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JÄNNER 2019

From Ex-Yu with love

Begibt man sich in Innsbruck etwas abseits der gewohnten Pfade, entdeckt man Gruppen und Menschen, die man nicht vermutet hätte. 6020-Redakteur Haris Kovacevic traf Mirko Ɖurić, den Betreiber eines Innsbruck Ex-Yu-Pubs plus Diskothek, und ging am Abend aus.

Fotos: Axel Springer
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ls ich meinen Kumpel Goran am Freitag in einem Lokal treffe, frage ich ihn, ob er ins Del Capo gehen möchte – er schaut mich verdutzt an. Wir gehen dort nie hin: Die Musik hören wir nicht und es liegt, wie schon gesagt, etwas abseits unserer gewohnten Pfade. Ich erkläre ihm, dass ich mir das einmal anschauen will: Vielleicht haben wir nur Vorurteile, vielleicht läuft nicht nur Turbo-Folk, und Alkohol sei schließlich Alkohol, egal wo man ihn trinkt [sic!]. Nach reichlicher Überredung stimmt er zu und wir machen uns auf den Weg. Mit Goran rede ich oft über Musik, unsere Diaspora und manchmal über Politik. Zwei der drei Dinge interessieren mich.

Im Del Capo.

Im Del Capo angekommen, wird das Gespräch von Goran und mir augenblicklich unterbrochen: Ein Tornado aus ohrenbetäubenden Beats, starkem Tabakgeruch und neugierigen Blicken fegt über uns hinweg und, betäubt vom ersten Eindruck, suchen wir uns einen Platz am Tresen. Das Pub in der Amraser Straße ist so etwas wie der ultimative Treffpunkt der Innsbrucker Ex-Yus.

EX YU 6020 A231 1901 02 Mirko2

Ich treffe Mirko Ɖjurić ...

Er betreibt das Del Capo in der Amraser Straße und die dazugehörige Diskothek Queens Club. „Ich wollte hier ein kleines Jugoslawien für unsere Diaspora schaffen“, erklärt Ɖurić. Ihm war bewusst, dass das nicht ganz einfach werden würde: „Von Anfang an habe ich beispielsweise nationale Abzeichen jeglicher Art verboten und deswegen fühlen sich heute hier alle wohl.“ Aber nicht nur aus diesem Grund. Der Gastwirt sorgt für Unterhaltung: Donnerstags, freitags und samstags tritt eine vom Besitzer in Bosnien und Kroatien gecastete Band im Pub auf, während jeden Samstag im Queens Club entweder eine Party unter einem besonderen Motto steigt oder ein in Ex-Jugoslawien berühmter Künstler Bühne bekommt. „Fast alle mit Rang und Namen sind hier schon einmal aufgetreten.“

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Ɖurić sagt, dass es früher nicht üblich gewesen sei, als Ex-Yu in eine Kneipe für „Švabos“ zu gehen. In dieser Hinsicht hätten sich die Zeiten aber geändert. „Ich habe ein bisschen Angst, dass Jugo-Bars irgendwann aussterben“, sagt Ɖurić. „Noch kommen genug Leute, die die Musik mögen und unsere Art zu feiern.“ Ob es in Zukunft auch so sein wird, wisse er nicht. Er vermutet aber, dass sich die Trennung immer weiter erübrigen wird.

 

3. Diaspora: Beliebter Terminus für alle „im Westen“ lebenden Ex-Yus

 

4. Švabos: Bezeichnung für Deutschsprachige, das weibliche Pendent ist Švabica

Unter der Woche integriert, kann man am Wochenende ruhig mal auf den Putz hauen.

Der Balkan ist schuld.

Der Sänger bahnt sich seinen Weg durch die Menge im Del Capo, die sichtlich Gefallen am Dargebotenen findet und es mit ausgestreckten Armen und Zeigefingern kundtut. Es wird auch im Rhythmus geklatscht oder geschnipst, viel gelacht und geschrien. Schnell merken Goran und ich, dass wir nur mit Blicken, Grimassen und Handzeichen kommunizieren können. Wir bestellen Bier. Die Kellnerin zeigt fragend auf ein Heineken. An unseren ablehnenden
Gesten merkt sie, dass wir mit dem holländischen Gebräu nichts anfangen können, und stellt uns gezapftes Zipfer hin. Wir sind die einzigen, die Bier aus Gläsern trinken. Heineken-Flaschen, Jacky Cola und Shots haben hier die Überhand. Alles andere scheint eher die Ausnahme zu sein.

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Während wir nun dasitzen und schüchtern an unseren Biergläsern nippen, sehe ich, dass auf dem Fernsehbildschirm für eine Balkanparty in der darauffolgenden Woche geworben wird.

Ich bin etwas überrascht, da ich ja spätestens seit Slavoj Žižeks These weiß, dass dem Wort Balkan immer etwas Negatives anhaftet.

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Der slowenische Philosophie-Popstar erklärt, wie weit das barbarisierende Potential des „Vorwurfs“ Balkan geht, und stellt fest, dass sich jedes Volk kulturell davon abgrenzen möchte: Serben beschuldigen beispielsweise Albaner, „den wahren“ Balkan zu repräsentieren, während Kroaten das Gleiche über die Serben behaupten, sich aber die Beschuldigung gleichzeitig von Slowenen gefallen lassen müssen. Österreicher und Deutsche sehen sich klar als Mitteleuropäer und grenzen sich von ihren süd-östlichen Nachbarn ab, müssen aber seit nun mehr als 70 Jahren fast täglich beweisen, keine Nazis zu sein, und beäugeln neidisch die glorreiche Geschichte der Franzosen, die sich erst recht für was Besseres halten. Schlussendlich schmeißen die Briten ganz Kontinentaleuropa in einen Balkan-Topf und rühren vornehm in ihren Teetassen herum.

Liebe, Tod und Alkohol: Die Flaschen werden immer leerer.

Nach einigen Drinks fange ich an, Gefallen an den Turbo-Folk-Beats zu finden.

 

Je nachdem, wo man steht, ist man nach Žižeks Meinung mehr oder weniger vom Balkan-Syndrom betroffen. Je eher in dieser Klischeekette genannt, desto gründlicher müsse man sich rechtfertigen, wenn man in den Westen zieht. Zu allem Überfluss erkennt man Menschen aus Ex-Jugoslawien an den č-s und ć-s in ihren Nachnamen und der Sprache. Viele Ex-Yus glauben beweisen zu müssen, dass sie die Halbinsel mit dem Karpatengebirge hinter sich gelassen haben, ihre „barbarischen“ Bräuche höchstens im Sommerurlaub praktizieren, den sie natürlich in ihrer alten Heimat verbringen. In Österreich gelten sie als „brave Ausländer“, sind tüchtig, freundlich und oft gute Fußballspieler.

Balkan-Sound.

Unter der Woche integriert, kann man am Wochenende ruhig mal auf den Putz hauen und die Seele beim Balkan-Sound baumeln lassen. Männer umarmen sich freundschaftlich und singen die Lieder mit, kneifen an den passenden Stellen die Augen zusammen und strecken gleichzeitig den Arm in die Höhe. Vor Goran und mir landen auf einmal Reagenzgläser in einer Box. Wir sollen trinken, deutet uns die Barkeeperin an.

Da wir schon seit Stunden kein Wort gewechselt haben und uns unsere ablehnenden Gesten langsam wie Floskeln vorkommen, nehmen wir dankend an.

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Nach einigen Drinks fange ich an, Gefallen an den Turbo-Folk-Beats zu finden. Vor allem mit den einfachen Rhythmen, die scheinbar nie enden wollen, freunde ich mich an. Ich klatsche einige Male passend. Zum Glück hat es Goran nicht gesehen. Wir sind Rockfans und dürften eigentlich nicht in so einen Laden gehen. Jugoslawiens Kommunistische Partei tolerierte früher nämlich, im Gegensatz zu allen anderen Ostblockregimen, Rockmusik, was dazu führte, dass nach dem Fall der Mauer elektrische Gitarren mit verzerrtem Sound unter Jugoslawen alles andere als unbekannt waren. Vor dem Krieg wurde kulturell nur zwischen Rockfans und Volksmusikfans unterschieden. Diese Trennung war so wichtig, dass einige scherzhaft glaubten, aus diesem Grund könnte ein Bürgerkrieg ausbrechen, nie aber wegen so unwichtiger Dinge wie Nation oder Religion.

Die Band castete Mirko in Bosnien und Kroatien.

Vor dem Krieg wurde kulturell nur zwischen Rockfans und Volksmusikfans unterschieden.

Liebe, Tod und Alkohol.

Langsam erkenne ich auch an Gorans Kinn, dass er das Wippen nicht unterdrücken kann. Die Musik ist laut, aber der einzige Hafen, in den man sich bei der Reizüberflutung flüchten kann. Ein Duett wird gesungen. In den Texten geht es um Liebe, Tod und Alkohol. Mit mindestens zwei der drei Dinge scheinen die meisten zu tun gehabt zu haben.

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Ich bestelle weitere Drinks. Goran und ich lassen uns gegenseitig anmerken, dass wir einige Lieder kennen. Schließlich ist jeder Rockfan der Sohn eines Folkfans. Wir entdecken sogar einige Fehler im Text, doch mittlerweile ist uns alles wurscht.

 

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Zeit nach Hause zu gehen. Im Queens Club, der direkt daneben ist, herrscht am Wochenende so ausgelassene Stimmung, dass die Menge meistens bis auf den Gehsteig zu hören ist. Ich denke noch lange über die Worte von Mirko Ɖurić nach, der Angst hat, dass „Jugo-Bars“ irgendwann aussterben. Man wird in Innsbruck schwer ein Pub finden, in dem mehr Stimmung und Wirbel herrscht als im Del Capo. Wenn man aber einen ruhigen Ort sucht, um sich zu unterhalten, sollte man woanders hingehen.