Auf die Schilderung meiner Pläne, eine Baskenmütze zu stricken, lacht sie wie damals, als ich als Kind von der Sandkiste aus zum Erdkern graben wollte.
tricken ist so ähnlich wie selber Bier brauen oder eine Gartenbank zimmern. Theoretisch weiß man, wie es geht, man kann es sich zumindest vorstellen. Und bei dem Tempo, mit dem Mama Handschuhe und Hauspatschen für jeden Verwandten, Freund und Bekannten (ja selbst für Schwäger und Schwiegereltern) strickt, kann das doch nicht so schwierig sein. Habe ich gedacht.
//Um auszuschließen, bei einem Hipster-Strickkurs spontan thai-massiert zu werden oder komische Gruppenspiele durchzustehen, lese ich mich durch ein boomendes literarisches Genre – Strickliteratur. Nach einem Streifzug durch Buchläden und Bibliotheken, der mir zu gleichen Teilen gerunzelte Stirnen und respektvoll gehobene Augenbrauen für meine gesunde Maskulinität eingebracht hat, sitze ich mit einem Stapel Bücher und einer sogenannten Strickbox auf der Couch.
//Wolle und Nadeln habe ich mir mit der Begründung, mal „was zu probieren“, von meiner Mutter ausgeliehen. Ich habe ihre Freude gespürt. Es ist dies die Freude einer Musikliebhaberin, die mir die Alben von Strick Jagger oder Nine Inch Needles gleich zum ersten Mal vorspielen wird.
Strickturalismus.
Strickliteratur zeichnet sich durch einen grenzgenialen Wortwitz und durch die besten Layouts aller Zeiten aus. „Stricken unterwegs“ ist etwa ein Meisterwerk in Form einer mit Kärtchen gefüllten Karton-Schachtel, die vor allem Kerouac-Jünger, getriebene Beatniks auf Reisen, immer an den Nadeln halten soll. Auf jedem Kärtchen befinden sich Strickanleitungen und Fotos vom Ergebnis.
//Nach einem ersten Durchsehen schwanke ich zwischen einer Basken- und einer Piratenmütze. Ich lese mir die Anleitung durch: „Rand. Runde 1: 2M re zus-str, 1 M li ...“ – verdammt. Diese Strickturalisten sind so avantgardistisch, dass sie eine eigene Sprache entwickelt haben. Ich lege die Box zur Seite. Der Paratext des Werkes „Winterwarme Accessoires“ wirkt schon eher Nadelralisrisch, doch verständliche Anweisungen im Sekundenstil bleiben aus. Wieder diese Abkürzungen.
Bald erkenne ich: schnell etwas stricken und dabei entspannen läuft so nicht.
Als selbst „Das geniale Schnellstricker-Buch“ mich nur noch mehr verwirrt und „Lust auf Stricken“, ein Extra-Heft der Zeitschrift „Freundin“, einen Nadel-Neuling richtig abturnt, hole ich Hilfe bei einer Expertin.
Maschenhaft Wolle.
Mama zeigt mir ihr Nadelarsenal und drückt mir zwei Bambusstöcke mit sechs Millimeter Durchmesser in die Hand. Auf die Schilderung meiner Pläne, eine Baskenmütze zu stricken, lacht sie wie damals, als ich als Kind von der Sandkiste aus zum Erdkern graben wollte. „Zuerst lernen wir glatte Maschen.“ Bis ich die Grundstellung kapiert habe, dauert es eine Weile.
//Die ersten Maschen sind Schwerarbeit. Ich zwänge spröde Fäden durch Schlaufen, als würde ich kuschelige Stahlketten schmieden. Die ergonomischen Stricknadeln meiner Mutter klappern nicht einmal. Das Ergebnis nach zwei Stunden Stricken: ein nutzloses, unförmiges Rechteck, in dem die eine oder andere Masche verloren gegangen ist.
//Bald erkenne ich: Schnell etwas stricken und dabei entspannen läuft so nicht. Ich werfe meine Pläne mit der Baskenmütze über Bord und versuche mich, nachdem ich endlich gerade Maschen stricken kann, an einer burgunderroten Handytasche (ein Euphemismus für ein Rechteck, das man an den Rändern zusammennähen muss).
Stricke für den Frieden.
Laut der Organisation „Knit for Peace“, die zum Glück in Großbritannien heimisch ist und somit nicht „Stricke für den Frieden“ heißen muss, kann Stricken gegen Depressionen, Angstzustände, chronische Schmerzen und Demenz helfen.
„Strickt euch“, denke ich mir, „Strickt euch doch alle!“
Eine Harvard-Studie zeigt, dass Stricken durch seine sich immer wiederholenden Bewegungsabläufe zu einem Zustand der vollkommenen Entspannung führen kann. An der Elite-Uni selbst gab es mit Stand 2010 zwanzig Strickzirkel, in denen sich die klugen Köpfe von der Arbeit ablenkten.
//Noch kann ich das Gefühl der Entspannung nicht ganz nachvollziehen. Ich schwitze und mein Gesicht hat die Farbe meiner Wolle, während ich mich Reihe für Reihe plage, mit roher Gewalt Maschen zu stricken und den Faden nicht zu zerreißen. „Mama, warum sagen alle, dass Stricken so leicht ist?“ – „Das ist auch leicht. Ich weiß auch nicht, warum du das nicht kannst.“
//Ich bekomme weder meine Maschen noch mein simples Projekt auf die Reihe. Der Flow wird von meinen verkrampften Fingern blockiert. Es muss ein Geheimnis zur Entspannung geben, das die eingeschworenen Stricker einfach nicht preisgeben. „Strickt euch“, denke ich mir, „strickt euch doch alle!“ Feierabend für heute.
Woll-Fühl-Zeit.
Am nächsten Tag sind die ersten Maschen immer noch eine Herausforderung, nach der fünften Reihe geht es schon etwas einfacher. In meinen Kopfhörern läuft eine Hörspielfassung von Stephen Kings „The Stand“ und nach einer halben Stunde sind meine Gedanken mehr mit einem weltvernichtenden Virus als mit meiner Handytasche beschäftigt.
//Das Rechteck aus Wolle wird größer – mal verliere ich eine Masche, mal verfluche ich laut eine Nadel, doch mein Projekt nimmt Form an. Ehe ich es bemerke, bin ich schon einige Zentimeter über dem Ziel. Schade eigentlich.
//Mit dem Stricken ist es ein bisschen so wie mit dem Schreiben – von der Idee bis zur Grundstruktur ist es ein Grauen. Hat man alle Fäden in der Hand, kann man kontrolliert loslassen. Die Hände machen die Arbeit wie von alleine. Das Befriedigende am Stricken ist das Produkt, das man selbst nach kurzer Zeit schon in den Händen hält. Meine Handytasche sieht zwar nicht perfekt aus, doch sie hat mir ein paar angenehme Stunden auf dem Sofa beschert – Woll-Fühlzeit, qwollity time, die Wolle zur Selbstfindung. Genug.