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JÄNNER 2017

Statt Land Stadt-Land

Er ist 2016 mehrmals auffällig geworden, der Bezirk Innsbruck-Land, ohne den die Stadt inmitten nicht Zentrum der kleinsten österreichischen Metropolregion wäre – zumindest laut Definition der Europäischen Union. Der Wettbewerb der Kommunen wird immer mehr durch die Agglomeration geprägt. Denn erst ihre Mischung aus ruralem Flair und Urbanität entscheidet über Lebensqualität.

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anz Österreich wartete bereits am 23. Mai auf Innsbruck-Land, als dort nach dem ersten Stechen zur Bundespräsidentenwahl am längsten ausgezählt wurde. Das hat dann zwar nichts genutzt, weil er dennoch einer jener bundesweit 14 Bezirke mit Verstößen war, wegen denen die Abstimmung neu ausgetragen wurde. Aber auch im Anschluss an die Wiederholung – infolge des klaren Ergebnisses zwar nicht mehr so gespannt – wartete ganz Österreich am 6. Dezember auf Innsbruck-Land. Keine andere Wahlbehörde hat bis Nikolo gebraucht, um die Stimmen vom Barbaratag zu zählen.

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So weit, so bekannt. Doch kommunikationstechnisch wurde einerseits verabsäumt zu fragen und andererseits unterlassen zu sagen: warum gerade Innsbruck-Land? Die Antwort wäre durchaus einleuchtend gewesen: Das ist der gemeindereichste Bezirk und hinter den Statutarstädten Wien, Graz und Linz sogar der bevölkerungsstärkste in ganz Österreich. Einwohnermäßig also der größte nicht durchgehend urbane Raum und auch mit seiner Fläche immerhin auf Rang 6. 175.000 Menschen leben hier in 65 Gemeinden auf 2.000 Quadratkilometern. Nicht nur dank den 30.000 Hallern und Telfern in der älteren Stadt und im größeren Markt ist der Bezirk keine pure Ansammlung von Schlafdörfern für pendelnde Arbeitsstädter. Auch die weiteren Gegenpole Rum und Zirl, Wattens und Völs, Absam und Axams haben jeweils mehr als 5.000 Einwohner.

Randständige Metropolregion.

Doch Bezirke wie Agglomerationen bieten keine Identifikationsfläche für die Selbstverortung ihrer Bürger. Also ist auch nicht bewusst, dass erst die weitverstreute Menschenmasse zwischen Leutasch und Neustift, von Scharnitz bis Schmirn gemeinsam mit den 130.000 Innsbruckern für die kleinste der fünf österreichischen Metropolregionen sorgt. So heißt eine Agglomeration in der Definition der Europäischen Union.

Nicht nur in Innsbruck äußert sich eine Mischung aus urbaner Geringschätzung und lebensqualitativer Eifersucht ungefiltert beim Autofahren.

 

Statt Land Stadt-Land ist es immer dann, wenn eine Kommune mit mehr als 100.000 Einwohnern im Zentrum liegt und sie mit ihrem Umfeld eine Bevölkerungszahl von mindestens einer Viertelmillion hat. In Österreich also Wien, Graz, Linz, Salzburg und Innsbruck – wenngleich hier manch entlegene Randgemeinde so wenig Urbanität versprüht, wie der Ausdruck Metropole eine pure Anmaßung für die Tiroler Landeshauptstadt ist. Doch wahrscheinlich liegt genau in diesem Spannungsbogen der Wettbewerbsvorteil gegenüber der Homogenität von ähnlich großen Siedlungsräumen wie Paderborn und Pforzheim – aber auch den österreichischen Konkurrenten.

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Wien spielt ohnehin in einer eigenen Liga, die Landbezirke von Graz, Linz und Salzburg haben jeweils 150.000 Einwohner. Doch dort rechnet die EU jeweils mehr hinzu. So wird der oberösterreichische Zentralraum inklusive der beiden nächstgrößten Städte Wels und Steyr samt deren Umfeld mit einer Dreiviertelmillion Bevölkerung bemessen. Insgesamt leben nach dieser Berechnungsmethode in Österreich mehr Menschen in Metropolregionen als auf dem echten Land.

55:45 Prozent: Dieses Verhältnis kommt nicht von ungefähr ziemlich knapp an das Bundespräsidentenwahlergebnis heran. 

Geringschätzung und Hochachtung.

Ähnlich nahe sind sich die jeweiligen Städter in den Einschätzungen ihrer Peripherien. Nicht nur in Innsbruck äußert sich eine Mischung aus urbaner Geringschätzung und lebensqualitativer Eifersucht ungefiltert beim Autofahren. Gilt hier den „Landeiern“ mit dem IL-Kennzeichen mehr Schimpf als im Straßenverkehr ähnlich verhaltensoriginellen Kufsteinern oder Landeckern, ist dies andernorts bei Graz-Umgebung, Linz- und Salzburg-Land der Fall. Lediglich in der einzigen wirklichen Metropole sind sie gegenüber Wien-Umgebung so tolerant wie gegen alle anderen Lenker aus der Provinz. Und in Oberösterreich kommt auch hier mit Urfahr-Umgebung ein ganz besonderer Sonderfall hinzu. Ein Stadtteil als Namensgeber des Peripheriebezirks: Das gibt es sonst noch nirgends. In Linz beginnt’s. Agglomerationen sorgen aber für mehr als nur Verwirrung im Abkürzungsquiz mit Autokennzeichen.

 

Das gilt noch mehr für Villach, die Nr. 7 im kommunalen Austro-Ranking. Zwischen den Gegenpolen liegt nur der Wörthersee. Sie sind kaum weiter voneinander entfernt als Linz und Wels.

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Das Projekt eines gemeinsamen Kärntner Zentralraums ist also im ursprünglichen Wortsinn nahe liegend. Wer aber jemals ein Eishockeyspiel von KAC gegen VSV erlebt hat, erahnt die jede Kooperation erschwerende Rivalität zwischen diesen zwei Städten: Was Vorarlberger und Tiroler wahlweise ironisch über den Arlberg und den Tunnel dadurch sagen, findet bei vielen Klagenfurtern und Villachern eine wassertechnische Steigerung: Was Gott durch einen See getrennt hat, soll der Mensch nicht durch eine Idee verbinden. Oder doch: Denn Not macht erfinderisch.