Alexander, du bist gerade von einer Expedition zurückgekommen, wo warst du? Alexander Huber: Wir waren in Pakistan, in der Latok-Gruppe. Wie schon einmal vor vielen Jahren. Diesmal wollten wir eine Besteigung von der anderen Seite versuchen. Die Expedition war jedoch dahingehend nicht erfolgreich, als dass wir unser geplantes Ziel nicht angegangen sind. Es erschien uns zu gefährlich.
Welche Gefahren habt ihr gesehen? Es war im Prinzip zu warm. In meinen Augen ganz klar ein Effekt der globalen Erwärmung. Es herrschen momentan ungewöhnlich warme Verhältnisse für die Berge dort und die Ausaperung schreitet in einem Ausmaß fort, wie man es bisher nicht gekannt hat. Bei uns in den Alpen lässt es sich auch nicht mehr negieren, genauso ist es im Karakorum. Damit verbunden sind Gefahren wie Steinschlag, Nassschneelawinen und eine erhöhte Einsturzgefahr der Séracs.
Habt ihr ein anderes Ziel angehen können? Wir haben dem Panmah Kangri, einen freistehenden 6.000er, erstbestiegen und am Ende war es für mich persönlich ein schönes Erlebnis. Man muss nicht unbedingt das Hauptziel verfolgen, um am Ende sagen zu können: Es war eine gute Zeit.
Welches deiner bisherigen Bergerlebnisse hat dich am meisten geprägt? Es ist die Summe der Erlebnisse über die Zeit. Ich bin schon sehr viele Jahre aktiv und habe eine enorme Varietät in den Bergen erfahren.
„Über das Bergsteigen und das Klettern kann man fast die gesamte Welt kennenlernen.“
Alexander Huber
Du bist ein Allrounder, kletterst vom Boulder bis zum 8.000er. Welche Bergsportart steht dir dabei besonders nahe? In erster Linie bin ich ein begeisterter Felskletterer. Auch, weil ich es bei uns zuhause machen kann. Hier gibt es nun mal Felsen. Allerdings muss ich zugeben, dass das gesamte Bergsteigen von den 8.000ern im Himalaya über die Kälte der Antarktis, den wilden Bergen Patagoniens und den riesigen Wänden im Yosemite Valley eine Breite schafft, wie es das Felsklettern alleine nicht erzeugen könnte. Über das Bergsteigen und das Klettern kann man fast die gesamte Welt kennenlernen. Und das ist das Schöne daran.
Was macht für dich den Erfolg im Bergsteigen aus? Erfolg ist sehr relativ. Es sind sicherlich nicht nur der Olympiasieger und der Weltmeister erfolgreich. Erfolg allein garantiert noch lange nicht, dass man wirklich glücklich mit seinem Leben ist. Da stellt sich dann die Frage, ob sie wirklich erfolgreich sind? Ich denke: Erfolgreich ist jemand, der mit seinen Talenten und Potenzialen bestimmte Ziele verfolgt, sie erreicht und damit glücklich ist. Dahingehend ist mein Vater genauso ein erfolgreicher Bergsteiger wie wir es sind. Er ist zwar nie auf einem 8.000er gestanden und hat auch nicht die Möglichkeit gehabt, zu den großen Wänden der Welt zu reisen, aber er ist heute mit 76 Jahren noch immer mit voller Begeisterung draußen in den Bergen unterwegs. Und wenn man das Leuchten in seinen Augen sieht, wird es klar: Er ist ein glücklicher Mensch. Wie sollte man da noch erfolgreicher sein?
In diesem Sinne: Sind die Berge für dich das Ziel oder das Mittel zum Zweck? Dahingehend sind sie das Mittel zum Zweck. Sicher auch nicht das einzig mögliche Mittel, mit dem ich glücklich werden könnte. Hätte ich das Bergsteigen für mich nicht entdeckt, wäre ich auch anderweitig glücklich geworden. Vielleicht auch als Physiker. Aber ich habe damals die Gelegenheit wahrgenommen, oder zumindest gewagt, es zu probieren. Es hat funktioniert. Deshalb bin ich diesen Weg gegangen.
Was ist deine innere Stärke, die dich vorantreibt? Die innere Stärke ist im Endeffekt die Freude am Tun. Wenn du Freude am Tun hast, wirst du im Prinzip alles schaffen können.
Wo sind deine Grenzen? Schon ziemlich da, wo ich hingegangen bin. Immer wenn ich das Gefühl hatte, ich kann noch einen Schritt weitergehen, dann habe ich es auch probiert. Manchmal bin ich auch zum Ergebnis gekommen, dass ich an einem Punkt besser nicht weitergehen sollte.
Der Bergsport hat auch etwas mit Scheitern zu tun. Wie hast du gelernt, damit umzugehen? Scheitern ist überhaupt nichts Negatives. Vor allem nicht, wenn es einem bewusst ist, dass es den hundertprozentigen Erfolg nicht gibt, wenn man an Grenzen geht. Und das will ich ja. Wenn ich nie scheitere, dann habe ich es auch nie richtig probiert.
Hattest du schon immer diese Einstellung? Als Junger ist man natürlich enttäuscht, wenn man etwas nicht schafft. Aber die Enttäuschung kann man auch als Motivation dafür nutzen, es gleich wieder zu probieren. Und irgendwann haut es schon hin.
Zusammen mit dem Bruder Thomas seid ihr „die Huberbuam“ und eine perfekte Seilschaft. Gilt dabei: Blut ist dicker als Wasser? Ich denke das ist, weil man sich so gut kennt – auch die Stärken und Schwächen des anderen. Es hat Zeiten gegeben, da hat man mal mehr miteinander gemacht, mal weniger. Jeder hat auch seine eigenen Ideen. Es gibt Phasen, da ist der Kontakt intensiv, dann wieder weniger. Aber über die Familie verlieren wir uns sowieso nie aus den Augen.
Auch für die Seilschaft ist es wichtig, dass jeder von euch seine eigenen Wege geht? Ich finde es generell wichtig. Auch in einer ganz normalen Partnerschaft ist es so. Und Thomas und ich leben schon seit 46 Jahren in einer „Seilschaft“. Dass es funktioniert, hat viel mit Konfliktbewältigung zu tun.
Ist die Konkurrenz zwischen euch beiden noch immer da? Logisch ist sie da. Es war mit das Beste, was uns passieren konnte.
Inwiefern? Es geht dabei um positive Konkurrenz und das bedeutet eben nicht, dass man den anderen um seine Erfolge beneidet, sondern dass man sich gegenseitig antreibt. Es geht um einen selber. Positive Konkurrenz ist sicher etwas, das mich und Thomas verbindet. Auch heute noch.
Bleiben wir bei der Familie: Du bist seitdem Vater von drei Kindern. Was hat sich geändert, speziell in Bezug auf das Klettern? Ich habe mit dem, was in mir drinsteckt, schon ziemlich viel erreicht, was ich erreichen konnte. Und da stelle ich mir die Frage: Muss ich das noch mal machen? Schließlich habe ich mich in der Art und Weise bereits realisiert. Ich würde es also mehr als ein Phänomen des Älterwerdens beschreiben. Meine letzten Free Solos habe ich 2008 gemacht, weil ich damals das Buch „Free Solo“ herausgebracht habe. Das Buch war irgendwo die Motivation, alles auf den Punkt zu bringen. Um solche Free Solos wieder zu realisieren, braucht es ein erneutes Risiko. Aber es wird kein neues Erlebnis. Ich versuche prinzipiell, alles auf ein minimales Restrisiko zu reduzieren. Wenn ich nicht davon überzeugt bin, dass es ein vernachlässigbar kleines Restrisiko ist, mache ich es nicht. Ich weiß aber auch, dass es keine hundertprozentige Sicherheit gibt, und wenn ich es oft genug angehe, dann wird irgendwann auch ein sehr kleines Restrisiko signifikant. Deshalb finde ich es besser, irgendwann den Schlussstrich drunter zu ziehen und sich neuen Dingen zu widmen.
INFO
Am 7. November erzählt Alexander Huber um 19 Uhr im Rahmen der Alpinmesse in einem Multivisionsvortrag mit dem Titel „Im Licht der Berge“ über seine zahlreichen und vielfältigen Erlebnisse am Berg.
„wenn du an die Grenzen gehst, kannst du kein Kontroll-Freak sein.“
Alexander Huber
In Bezug auf die Free Solos, also das Klettern ohne jegliche Sicherungen, sagst du trotzdem, es wäre alles kalkulierbar, auch das Restrisiko. Kalkulierbar ist es nur dann, wenn du kompetent bist. Wie schon gesagt: Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht. Ich kann rein aufgrund meiner Kompetenz eine Einschätzung machen und sagen, dieses Restrisiko ist für mich vernachlässigbar gering. Für einen anderen kann es ganz etwas anderes bedeuten. Das Wichtigste ist: Wenn man sich auf ein Risiko einlässt, muss man kompetent genug sein, das Risiko auch wirklich richtig einzuschätzen. Dazu braucht es nicht nur einen gesunden Menschenverstand, sondern auch Selbsteinschätzungsvermögen und vor allem Wissen.
Der Regisseur Pepe Danquart, der euren Film „Am Limit“ realisiert hat, bezeichnete dich als einen Kontroll-Freak. Das steht für mich irgendwie im Widerspruch zu deinen Grenzgängen. Per se ist das natürlich absolut falsch. Wenn ich ein Kontroll-Freak wäre, würde ich nie Free Solo klettern. Aber es stimmt natürlich schon, dass ich unter den Free-Solo-Kletterern eher zu denen gehöre, die versuchen, das Risiko zu kontrollieren. Es gibt eben auch die anderen, die sehr weit kommen in ihrem Tun, weil sie einfach sehr waghalsig sind. Weil sie ein Stück weit Hasardeure sind. Weil es ihnen egal ist, ob für sie ein signifikantes Risiko besteht. Und da würde ich mich ganz sicher zu den vernünftigen Geistern zählen, die sehr risikobereit sind und gleichzeitig über viel Kompetenz, Wissen und vor allem über einen gesunden Menschenverstand verfügen. Wenn ich das Gefühl habe, nicht kompetent genug zu sein, lasse ich es sein. Demnach kann man sagen, ich wäre ein Kontroll-Freak, im Vergleich zu anderen Alpinisten, die an der cutting edge unterwegs sind. Im Vergleich zum breiten Durchschnitt in der Bevölkerung bin ich alles andere als das. Ich gehe extrem an die Grenzen. Und wenn du an die Grenzen gehst, kannst du kein Kontroll-Freak sein.
Angst ist ein großes Thema für dich, du hast ihr sogar ein Buch gewidmet. Welche Rolle spielt sie für dich? Mein Buch heißt „Die Angst, dein bester Freund“ und der Titel ist kein Witz. Die Angst, dein bester Freund am Berg, wenn es darum geht, dass du wirklich sorgfältig arbeiten musst. Wir bewegen uns immer im anspruchsvollen Gelände, in absturzgefährdetem Raum und da braucht es eine gewisse Sorgfalt, um zu überleben. Und wenn man Angst um sein Leben hat, ist man sorgfältig und voll konzentriert. Viele sind der Meinung, Angst wäre ausschließlich ein negatives Gefühl. So ist es nicht. Angst ist eigentlich immer da, auch wenn ich nur die Straße überqueren will. Für einen Bergsteiger ist es sehr wichtig, dass er die Gefahr erkennt. Ein Pulverschneehang im Winter kann bei einem erfahrenen Bergsteiger Angst auslösen, bei einem unerfahrenen wiederum nicht, da er die Gefahr nicht erkennt. So fährt er sorglos in diesen Hang rein. Der erfahrene Bergsteiger erkennt die Gefahr, hat Angst um sein Leben und trifft aufgrund dessen eine Entscheidung. Das sichert ihm das Überleben. Wenn man kompetent ist, die Gefahr zu erkennen, sie einzuschätzen und mit genügend Können der Situation adäquat zu begegnen, macht diese Angst einen nicht nervös, sondern löst eine erhöhte Konzentration aus. Genau das brauche ich auch beim Free-Solo-Klettern. Ich klettere vom Einstieg bis zum Gipfel jeden Meter mit Angst, mein Leben zu verlieren. Und genau aus diesem Grund auch immer mit hundertprozentiger Aufmerksamkeit.
Worauf liegt der Fokus deiner kommenden Projekte? Es werden mehr die großen Unternehmungen sein. Da kann ich Ausdauer ins Spiel bringen, und diese nimmt, genauso wie die Erfahrung, nicht im gleichen Maße ab wie die reine Kraft. Denn die Kraft wird nun mal weniger mit dem Alter.
Vielen Dank für das Gespräch.
Alpinmesse 2015
Für Freeride-Freaks, passionierte Bergsportler und Landschaftsfotografen ist die Alpinmesse ein Pflichttermin. Am 7. und 8. November laden die Veranstalter in der Messe Innsbruck zum Dialog zwischen Herstellern und Bergsportlern ein, bieten Workshops und lassen Bergsportprofis und Abenteurer von ihren Bergerlebnissen und Expeditionen erzählen.
Ausführliche Programminfos:
www.alpinmesse.info