iele Frauen kennen es: Man joggt durch den Wald, leise Musik in den Ohrstöpseln, freut sich über den Flow und darüber, den Schweinehund ausgetrickst zu haben, und plötzlich ist da ein Geräusch. Ein Rascheln, ein Knarren, vermeintliche Schritte oder ein Räuspern. Im Nullkommanix schaltet das Herz auf Turbo, aus Joggen wird Flüchten und das Glücksgefühl ist passé. Egal, ob man sich gerade Richtung Hungerburg, Lanserkopf oder durch die Sillschlucht bewegt, solche Situationen sind auch ohne echte Gefahr höchst unangenehm.
//Nicht nur beim Sport im Freien, auch nachts auf dem Nachhauseweg oder allein im Zugabteil wünscht man sich als Frau oft, ein paar Strategien parat zu haben, um sich im Notfall behaupten zu können. Schon lange habe ich mir vorgenommen, mich mit ein paar Techniken auszurüsten. Zu meiner Überraschung gibt es in Innsbruck die unterschiedlichsten Selbstverteidigungskurse. Drei schaue ich mir näher an.
Krav Maga
RSDC-Tirol, Schule für Selbstverteidigung & Sicherheit
Franz-Fischer-Straße 7c
E-Mail: [email protected]
Wing Tsun
EWTO
Andreas-Hofer-Straße 40
E-Mail: [email protected]
WenDo
Frauen gegen Vergewaltigung
Sonnenburgstraße 5
E-Mail: [email protected]
Krav Maga.
Ursprünglich für das israelische Militär entwickelt, werden heute auch Polizisten und Zivilpersonen in verschiedenen Krav-Maga-Varianten unterrichtet. Das Selbstverteidigungskonzept kombiniert Techniken aus verschiedenen Kampfsportarten. Kurse werden in Innsbruck zum Beispiel in den Räumlichkeiten des Judozentrums in der Franz-Fischer-Straße durchgeführt. Für Frauen gibt es laut Homepage ein maßgeschneidertes Programm mit Schwerpunkt auf Selbstverteidigung und Stärkung des Bewusstseins. Es wird als einfach, effektiv und wirkungsvoll beschrieben. Klingt vielversprechend! Da ein Einstieg prinzipiell das ganze Jahr über möglich ist, folge ich der E-Mail-Einladung zu einer Gratis-Schnupperstunde.
//Vor Ort die erste Überraschung: Der Großteil unserer Gruppe besteht aus Männern. Vielleicht gehört das ja zum Konzept, denke ich mir. Der Trainer – ein Krav-Maga-Experte – ist muskulös gebaut, hält einen Schlagstock in der Hand und befiehlt uns, in einer Reihe anzutreten. Während er uns im Schnelldurchlauf ein paar Prinzipien erklärt, marschiert er vor uns auf und ab. Dann geht es ans Eingemachte: Zum Aufwärmen müssen wir uns durch die Halle laufend und auf Kommando gegenseitig auf den Kopf oder die Schultern schlagen bzw. auf die Füße treten. Berührungsängste, vor allem Fremden gegenüber, sind hier fehl am Platz. Nach mehreren Hauen auf den Kopf von einem 1,80-Meter-Typen brodelt es in mir. Weitere Übungen nach dem Befehl-Gehorsam-Prinzip bringen mich zum Glühen – vor Anstrengung ebenso wie vor Wut. Bereits nach 30 Minuten Training zweifle ich daran, im richtigen Kurs zu sein. Denn, anders als erwartet, werden frauenspezifische Themen nicht angesprochen. Der Fokus liegt auf körperlicher Abwehr. Dann, der Höhepunkt: Man verbietet uns, ungefragt Pausen einzulegen. Spätestens jetzt ist klar, dass Disziplin und Fügsamkeit Teil dieses Krav-Maga-Kurses sind. Wer das mag, ist hier goldrichtig. Ich gehöre nicht dazu. Und nach einer Dreiviertelstunde verlassen drei andere Damen und ich die Halle, während der Rest enthusiastisch weitertrainiert.
Wendo.
WenDo – ein Selbstbehauptungs- und Selbstverteidigungskurs für Mädchen und Frauen – wird in Innsbruck zum Beispiel vom Verein Frauen gegen Vergewaltigung angeboten und von ausgebildeten WenDo-Trainerinnen durchgeführt. Diese Selbstverteidigung aus Kanada kombiniert unter anderem Elemente unterschiedlicher asiatischer Kampfkünste und wurde von Frauen für Frauen entwickelt. Die Kurse werden in unregelmäßigen Abständen, meist an Wochenenden, abgehalten. Ich nutze die Gelegenheit und besuche einen zweitägigen Workshop im Yoga Shala in der Andreas- Hofer-Straße. Start, Samstagmorgen, 11 Uhr: Wir sind sechs Teilnehmerinnen, ein paar kennen sich untereinander. Anfangs ist die Gruppe etwas nervös. In dieser angespannten Situation hat der lichtdurchflutete Raum, ausgestattet mit einer Buddha-Statue und Yogakissen, eine angenehm beruhigende Wirkung. Die Trainerinnen stellen sich vor: zwei Frauen, WenDo-erfahren und bodenständig. Bestimmend, aber nicht autoritär. Sie präsentieren die Technik als geheimes Wissen unter Frauen und stellen klar, dass die Kursinhalte nicht nach draußen dringen dürfen.
//Einverstanden mit diesem Grundsatz, darf ich nur so viel verraten: Bei WenDo werden drei Ebenen trainiert – die körperliche, die verbale und die psychische. Am Anfang helfen spielerische Aufwärmübungen, das Eis zu brechen. Einen Teil des Kurses verbringen wir anschließend mit Rollenspielen. Dabei gehen wir Szenen aus dem Alltag durch, die uns persönlich Schwierigkeiten bereiten, und üben, mit Sprache zu reagieren. Im Laufe des Kurses verlagert sich der Fokus auf die körperliche Abwehr. Wir lernen und üben Verteidigungstechniken. Zwischendurch gibt es Pausen, um das Erlebte zu reflektieren und zu entspannen. Dabei bleibt Raum für Diskussionen über Erfahrungen und Zweifel. Sonntagabend, am Ende des Kurses, geht es den meisten von uns gleich: Wir sind müde, ja fast erschöpft. Zwei Tage lang haben wir uns mit zum Teil sehr harten Themen auseinandergesetzt. Gleichzeitig fühlen wir uns gestärkt und sind ein Stückchen gewachsen. Fragt mich jemand: „Und, wie war’s?“, antworte ich: „Gut.“ Und Frauen rate ich: „Probiert es doch einfach selbst.“
Wing Tsun.
Bruce Lee zählt wohl zu den bekanntesten Schülern Yip Mans, auf den die meisten Varianten von Wing Tsun zurückgehen. In Innsbruck wird die chinesische Kampfkunst etwa an der Schule EWTO (Europäische Wing-Tsun-Organisation) in Wilten gelehrt. Am Telefon erklärt man mir, dass immer wieder Selbstbehauptungs-Kurse für Frauen stattfinden, in naher Zukunft jedoch nichts geplant sei. Ein kostenloses Schnuppertraining biete aber Einblicke in das Verteidigungskonzept. Und schon stehe ich vor einer erfahrenen Schülerin und übe „Formen“ ein, also Grundtechniken der Kampfkunst. Wir trainieren mit zwei Lehrern. Während einer mit den Fortgeschrittenen Befreiungsgriffe und Tritte einübt, zeigt die Lehrerin den weniger Erfahrenen, wie man Schlägen ausweicht. Jeweils zu zweit wird geübt.
//Man nimmt sich viel Zeit, um mir Grundsätzliches über Wing Tsun als Selbstverteidigung zu erklären: Ich erfahre, dass man bewusst nicht von Frauen, sondern von Opfern spricht, „schließlich gibt es ja auch schwache Männer, oder nicht?“. Die gemischte Gruppe sei Teil des Konzepts, dadurch erhalten Frauen die Möglichkeit, mit Männern zu trainieren, und können dabei Berührungsängste abbauen. Um voneinander zu lernen, werden Anfänger im Unterricht auch nicht von den Fortgeschrittenen getrennt. Neben dem körperlichen fließt auch der psychosoziale Aspekt mit ein. So wird Mädchen zum Beispiel gezeigt, wie sie im öffentlichen Raum mehr Platz gewinnen, Gefahrensituationen vermeiden und sicherer auftreten können. Auch typische Gefahrensituationen werden durchgespielt, etwa, wie man sich befreit, wenn man an die Wand gedrückt oder an den Handgelenken festgehalten wird. All jenen, die schon länger dabei sind, scheint der Kurs sichtlich Spaß zu machen. Auch mich spricht der Mix aus Technik und geistiger Stärkung an. Am Ende der Stunde folgt ein kurzes Abschiedsritual. Auch in diesen Kurs kann man jederzeit einsteigen.
Fazit.
Welche Technik für einen persönlich die richtige ist, muss jede und jeder selbst herausfinden. Eine Grundidee zieht sich aber wie ein roter Faden durch all die Verteidigungskonzepte: Jeder kann sich wehren, egal ob 50 oder 100 Kilo, groß oder klein, Mann oder Frau. Wichtig ist nur, sich bewusst zu sein, dass man das Recht hat, „Nein“ zu sagen, und die Fähigkeit besitzt, sich zu wehren.