Fett.
//„My Daddy is stronger than yours“, prangt auf dem Shirt eines süßen, vielleicht vier Jahre alten Lockenschopfs im Publikum. Rein körperlich sind einige Zuschauer nur schwer von den Teilnehmern zu unterscheiden, dem Event wohnen viele begeisterte Bodybuilder bei. „Die Szene ist groß in Tirol, das Niveau zudem sehr hoch“, stellt Stefan Ribitsch fest. „Heute sind auch viele Lokalmatadoren da, die sehr gute Chancen haben.“ Der Sportnahrungsexperte begleitet seine Frau Nathalie, die in der Kategorie „Figure“ antritt.
Bodypaint und Jägermeister.
Ab und zu ist ein Blick in den Vorbereitungsraum zu erhaschen. Aus diesem dringt ein fruchtiger Geruch von isotonischen Drinks und Proteingels, hier bereiten sich die Teilnehmer vor.
Einige trainieren sich warm, anderen wird mit Roller und Bodypainting-Farbe der letzte Farbschliff in Braun verpasst. Das Einölen scheint entweder ein Klischee oder einfach out zu sein, jedenfalls macht das hier keiner. „Zwei- bis dreimal duschen muss man schon, damit die Farbe wieder weg geht“, erklärt Patrick, seines Zeichens U23-Teilnehmer. Am meisten schätzt er an dem Sport, dass man schnell Ergebnisse sieht. „Es ist wie eine Sucht“, sagt er. Seit drei Jahren ist Patrick dabei, inklusive strenger Diät und null Alkohol. „Einen Jägermeister gönn ich mir aber vor dem Wettkämpf, zum Pushen“, gesteht er noch schmunzelnd.
Die Musik macht die Pose ...
oder nicht.
„Pose down“, sagt der Moderator. Jetzt ist die freie Posingkür dran. Im Hintergrund lief bislang erdiger Hardrock- und Hiphop-Sound. Die meisten Athleten haben für ihre Choreo zwar ihre eigene Musik mitgebracht, leider hat der Soundtechniker aber vereinzelt Schwierigkeiten, diese abzuspielen
Die Basics der NABBA-Wettkämpfe
Die Jury besteht aus mindestens sieben Juroren. Diese werten in drei Runden Proportionen und Entwicklung der Bodybuilder. Dies gilt für alle Klassen, Damen und Herren.
1. Runde: Line-up.
Alle Teilnehmer müssen gleichzeitig vier
Vierteldrehungen nach rechts absolvieren.
2. Runde: Die freie Posingkür.
Die Teilnehmer treten einzeln auf, und haben je bis zu 90 Sekunden Zeit, um eine Choreographie vorzuführen.
3. Runde: Die Vergleiche.
Die Teilnehmer sind wieder gemeinsam auf der Bühne und absolvieren acht Pflichtposen.
Die Juroren achten allgemein auf Symmetrie, Körperhaltung und Benehmen. Nicht erwünscht sind „‚außergewöhnliche‘ oder ‚sensationelle‘ Entwicklungsbereiche, welche nicht zum Rest des Körpers passen“.
Er greift in der Not zum vorhandenen Musikbett, so erklingt bei einem Teilnehmer ausgerechnet „Son of a Preacherman“ – welch bizarrer Effekt. Beim nächsten technischen Malheur erklingt eine Technoversion von „Funky Town“. Der genervte Blick des Teilnehmers könnte töten, dann macht er kurzerhand gute Miene zum bösen Spiel und tänzelt mit. Das Publikum springt begeistert auf und klatscht im Rhythmus.
//„Songpannen sind furchtbar, da leide ich immer mit. Schließlich hat man so eine Kür auch ewig einstudiert“, erklärt Erwin Griesser. Der Tiroler ist in der „Over 50“-Kategorie dabei, sein Song trägt den Titel „Heart of Courage“. Das Abspielen des Lieds gelingt diesmal, und verfehlt nicht seine Wirkung. Man kennt es aus verschiedenen Fußballstadien, wo es als Einlaufhymne ertönt, erstmals während der EM 2012. Purer Pathos, der perfekt zur Inszenierung passt. Auch Erwin gewinnt. Später erzählt er noch, dass er als Skispringer in Stams übers Krafttraining zum Bodybuilding gekommen ist. Die Beobachtung der körperlichen Entwicklung hat ihn an diesem Sport am meisten fasziniert: „Sie verläuft bei jedem anders, das ist spannend!“
Streben nach Perfektion.
Seit einem Urlaub in der Türkei trainiert Bettina Eberharter täglich: „Ich hab’s letztes Jahr einfach ausprobiert, und jetzt geht’s nicht mehr ohne. Ich liebe und brauche mein Training als Ausgleich“, erzählt die Modeverkäuferin. Auch sie steht heute auf der Bühne, es ist ihr erster Wettkampf. Ihr strenger Diätplan sei bei weitem nicht so schlimm wie ihr Trinkplan. „Ich habe seit mehr als zwölf Stunden nichts mehr getrunken“, erzählt sie. Diesen Trick wenden eigentlich alle an, damit die Muskeln noch definierter rüberkommen. Die Mühen zahlen sich auch bei ihr aus, Bettina holt den Sieg in der Fitnessklasse.
//Und trotzdem: Laien können diese Leidenschaft nicht nachvollziehen. Warum nimmt man solche Strapazen auf sich? Der Innsbrucker Blogger und U23-Teilnehmer Kenzo Karagöz hat seine ganz eigene Antwort darauf: „Es ist ein Streben nach Perfektion, obwohl jedem bewusst ist, dass sie nicht existiert, oder nur subjektiv definierbar ist.“ Er sieht Bodybuilding als Lifestyle, das auch das Selbstbewusstsein enorm stärkt. „Ich mag die Selbstdisziplin,
die Herausforderung, mich täglich aufs Neue zu messen. Außerdem waren Schwarzenegger, Stallone und Co. schon als Kind meine großen Vorbilder“, erzählt der 23-Jährige. Er studiert Islamische Pädagogik und ist überzeugt, dass Integrationsarbeit auch über den Sport möglich ist. Der engagierte Natural Bodybuilder baut Muskeln ganz ohne Hilfsmittel wie Anabolika auf und berichtet darüber regelmäßig auf seinem YouTube-Channel. Gut 70.000 Follower sind an Kenzo interessiert. Heute verfehlt er knapp den dritten Platz in seiner Klasse.
//Auch Nathalie Ribitsch liebt und lebt diesen Sport seit 16 Jahren. Nach ihrer Schwangerschaft nahm sie sich vor, 30 Kilo Überwicht wegzutrainieren und diese Errungenschaft auf einer Wettkampfbühne zu zelebrieren. Gesagt, getan, auch diese Tirolerin holt den Sieg in der „Figure“-Klasse. „Ich hätte aber auch meiner Konkurrentin den Sieg gegönnt, denn mein Ziel hab ich ja schon erreicht“, verrät die taffe Lady. Und was hält sie von Perfektion? „Die gibt es nicht. Und wenn in einem perfekten Körper ein nicht so toller Mensch steckt, ist niemandem geholfen.“
„Es ist ein Streben nach Perfektion, obwohl jedem bewusst ist, dass sie nicht existiert, oder nur subjektiv definierbar ist.“
Kenzo Karagöz