ie Frage, ob ich mir das Dach überm Kopf leisten kann, beschäftigt die Leute ganz einfach mehr als die Frage nach dem Binnen-I oder der Ehe für alle.“ An diesem wahlentscheidenden Satz von Georg Willi werden die Grünen noch länger kauen als an der plakatierten „Heimat“ des Alexander Van der Bellen. Bundespräsident der Republik Österreich und Bürgermeister der Landeshauptstadt Innsbruck – das sind ungeachtet zweier Landeshauptmannstellvertreterinnen die prominentesten Positionen der nach 31 Jahren spektakulär aus dem Nationalrat gestürzten Partei.
Georg Willi und Ingrid Felipe in Innsbruck, Alexander Van der Bellen und Maria Vassilakou in Wien: Die örtliche Gegenpoligkeit führt ebenso auf die falsche Fährte wie die Ausgewogenheit von einheimischer und migrantischer Abstammung. Der aktuelle Spielstand des ewigen inneren Matches der Grünen offenbart sich eher durch den dreifachen Tiroler Hintergrund. Der rechte Flügel, die Pragmatiker alias Realos geben jetzt lediglich zwangsläufig, weil allzu folgerichtig den Ton an. Die linke Flanke, die Fundis alias Hardliner sind auf dem Rückzug. Doch sie fechten – durchaus im hiesigen Kontext eines letzten Aufgebots – noch eine Schlacht ohne klar benanntes Ziel.
Georg Willi entspricht nicht perfekt den Grünen, er personifiziert keine Partei, er verkörpert die Mitte.
Wenn Werthaltung zum Tarnmantel wird.
Der Parteiaustritt der einstigen Vizebürgermeisterin Sonja Pitscheider drei Tage vor der Neuwahl, wohl vor allem, um ihrem Nachfolger als Spitzenkandidat zu schaden, ist prototypisch für eine Mischung aus Illoyalität, Orientierungs- und Skrupellosigkeit, die sich ausgerechnet unter dem Tarnmäntelchen von Werthaltung verbirgt. Eva Glawischnigs Abgang und Einstieg bei Novomatic liefert auch dafür ein Wiener Gegenstück zur Tiroler Malaise. Dass hier dennoch der Phönix aus der Asche fliegen konnte, liegt an der frühzeitigen Flurbereinigung, die auf den meisten grünen Baustellen noch aussteht.
//Mit sieben von acht grünen Gemeinderatsmitgliedern gegen sich hätte Georg Willi das Match trotz seiner Drei-Viertel-Mehrheit bei der Basis-Abstimmung über den Spitzenkandidaten für die Bürgermeisterwahl kaum gewinnen können. Aber es ist nicht nur seiner Integrationsfähigkeit zuzuschreiben, dass die Partei trotz der Abspaltung ausgerechnet des einzigen Willi-Befürworters Mesut Onay letztlich geradezu geschlossen in den Wahlkampf gegangen ist. Das Engagement von Dieter Brosz, einst Mastermind der Bundespartei, hat entscheidend zu diesem inneren Konsens beigetragen. Die in Wien überwiegend ungeliebte graue Eminenz ist mittlerweile selbstständig als Verhandlungsexperte – und war auch bei allen Koalitionsgesprächen an Bord. Brosz ist der Gegenentwurf eines Ideologen, ein Apologet des Machbaren. Einer, für den etwas schon immer ganz sicher war: „Die Frage, ob ich mir das Dach überm Kopf leisten kann, beschäftigt die Leute ganz einfach mehr als die Frage nach dem Binnen-I oder der Ehe für alle.“
Ältere Herrschaften und neue Generation.
Brosz wird heuer 50, Willi ist 59, Van der Bellen gar 74: Die letzten und größten Erfolge der Grünen entspringen durchwegs schon älteren Herrschaften vor und hinter den Kulissen. Das gilt auch für den 64-jährigen Renegaten Peter Pilz, dessen Namensliste auf Anhieb in den Nationalrat eingezogen ist. Ausgerechnet jene Partei, die als einzige wirklich und radikal die Gleichstellung der Geschlechter lebt, steht mehr denn je im Schatten ihrer routinierten Männer. Bundessprecher Werner Kogler (56) inklusive.
//Da mutet es seltsam an, wenn vom Zukunftskongress der Grünen in Linz – nur einen Tag vor der Innsbrucker Wahl – vor allem das „Next Generation Lab“ übrig bleibt, ein Zusammenschluss von Hoffnungsvollen, die nicht älter als die Partei sein dürfen, also je nach Berechnungsart kaum mehr als 35 Jahre. Die letzten wirklichen Schlagzeilen dieser Generation waren das Abmontieren von Peter Pilz durch Julian Schmid und der Rauswurf der jungen Grünen rund um Flora Petrik.
//Die kontinuierliche Verjüngung ist so notwendig wie die Beibehaltung des Reißverschlussprinzips zwischen weiblichen und männlichen MandatarInnen. Doch hier droht neuerlich ein falscher Götze zu entstehen, nachdem – siehe Gender-Formalitäten – schon zuvor die falschen angebetet wurden. Deshalb sind die Siege bei den Wahlen in Innsbruck – im Gemeinderat für die Partei, als Bürgermeister für die Person – weit mehr als eine lokale Anekdote. Die Art, wie diese
Erfolge erzielt wurden, gibt klare Signale, wohin die grüne Reise gehen muss, wenn die Partei ihr grundsätzliches Wählerpotenzial ausschöpfen will. Es liegt grundsätzlich mit 30 Prozent schon im Bereich von ÖVP, SPÖ und FPÖ.
Die entideologisierte Lösungskompetenz.
Georg Willi entspricht nicht perfekt den Grünen, er personifiziert keine Partei, er verkörpert die Mitte. Die mag insgesamt nach rechts gerückt sein, deshalb sind die Realos heute dort und die Fundis mehr denn je im Abseits. Aber hier entstehen Wahlsiege – auf allen politischen Ebenen. Denn das Gleiche gilt für Angela Merkel, Emmanuel Macron, aber auch Sebastian Kurz und – neben einigen schwarzen Landeshauptleuten – den roten Peter Kaiser in Kärnten. Die Mitte hat keine Farbe. Die Mitte benötigt ein Gesicht. Die Mitte ist kein gesellschaftlicher Fixpunkt, sondern ein entideologisierter und wandelbarer Bereich. Seine Veränderung ist fremdbestimmt durch die Summe an globalen bis lokalen Aktualitäten. Seine Besetzung benötigt Empathie für diese Stimmungen – vereint in einer infolge Haltung, Anstand und Authentizität überzeugenden Person mit pragmatischer Lösungskompetenz.
//Die Grünen werden weder im Generationswechsel noch im 59-jährigen Georg Willi ihr Heil finden. Ihr Erfolgsrezept – wie für alle Parteien – liegt im Zulassen herausragender Personen, im Abschied von der Basisdiktatur des Mittelmaßes, im Starprinzip für die Mitte. Das muss keine Wertebeliebigkeit bedeuten, wie die Linke inner- und außerhalb der Partei gegen solche Entwicklungen wütet. Inhaltliche Eckpfeiler bleiben tragende Säulen. Doch wenn ihr Verputz blättert, braucht es einen Neuanstrich.