r hätte vielleicht einen modernisierenden Anstrich nötig, aber eigentlich kann sich der Gastraum des Waldorf immer noch sehen lassen. Heute wird hier aber kein Essen mehr serviert. „Zwei Euro“, ruft Lana Liu dem Paar, das gerade eine Wokpfanne beäugt, entgegen, der Mann wirkt interessiert. „Ich möchte darin Teig für serbisches Brot machen, den muss man ja fast ein bisschen boxen. Serbisch und Chinesisch, was für eine Mischung“, stellt er lächelnd fest. „Die beste Mischung“, sagt Frau Liu freundlich. Das Paar tauscht sich kurz aus: Holz eigne sich doch besser für den Brotteig, so fällt die Wahl auf andere Küchenutensilien. Davon gibt es heute einige zu erbeuten.
//In den vergangenen Jahrzehnten hat die Familie Liu insgesamt drei Restaurants in Innsbruck betrieben: Eines am Claudiaplatz zwischen 1985 und 1996 und ein weiteres in der Museumstraße Mitte der Neunziger, das aber nur zwei Jahre währte. Das Waldorf blieb stets das Hauptquartier. Aus diesen drei Betrieben stammt nun das Geschirr und anderes Zeug, das Mitte Jänner auf dem hausinternen Flohmarkt verkauft oder gar verschenkt wird. „Es wäre ja schade drum“, sagt Frau Liu, die das Restaurant seit 1983 gemeinsam mit ihrem Ehemann Thomas, dem Koch des Hauses, betrieben hat.
Die Pension wartet.
Die Lius haben einen Sohn und eine Tochter, die allerdings nicht in der Gastronomie tätig sein wollen. Die Arbeit ist anstrengend, Frau Liu kam oft erst um drei Uhr ins Bett. Sie hat Verständnis für die Entscheidung ihrer Kinder, den Job müsse man mögen. Lana Liu mochte ihn: „Im Moment ist es nicht leicht für uns, schließlich haben wir das ja allein aufgebaut. Trotzdem hat alles ein Ende.“ Das Paar will nun die Pension genießen und wird ins Stubaital ziehen. „Das wird eine große Umstellung, aber ich freue mich aufs Land. Dort kann man schön mit Buch und Getränk auf einer Bank sitzen.“ Dass die Vollblutgastronomin gerne unter Leuten ist, spürt man sofort. Sie will sich in Zukunft auch ehrenamtlich in der Behindertenbetreuung engagieren. Fürs Waldorf hat die Familie Liu bereits einen neuen Pächter gefunden, verraten will sie ihn noch nicht.
Das Paar will nun die Pension genießen und ins Stubaital ziehen.
Über Kalkutta nach Österreich.
Frau Liu spricht mit chinesischem Akzent und leichter Tiroler Färbung. Über ihr arbeitsreiches Leben könnte die 65-Jährige glatt ein Buch schreiben: Geboren wurde die Tochter chinesischer Einwanderer in Kalkutta, wo diese, wie viele andere, als Schienenbauarbeiter anheuerten. „Wir waren zehn Geschwister“, erinnert sie sich. Sie wuchsen alle in Indien auf, besuchten eine chinesische Schule. Einige Geschwister wanderten später auch wieder aus, nach Kanada, Schweden, Australien oder in die USA. „Für Familientreffen kommen wir aber immer nach Kalkutta zusammen. In China haben wir zwar auch Verwandte, aber das Land ist uns irgendwie fremd.“
//Sie ist froh, in Tirol zu leben, schätzt sich sehr glücklich. Lanas Mann Thomas kam 1977 von Indien nach Wien, „mit knapp 100 Dollar in der Tasche“, erzählt sie. Er bekam gleich eine Stelle in einem Chinarestaurant, Dienstwohnung inklusive. Dann wurde aus der Ferne die Verlobung arrangiert. Lana kam 1979 nach Österreich: „Unser Leben war damals einfach anders, eine Ehe nur aus Liebe undenkbar. Der gute Ruf der Familie war wichtiger. Die chinesische Kultur ist manchmal eben etwas komisch“, erklärt sie und zuckt lächelnd mit den Schultern. Natürlich seien die ersten Jahre der Umorientierung schwer gewesen, aber mit diesen Details will sie sich gar nicht lange aufhalten. Sie erinnert sich lieber an die freundlichen alten Damen im Wiener Volksgarten, die ihr beim Deutschlernen halfen. Oder an ihren ersten Job als Kellnerin, zusammen mit anderen Kollegen aus China, Japan und Korea. „Ein tolles Team“, sagt sie.
„Wir machten Urlaub in Innsbruck, kamen ins Restaurant Taj Mahal und erfuhren, dass er den Betrieb aufgeben wollte.“
Lana Liu
Plötzlich Restaurantbesitzer.
Und wie kam das Paar nach Tirol? „Wir machten Urlaub in Innsbruck, kamen in die Höttinger Gasse ins Restaurant Taj Mahal, also zu unserem indischen Vorgänger, und erfuhren, dass er den Betrieb aufgeben wollte. 1983 übernahmen wir als Pächter, völlig spontan.“ 1984 folgte der Kauf der Immobilie, das Geschäft lief von Anfang an gut: „Damals gab es noch nicht so viele chinesische Restaurants, wir waren, glaube ich, das fünfte in Innsbruck. Noch seltener waren aber Restaurants mit Mittagsmenüs“, erzählt sie.
//Als vor etwa zehn Jahren verschiedene Buffetrestaurants eröffneten, flaute die Erfolgswelle etwas ab, doch die Lius konterten mit ihrem Lieferservice. Punkten konnten sie aber schon immer mit einem hohen Qualitätsanspruch: „Ob Frühlingsrollen, Ravioli oder die Saucen für unsere Mango-Ente – wir haben 35 Jahre lang immer alles frisch und selbst gemacht.“ Die vielen Stammkunden, die auch wöchentlich kamen, wussten das am meisten zu schätzen. Sie liebten diese Küche, die auch mit eigenen Kreationen den Gaumen verwöhnten – „und ohne Glutamat“, wie Frau Liu betont.
//Das Restaurant hat übrigens seinen Namen von einer Familientradition: „Meine Schwiegereltern hatten in Indien auch einen Betrieb namens Waldorf, ein Name, der in Anlehnung ans legendäre Waldorf Astoria in New York sehr beliebt war“, klärt Frau Liu auf. Und lächelt wieder. Nicht selten sorgte der Name auch für Verwirrung: „Manche dachten, was machen die Chinesen in dieser Waldorfschule?“
„Wir haben 35 Jahre immer alles frisch und selbst Gemacht – und ohne Glutamat.“
Lana Liu