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FEBER 2020

Wohin geht die Reise?

Seine touristische Unschuld hat Innsbruck schon lange verloren – selbst wenn die Lage noch längst nicht so prekär wie in Hochburgen wie Barcelona, Dubrovnik oder Venedig ist. Wie es in den nächsten Jahren weitergeht, hängt von Ent­scheidungen der Stadt ab.

Fotos: Axel Springer
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hat do you do after work?“ – Die Einwohner von Hallstatt im Salzkammergut werden von einigen Touristen für Schausteller gehalten. Das Städtchen ist zum absoluten Touristen-Hotspot avanciert. 2018 erreichten fast 20.000 Reisebusse die 754-Seelen-Gemeinde. Hinzu kamen 200.000 Autos. Auf jeden Einwohner entfielen damit mehr als 1.200 Gäste im Jahr. Hallstatt musste reagieren – 2019 wurde die Zahl der ankommenden Busse reguliert und wurden weitere Maßnahmen gesetzt. 

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Scharen von Touristen bewegen sich auch durch die Innsbrucker Altstadt, vor allem zu den Speerspitz-Zeiten. So ernst wie in Hallstatt ist die Lage aber noch nicht. Nimmt man Innsbrucks Tagestouristen und Übernachtende zusammen, kommen auf jeden Einwohner etwa 47 Gäste. 

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Auf die Unterscheidung zwischen Tagestouristen und übernachtendem Gast legen Touristiker viel wert. Wer übernachtet, gibt mehr Geld aus. Wer nur für einen Tag kommt, zahlt keine Übernachtung, verursacht mehr Verkehr und besucht meistens nur die ohnehin schon überlaufenen Hotspots. Soweit die Theorie. 

Bleib doch noch ein bisschen.

Dass man dabei nicht einfach eine klare Grenze ziehen kann, weiß die Direktorin des Innsbrucker Tourismusverbands Karin Seiler-Lall. Tagestouristen zu verteufeln sei einfach, aber nicht gescheit. „Ein Vorurteil besagt, dass sie höchstens einen Apfelstrudel essen und einen Kaffee trinken“, erklärt sie, „es gibt aber solche und solche Tagesgäste.“ Eine moderne Stadt brauche auf jeden Fall auch die Tagesgäste. „Gerade zu Zeiten, in denen die Stadt nicht so stark besucht wird, sind wir über Gäste, die einen Stadtausflug machen, froh.“ 

„Ohne die Touristen würde es die meisten Berg­bahnen nicht geben.“

Karin Seiler-Lall, Direktorin des TVB Innsbruck

 

Die Strategie des Tourismusverbands ziele aber eindeutig daraufhin, die Gäste länger in der Stadt zu behalten. Alle hätten mehr davon. Wie aber soll das gelingen? „Das touristische Angebot muss bunt bleiben und außerdem auch in Stadtteile ausgelagert werden, die von den Touristenströmen nicht so stark frequentiert werden“, sagt Seiler-Lall. Abgesehen davon müssten Veranstaltungen unterstützt werden, die über mehrere Tage laufen.

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„Deswegen unterstützt und subventioniert der TVB Innsbruck vorwiegend Projekte, die zur dieser Strategie passen“, erklärt die Direktorin des Verbands. Vorbildcharakter habe dabei Amsterdam gehabt. Stadtteile, die eher abseits der üblichen Pfade liegen, wurden dort gezielt in Szene gesetzt. „Das Ergebnis: Gäste blieben länger – nun aber gut verteilt und damit weniger störend für Anwohner“, so Seiler-Lall. 

Was für eine Stadt.

Wer in Pradl, in der Höttinger Au oder in Saggen wohnt, wird die Touristenskepsis nicht ganz verstehen. Wie geht es aber den Anwohnern der Riesen- oder der Seilergasse in der Altstadt? „Zur Speerspitze im November und Dezember ist es nicht angenehm hier zu leben“, sagt Paul Töchterle, Altstadtbewohner seit zehn Jahren. Doch auch abseits der Rushhour sei für viele die Lage unerträglich. „Familien ziehen hier meistens weg“, sagt Töchterle. Die Altstadt sei eher was für junge Menschen oder Leute, die dort auch ihr Geschäft betreiben. Oder eben für Touristen. Vor allem für die Letzteren, konstatiert Töchterle.

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Die Touristen stören den Bewohner der Altstadt kaum. Auch das wirtschaftliche Interesse der Stadt kann er nachvollziehen. Als Altstadtbewohner fühlt er sich aber etwas vernachlässigt und würde bei der Gestaltung der Altstadt gerne mehr einbezogen werden. „Wir sehen, dass sich um die Gäste gekümmert wird. Viele stellen sich die Frage, in was für eine Stadt die Gäste kommen wollen. In was für einer Stadt wir aber leben wollen, fragen sich nur wenige.“ 

Vor der Entscheidung.

Karin Seiler-Lall verweist bei aller verständlichen Kritik auf die enormen Benefits, die der Tourismus mit sich bringt: Infrastrukturell steht Innsbruck hervorragend da. Die Stadt ist gut mit den umliegenden Gemeinden, Skigebieten und Wanderwegen verbunden. „Ohne die Touristen würde es die meisten Bergbahnen nicht geben“, meint sie, „ebenso wenig wie die öffentliche Verkehrsanbindung ins Sellraintal oder ins Kühtai in der Frequenz.“ Das unter Einheimischen beliebte und gefragte Freizeitticket sei auch nur finanzierbar, weil andere bereit sind, für die Skipisten, Museen und Schwimmbäder den vollen Preis zu zahlen. Das dürfe man bei der Diskussion auch nicht vergessen.

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Ob Innsbruck in Zukunft die Touristenströme reguliert oder den Markt sich selbst überlässt, hängt von den Entscheidungen der Verantwortlichen ab. Falsche Handlungen und übertriebene Nachlässigkeit können aber beide schwerwiegende Folgen nach sich ziehen. 

„Zur Speerspitze im November und Dezember ist es nicht angenehm hier zu leben.“

Paul Töchterle, Altstadtbewohner

„Im Urlaub sind wir Egoisten.“

Wo fängt Overtourism an, inwiefern können Eintrittsgelder und Verbote überlaufene Urlaubs-Hotspots retten und wie tief steckt Innsbruck in der Massen-Falle? Der Tourismus- und Zukunftsforscher Peter Zellmann im 6020-Interview. 

 

Interview: Christiane Fasching

6020:

Ist das Overtourism-Problem zum Teil nicht selbst verschuldet? Peter Zellmann: Natürlich liegt hier auch Selbstverschuldung vor. Wobei man diese Schuld nicht einfach allen Einwohnern der Over­tourism-Hochburgen umhängen kann. Tatsache ist, dass man zunächst aus wirtschaftlichen Gründen Touristenmassen anlocken wollte und dann den Punkt übersehen hat, als alles zuviel wurde. Mittlerweile ist man aber gewarnt und kann dagegensteuern. 

 

Ab welchem Punkt kann man überhaupt von Overtourism sprechen? Wenn Einheimische unter dem Tourismus leiden. Aber auch hier muss man relativieren: Den Geschäftsleuten in der Getreidegasse kann der Trubel wahrscheinlich nicht groß genug sein, die Leidtragenden sind aber diejenigen, die hier wohnen oder alltägliche Gänge zu erledigen haben. Genau diesen Menschen muss man auch zuhören und eine Lösung finden, mit der sie gut leben können. Für Österreich wäre es auf alle Fälle fatal, den Tourismus per se zu verteufeln.

 

Welche Fehler wären vermeidbar gewesen? Man hätte rechtzeitig den Unmut der Einheimischen ernst nehmen müssen. Um nicht dieselben Fehler zu machen und den Tourismus in eine richtige Richtung zu steuern, sind Einschränkungen im Verkehr, die Einführung von Bus-Slots oder auch die Einhebung von Eintrittsgebühren notwendig – damit eine Wertschöpfung in der Stadt bzw. der Region bleibt. 

 

Besteht durch die Einführung von Regeln, Geboten und Eintrittsgeldern nicht die Gefahr, dass gar niemand mehr kommt? Dass gar niemand mehr kommt, wird nicht eintreten. Und ich kann ja nicht etwas kritisieren und dann jede Maßnahme, die getroffen wird, bemängeln. Auf der Autobahn gibt es zum Wohl der Allgemeinheit ja auch Tempolimits. Natürlich ist es nicht sinnvoll, von einem Extrem ins andere zu kippen: Regulierungen dürfen nie in einer Ausgrenzung münden, vielmehr sollte man sich in der Mitte treffen.

„Von Over­tourism kann man dann sprechen, wenn Einheimische unter dem Tourismus leiden.“

Peter Zellmann

 

In Innsbruck gab es 2019 „nur“ 13 Nächtigungen pro Einwohner – in Serfaus waren es 1.121. Wird in Innsbruck also grundlos gemotzt? Es kommt ja weniger auf die Nächtigungen als auf die Wertschöpfung pro Einwohner an: Entscheidend ist das regionale Inlandsprodukt. Darüber hinaus dürfen auch die „Motzer“ nicht vergessen, dass Österreich im internationalen Vergleich Gastgeber-Weltmeister ist – wir leben vom Tourismus, er ist unser Alleinstellungsmerkmal und volkswirtschaftlich unersetzbar. 

 

Bustouristen lassen in Innsbruck laut einer Studie der Wirtschaftskammer nur 35 Euro da. Sind sie es, die das Fass zum Überlaufen bringen? Ja, freilich. Und gerade beim Tagesbustourismus kann man beobachten, dass die Politik viel zu spät und inkonsequent agiert hat. Was wohl daran liegt, dass Tourismus ein politisch heikles Thema ist, mit dem man nicht viel Wählerstimmen lukriert. Die Traumvorstellung vom Tourismus ohne Gast lässt sich halt nicht umsetzen. 

 

Warum mutiert der Mensch im Urlaub oft zum Drängler mit Trinkgeldsperre und eigenwilligem Kleidungsstil? Urlaub ist nach Weihnachten nicht nur die emotional wichtigste Zeit im Jahresablauf, sondern auch die populärste Form von Glück. Hier gilt ein anderes rationales Verhalten als im Alltag: Im Urlaub sind wir Egoisten.