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FEBER 2019

Der grüne Alptraum vom Old Boys Club

Die Nachteile von Glaubwürdigkeitsverlust und Generationswechselverzögerung überwiegen die Vorteile von Nationalratsmandaten und bundesweiter Medienpräsenz. Die Reunion der Grünen mit der Pilz-Liste Jetzt wäre ein Fehler.

G

eorg Willi hält ein Zusammengehen der Grünen mit der Liste Jetzt, ehemals Liste Pilz, für sinnvoll und machbar. Mit dieser Aussage in einem Silvester-Interview mit der Austria Presse Agentur hat der Innsbrucker Bürgermeister österreichweit Aufsehen erregt. Dafür gibt es vielfältige Ursachen, die eine Rückblende wert sind: Schon, dass die APA einem Kommunalpolitiker national so viel Raum gibt, zeigt, welches Gewicht der 60-jährige Stadtchef mittlerweile hat. Vor zwei Jahren noch, gleich nach der Wahl ihres Ex-Sprechers Alexander Van der Bellen zum Bundespräsidenten, hatten die damals maßgeblichen Innsbrucker Grünen vor allem eines im Sinn: Georg Willi als Bürgermeisterkandidaten zu verhindern.

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Aufgrund seines auslaufenden Nationalratsmandats galt er den meisten Beobachtern bereits als Fixkandidat für das politische Ausgedinge. Doch letztlich flog die Partei insgesamt aus der ersten Kammer des Parlaments, und ausgerechnet der insbesondere von ihr selbst oft als allzu brav und bieder gebrandmarkte Innsbrucker wurde zum ersten grünen Bürgermeister in den heute 2.096 österreichischen Gemeinden – und dann gleich in einer Landeshauptstadt. Aus bundesweiter Sicht ist er seither stärker als Landeshauptmannstellvertreterin Ingrid Felipe, die in Tirol zwar die Beteiligung an der Regierung verteidigen konnte, aber dort ebenso geschwächt erscheint wie parteilich, infolge der Kurzzeit-Zweitrolle als Bundessprecherin und Mitverantwortliche für das nationale Wahldebakel.

Die unterschätzte pinke Konkurrenz.

Die grüne Perspektive aus Tirol wirkt jedoch infolge des (Mit-)Regierens in Stadt und Land noch wie der Blick durch eine rosarote Brille auf Österreich. Das Wortspiel passt auch, weil Pink die neue Modefarbe der Opposition ist. Die Neos haben vor allem im Nationalrat eine Rolle übernommen, die dort viele Jahre die Grünen innehatten. Dieses Image ist seit dem Abgang von Parteigründer Matthias Strolz nicht gebröckelt, sondern verfestigt sich unter Beate Meinl-Reisinger auf breiterer Basis. Viele Grüne hatten die Nachfolger des Liberalen Forums aufgrund ideologischer Differenzen seit jeher als Konkurrenten unterschätzt, die Neos sind aber insbesondere für die pragmatischeren, bürgerlicher orientierten Realos im Westen direkte Rivalen. Die pinken Senkrechtstarter scheinen ihnen trotz aller inhaltlichen Unterschiede mitunter näher als die Abspaltung rund um Peter Pilz, die sich nun Liste Jetzt nennt.

Ein Erfolgsrezept, um als regionaler Politiker in die nationalen Nachrichten zu kommen, ist Kritik an der eigenen Partei.

 

Ungeachtet der aus dem jüngsten Frauenvolksbegehren rekrutierten und mandatslosen Parteichefin Maria Stern punktet sie vor allem durch die Aufdeckungskompetenz ihres Gründers, dessen persönliches Ansehen enormen Schaden genommen hat. Die weiteren dort aufgefangenen grünen Routiniers Wolfgang Zinggl und Bruno Rossmann fallen ebenso wie die einstige SPÖ-Abgeordnete Daniela Holzinger zu wenig auf – für einen Wiedereinzug von Jetzt ins Parlament.

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Das ist der von Georg Willi nicht genannte Ansatzpunkt seiner Überlegungen für eine Reunion mit den Grünen: Sie brauchen die Öffentlichkeit durch den Nationalrat wie einen Bissen Brot. Laut allen aktuellen Umfragen wäre ihr Wiedereinzug auch gewiss. Aber die fehlende bundesweite Präsenz bis zur nächsten regulären Neubestimmung des Nationalrats 2022 hat negative Auswirkungen auf alle regionalen und kommunalen Wahlgänge davor. Einzig Wien ist durch sein Übergewicht stark genug, dies in der Medienpräsenz auszugleichen. Doch die Hauptstadt mit ihrem Rot-Grün-Modell ist auch die Metropole der Fundis, des Gegenpols zum Realo-Flügel. Auch deshalb hat Georg Willi schon zur nachrichtlichen Sauren-Gurken-Zeit um den Jahreswechsel die Wiedervereinigung angeregt. Er will die Diskussion anheizen, bevor andere es tun.

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Schon das Gerücht, die Liste Jetzt könnte mit dem grünen (E)Urgestein Johannes Voggenhuber (69) in die Europawahl am 26. Mai ziehen, hat die Frage aufgeworfen, ob die Grünen wirklich Besseres als ihre Altvorderen zu bieten haben. Zumal sie durch die Nominierung von Werner Kogler (57) als ihrem Spitzenkandidaten für das Europäische Parlament durchaus ähnliche Zeichen gesetzt haben. Willi, Kogler und dazu noch Pilz und allenfalls Voggenhuber? Ungeachtet des in Interviews und Sonntagsreden forcierten Generationswechsels an der Parteispitze wirkt das eher als sentimentale Männersehnsucht nach dem Old Boys Club.

Wiedervereinigung aus Machtkalkül.

Es geht also um öffentlichkeitswirksames Machtkalkül (= Nationalratssitze) und generationsmäßige Selbstbeharrung (= erneute Kandidatur als Bürgermeister 2024), wenn Georg Willi die Wiedervereinigung mit Peter Pilz und der Liste Jetzt andenkt. Seine Ausgangslage, das grüne Wählerpotenzial verteile sich derzeit auf zwei Parteien, ist eine unvollständige Behauptung. Denn dieses Reservoir wäre ebenso bei SPÖ und ÖVP, Neos und Nichtwählern zu finden. Und zwar in mindestens so großem Ausmaß wie bei der Liste Jetzt. Die liegt nämlich in allen Umfragen weit unter der Prozenthürde für einen Wiedereinzug in den Nationalrat. Das dürfte für die dortigen Old Boys samt jüngeren Frauen den Fusionsgedanken attraktiv machen – aber nur bei Mandatsgarantie.

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Ein Erfolgsrezept, um als regionaler Politiker in die nationalen Nachrichten zu kommen, ist Kritik an der eigenen Partei. Dass Willi ausgerechnet mit einem scheinbaren Harmonie-Vorschlag bundesweit Aufmerksamkeit erzielte, liegt daran, dass ausgerechnet dieser Appell zur Einigung ein Startschuss für den nächsten Streit sein kann. Denn Pilz ging nicht im Frieden, und seine Widersacher sind geblieben.

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So nachvollziehbar der bundespolitische Vorteil einer Reunion wirkt, der Verlust an Glaubwürdigkeit wiegt schwerer. Ein weiterer Nachteil ist die fortwährende Aufmerksamkeit für altvordere Jetzt-Exponenten, während der grüne Generationswechsel volle Konzentration benötigt – aber weiter stockt. Weder die Europawahl mit Routinier Kogler noch die angedachte Pilz-Heimholung werden ein wirklicher Gradmesser für den Ist-Zustand der Grünen sein – sondern die Salzburger Gemeinderats- und Bürgermeisterwahlen am 10. März. An ihren kommunalen Wurzeln wird sich zeigen, wie lebensfähig die Partei heute ohne einen öffentlichkeitswirksamen bundespolitischen Überbau ist.