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Essay

Vertraue mir

Wer seine Kinder in die Schule schickt, muss den Lehrern vertrauen können. Wer sich in die Klinik zur Operation begibt, muss den Ärzten vertrauen können. Deshalb genießen beide Professionen hohes Ansehen – die eine noch mehr, die andere schon weniger. Denn ihre Verteilungskämpfe mit der Politik beschädigen ungeachtet der kurzfristigen Erfolge langfristig das Berufsprestige.

V

ertraue mir!“ Diese Worte leise singend versucht die Schlange Kaa den kleinen Mogli einzulullen – bis der Tiger Shir Khan den Hypnoseversuch ruckartig beendet. Das ist eine zentrale Szene in Walt Disney’s „Dschungelbuch“. Als es 1967 in die Lichtspielhäuser kam, war die Kunstform des Zeichentrickfilms hierzulande noch so neu wie das Instrument der Meinungsumfragen. Doch schon 1966 hatte Elisabeth Noelle-Neumann mit ihrem Allensbacher Institut für Demoskopie erstmals das Prestige einzelner Berufsgruppen erhoben. Vertrauen als Gemeinschaftswährung des gesellschaftlichen Umgangs bildet das wahre Kerninteresse jener Marktforschung, die durch ihre Dauerpräsenz als Antwortermittlerin von Sonntagsfragen selbst ständig an Glaubwürdigkeit verliert.

Gesundheitsberufe hui! Politiker pfui!

Allzu viel Präsenz im medialen Tagesgeschäft ist nicht gut für das Berufsprestige. Das wird am deutlichsten bei den Politikern, 

die ungeachtet des Wildwuchses der entsprechenden Umfragen insbesondere in Österreich am Boden der Ansehenspyramide angelangt sind. Laut Reader’s Digest Trusted Brands – eine der größten internationalen Markforschungen in diesem Bereich – vertrauten ihnen 2005 noch 23 Prozent, 2015 tut dies nur noch jeder Zehnte. Von 24 abgefragten Berufen liegen lediglich die Immobilienmakler hinter den Volksvertretern. In ihrem internen Ansehenswettbewerb ist jedoch regelmäßig jener vorn, von dem wir am wenigsten hören: der Bundespräsident.

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Ganz an der Spitze der Pyramide dagegen gibt es kaum Veränderungen – abgesehen vom insgesamt sinkenden Vertrauen in alles und jeden. Wie nahezu überall auf der Welt liegen die Feuerwehrleute voran. Mit 94 Prozent verzeichnen sie zwar auch einen Verlust, doch dieser wirkt angesichts der hundertprozentigen Zustimmung von 2005 verschmerzbar. Gleich nach den großen Vorbildern von Grisu, dem kleinen Drachen, folgen mit Apothekern (92 %), Krankenschwestern (90 %) und 

„Ethos ist gut, aber Hippokrates zahlt keine gehälter.“

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Das veröffentlichte Verständnis für diese Forderungen ist viel größer, als es angesichts von zugespitzten Ansprüchen wie „Dreißig Prozent mehr Gehalt für deutlich weniger Wochenstunden Arbeit!“ in einer Gesellschaft zu erwarten ist, die ansonsten Gehaltserhöhungen von fünf Prozent für große Erfolge hält. Das hat einerseits mit dem Prestige der Mediziner zu tun, doch andererseits auch mit der Furcht, ihnen ausgeliefert zu sein. Das offizielle Wohlwollen weicht unter vier Augen der kommunikativen Ohnmacht – vor allem von Politikern, die ihr viel geringeres Sozialprestige kennen.

Unvermittelbare Standesprobleme.

Sie führen einen Kampf, den die öffentliche Hand zumindest in der Arena der veröffentlichten Meinung kurzfristig kaum gewinnen kann.

Doch der Vergleich mit den Lehrern zeigt, dass von Runde zu Runde die Sympathien des Publikums nicht unbedingt zu den Underdogs von der Politik wechseln, aber auch für den Favoriten immer geringer werden. Das System Neugebauer heißt: Die Pädagogen gewinnen zwar fast jeden Arbeitskampf, doch sie verlieren dabei zusehends ihr Ansehen. Denn auch zu ihnen entspricht die veröffentlichte Meinung nicht der öffentlichen Meinung. Das gilt sogar für die Kritik aus den Medien. Sie wird fast ausschließlich von jenen Journalisten vorgetragen, die entweder noch keine oder nicht mehr schulpflichtige Kinder haben. Druckausübung funktioniert ansonsten mitunter auch wie in dem Fallbeispiel, in dem der Lehrer den Schüler

„Glaubwürdigkeit, Ansehen, Vertrauen: das sind und werden immer noch mehr die wahren Leitwährungen unserer Gesellschaft.“

Weder die Berechtigung der Arbeitszeiten der Pädagogen noch die Verhältnismäßigkeit des Gehaltsschemas der Mediziner lässt sich von einer Allgemeinheit beurteilen, die in ganz anderen beruflichen Verhältnissen lebt. Doch die differenzierte Darstellung solcher Sonderfälle ist in einer Mediendemokratie kaum möglich, die nach dem Motto KISS (keep it short and simple) funktioniert. 

Erst die Strategie, dann die Taktik.

Aus der Zwickmühle, kurzfristig das beste Ergebnis herauszuholen ohne das Berufsprestige langfristig zu beschädigen, 

gibt es lediglich den Ausweg kontinuierlicher statt anlassbezogener Öffentlichkeitsarbeit. Eine solche Vorgehensweise bedingt aber mehr Transparenz und weniger Distanz. Der Platz auf dem Sockel der unangreifbaren Autorität ist aber ohnehin weder für die eine noch die andere einstige Honoratioren-Profession haltbar. Es gibt für sie bloß die Wahl zwischen unkontrolliertem Absturz und selbst gesteuertem Abstieg. Das gilt auch für Journalisten, die wie die Politiker noch nie einen besonders guten Ruf hatten, dessen Restbestände aber auch noch verlieren. Im Zweifel ist die langfristige Investition in Vertrauen und Glaubwürdigkeit wichtiger als der kurzfristige Erfolg bei Geld- und Zeitfragen.