„Ich hatte für mein Priesterwerden nie ein Berufungserlebnis, keine Stimme von oben.“
Hermann Glettler, kurz erklärt
Geboren am 8. Jänner 1965 im steirischen Übelbach, wuchs Hermann Glettler auf einem Bergbauernhof auf. Glettler studierte Theologie und Kunstgeschichte und wurde 1991 zum Priester geweiht. In Graz war er 17 Jahre lang Pfarrer in einem Stadtviertel mit hohem Migrantenanteil. Er ist nicht nur als Kurator und Kunstvermittler tätig, sondern auch als eigenständiger Künstler. Im September 2017 wurde er überraschend zum Bischof der Diözese Innsbruck ernannt.
Aus der afrikanischen Community in ihrer früheren Heimatstadt Graz postete jemand: „We lost our Father Hermann. They deported him to Innsbruck, where he not even unterstands the language.“ Sie sind jetzt fast ein halbes Jahr in Tirol, wie läuft’s mit der Verständigung? Hermann Glettler: Ich versteh das, was ich verstehen will. (lacht) Nein, Spaß beiseite, ich verstehe die Menschen hier recht gut. Aber es ist mir schon aufgefallen, dass es nicht „Tirolerisch“, sondern unterschiedliche Dialekte gibt.
Haben Sie schon einige neue Worte gelernt?
Durchaus. Wissen Sie, was das Tiroler Wort für Frustration ist?
Sagen Sie es mir!
„Luschtverluscht“. Aber jetzt wieder im Ernst: Verständigung ist nicht nur eine Sache der Sprache. Es gibt ein inneres Hören aufeinander. Die wesentliche Sprache ist die von Herz zu Herz – nicht kitschig gemeint, sondern respektvoll. Die Tirolerinnen und Tiroler sind sehr klar in der Kommunikation. Dieses direkte Ausdrücken gefällt mir. „Grias di, Bischof!“ habe ich auf der Straße auch schon öfter gehört.
Bei Ihrer Bischofsweihe gab es afrikanische Tänze und der Bischofsstab wurde von Ihrem guten Freund und Künstler Gustav Troger mit einer Art Discokugel und einer Pfeffermühle veredelt. Wie waren die Reaktionen darauf?
Die waren sehr positiv. Ich wollte mit dem Fest zeigen, wie bunt die Kirche und wie vielfältig der Glaube ist. Es war übrigens keine Discokugel, sondern ein mit Spiegelstücken verkleideter Knauf. Der Knauf ist das Symbol für die Welt. Unsere Erde strahlt wie ein Kristall, ist aber auch von Brüchen durchzogen. Die Pfeffermühle hat Gustav Troger als Hinweis auf die nötige Lebenswürze installiert. Wenn die Kirche oder die Gesellschaft zu lahmarschig werden, braucht es die „Geh-Würze“. Wir dürfen nicht in der Tradition verweilen, es braucht auch das Voranschreiten.
Sie wollten bereits als Kind Priester oder Tischler werden. Wichtig für Ihren Werdegang war dann Ihre Maturareise 1983 in Südfrankreich.
Bei meiner Maturareise kam ich in Paray le Monial mit der Gemeinschaft Emanuel in Kontakt. Mir haben die Gemeinschaft und die missionarische Grundausrichtung sofort gefallen. Ich finde es wichtig, Glaubensgut nicht nur zu bewahren, sondern auch hinauszugehen. Ebenfalls wichtig für meinen Werdegang war ein Glaubensseminar, das ich mit 15 Jahren besucht habe. Ich hatte für mein Priesterwerden aber nie ein Berufungserlebnis, keine Stimme von oben.
Vielleicht kommt’s noch?
Noch mehr Berufung brauch ich eigentlich nicht. (lacht) Aber ich bin schon ganz gespannt, was Gott an diesem Platz noch alles mit mir vorhat.
Wie lernen Sie Tirol kennen?
Ich bin dabei, mir alle 16 Dekanate der Diözese Innsbruck anzusehen. Außerdem habe ich schon viele Einladungen angenommen. Ich kannte Tirol ja nur vom Durchfahren und von einer Skitour, das heißt, ich muss alles kennenlernen: Gesellschaft, Land, Kirche, Geschichte und vor allem die Menschen. Es gibt gute und intensive Begegnungen. Es gefällt mir gut. Sogar wenn mich jemand aufwecken würde, würde ich im Halbschlaf sagen, dass ich gern hier bin.
Wie sieht Ihr erster Eindruck aus?
Das Land ist sehr vielfältig, sowohl gesellschaftlich als auch kulturell, und es gibt ein großes Traditionsbewusstsein. Ich bin schon fast ein Fan der Schützen, sie wirken vor allem am Land gemeinschaftsbildend. Ich bin auch ein Fan der Tiroler Künstlerschaft und der urbanen Kulturorte wie der Bäckerei oder dem Treibhaus. In Tirol gibt es ein Nebeneinander von Tradition und Innovation, das gefällt mir gut. Überall, wo ich hinkomme, merke ich diese fruchtbare, aber nicht immer friktionsfreie Polarität.
„Ich sehe in Tirol eine fruchtbare, aber nicht immer friktionsfreie Polarität zwischen Tradition und Innovation.“
Bischof, kurz erklärt
Ein katholischer Bischof wird vom Papst ausgesucht und ernannt. Der Bischof muss dem Papst regelmäßig berichten, was in den Gemeinden passiert, für die er zuständig ist. Mit Vollendung des 75. Lebensjahres muss der Bischof dem Papst seinen Rücktritt anbieten.
Welche Projekte haben Sie bereits im Kopf?
Eines der Projekte, die ich im Kopf habe, sind die Alphakurse. Die Idee dazu entstand in London. Derzeit werden über 30.000 Alpha-Kurse in 152 Ländern von Gemeinden zahlreicher Konfessionen angeboten. Alphakurse sind, vereinfacht gesagt, Glaubenskurse für Jung und Alt, und zwar auf eine andere, unerwartete Art. Die Kurse bestehen aus zehn Abenden, die immer mit einem gemeinsamen Essen beginnen, danach gibt es einen etwa 30-minütigen Film zu einer Glaubensfrage, zum Beispiel: Wer ist Jesus? Wie kann man die Bibel lesen? Oder auch: Wie kann man beten? Danach gibt’s Tischgespräche. Eingeladen ist jeder, die Teilnahme ist kostenlos. Wahrscheinlich werden im Herbst einige Kurse starten. Genaue Auskunft gibt es im bischöflichen Sekretariat.
Sie stehen der „Ehe für alle“ kritisch gegenüber, warum?
Ich verstehe, dass es bei homosexuellen Menschen den Wunsch gibt, auch auf der Symbolebene gleichgestellt zu sein. Dennoch finde ich, dass die Möglichkeit der Verpartnerung bereits alles bietet, was es zur gesellschaftlichen Einbettung und rechtlichen Absicherung homosexueller Paare braucht. Ich sage: Zum Glück gibt es diese Möglichkeit der Verpartnerung! Wir als Kirche mussten lernen, das anzunehmen, und diesen Lernprozess sehe ich positiv. Ich finde es aber schade, dass man jetzt auf der Symbolebene nicht mehr differenzieren will. Durch die Gleichstellung von Ehe und Familie mit allen anderen Formen von Partnerschaft gewinnt unsere Gesellschaft nichts dazu. Ich möchte dieses Thema nicht überbewerten, aber ich bin mit dem ausschlaggebenden, wie ich finde, überhudelten Urteil des Verfassungsgerichtshofes nicht glücklich. Wobei ich ausdrücklich sagen möchte, dass homosexuelle Menschen in der Kirche ihren Platz haben.
Sie möchten Wiederverheirateten einen Weg mit der Kirche vorschlagen, wie kann der aussehen?
Das ist ein Riesenthema und es gibt diesbezüglich ein Herzensprojekt von mir. Ich möchte diesen Menschen das Signal geben, dass sie aufgrund des Scheiterns ihrer Ehe nicht zu den Ausgestoßenen gehören. Daher ist es mein Wunsch, ab 2019 jedes Jahr zur Fastenzeit eine Begleitung anzubieten. Sie könnte den Titel „Neu beginnen“ tragen. Scheitern ist trotz allem auch eine Chance, menschlich zu reifen und weiterzugehen. Darum soll es in dieser Begleitung gehen. An vier Abenden werden verschiedene Themen aufgearbeitet, unter anderem mit einem Priester und einem Paar, das bereits in zweiter Ehe lebt. Nach diesen vier Abenden steht es jedem frei, zur Kommunion zu gehen oder nicht. Das soll es an mehreren Orten in Tirol geben. Wer mitarbeiten möchte, möge sich bitte melden.
Vielen Dank für das Gespräch.
Bischof Hermann
im Word-Rap
Mein erstes selbstverdientes Geld …
Ich habe bei der VOEST in Linz bei einem Industriepraktikum im Zuge der Priesterausbildung mein erstes Geld verdient. Die Begegnung mit den Arbeitern war für mich eine ganz wichtige Erfahrung.
Mein größtes Laster …
Ich habe nicht ein Laster, sondern viele, aber die sind alle verborgen. (lacht)
Mein Lieblingsplatz in Tirol …
Besonders gut gefällt mir der Platz vom Bildungshaus St. Michael.
Mein größter Erfolg …
Das Beste ist, dass ich meine jugendliche Schüchternheit überwunden habe. Ich hätte mir früher nie vorstellen können, vor anderen zu reden.
Mein größter Misserfolg …
Ich habe früher zu wenig delegiert und am liebsten alles selber gemacht.
Meine Lieblingsstelle in der Bibel …
Die Begegnung mit dem Auferstandenen am See Genezareth. Jesus zeigt sich seinen Jüngern mit großer Zärtlichkeit. Die Stelle ist richtig stark. Kein Vorwurf, sondern Vergebung und Auftrag.