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AUGUST 2016

Freudiger Zwanziger oder Trauriger Hunderter

Dies sind keine Tage, an die wir uns wegen des Wetters erinnern werden. Doch nur wenige Sommer mit so vielen markanten bis bedrohlichen Ereignissen sind im Gedächtnis. Sie reichen vom Aufstieg des Donald Trump in den USA über den Rückputsch des Recep Tayyip Erdoğan in der Türkei und den Brexit des Vereinigten Königreichs aus der EU bis zur Wiederholung der Präsidentschaftswahl in Österreich. Das lenkt ab von Tirol, wo längst ein europäisches Vorzeigeprojekt auf dem Spiel steht.

B

eredtes Schweigen: Erst ließen die Betreiber der Europaregion jahrelang zumindest die Zahl an Fortschrittsmeldungen zur Europaregion Tirol rasant anwachsen. Nun kämpfen sie sie seit Monaten vergeblich sogar gegen die Jubelflaute. Die Ankündigung, dass Alpbach das intellektuelle Zentrum der Euregio werde, kostete die TT nicht einmal einen Lacher: „Entgegen den Sonntagsreden von schärferen Konturen driftet die Europaregion irgendwie auseinander. Das Trentino liegt auf dem Weg zum Gardasee, ansonsten werden die einst so hochgelobten Berührungspunkte von Jahr zu Jahr geringer. Selbst mit Südtirol krampft es immer häufiger: In der Flüchtlings- und Brennerfrage mühten sich die Landeshauptleute Woche für Woche zu Kompromissen“, schrieb Peter Nindler zu Recht den Landespolitikern dies- und jenseits der Grenze ins Stammbuch. Für Stimmung an den Tirol-Tagen am 20. und 21. August beim Europäischen Forum Alpbach ist also gesorgt. Generalthema: Es war schon besser.

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Die erst 2015 laut gewordene Flüchtlingsfrage reicht aus, um das gesamte Projekt der Euregio in seinen Grundfesten zu erschüttern. Denn was, wenn nicht Solidarität und Integration, definiert eine Region? Wohl kaum jene gleichermaßen nationalen wie internen Grenzen, denen jetzt insbesondere der österreichische Partner des sowohl größeren wie kleineren Ganzen wieder das Wort redet. Denn der italienische Stiefel füllt sich langsam, aber bisher unaufhaltsam von Süden her mit Flüchtlingen. Wohl schon im Herbst, vielleicht auch erst 2017, werden sie hier sein. Wenn die Europäische Union keine besseren Antworten als bisher auf diese Einwanderungsfrage findet. Aber es schaut nicht danach aus.

Die Flüchtlings­frage reicht aus, um das gesamte Projekt der Euregio in seinen Grundfesten zu erschüttern.

Der Brenner als Symbol.

2016 wird der Brenner wieder zum Symbol. Entweder so oder so. Als Mahnmal für den gescheiterten Traum von der Überwindung willkürlicher Grenzen oder als Triumphbogen für den Sieg einer großen Idee über die Mühen der ganz realen Widerstände. Die Politik in Innsbruck, Bozen und Trient hat die Wahl. Der Verweis auf höhere Gewalt in Wien, Rom und Brüssel ist eine Ausrede. Wir haben die Wahl.

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Es wäre ungerecht gegenüber den handelnden Landespolitikern, sie nun einfach des Kleingeists oder Wankelmuts zu bezichtigen. Wo niemand eine Lösung hat, ist auch in der Kritik Bescheidenheit angesagt. Doch was fehlt, ist die klare Prioritätensetzung, der Vorrang für die langfristige strategische Aufgabe gegenüber den kurzfristigen taktischen Herausforderungen. So manifestiert sich im Stillstand oder gar Rückschritt der Europaregion letztlich die Krise der Demokratie. Im Grundsätzlichen scheitern wir offensichtlich daran, nachfolgenden Generationen den überragenden Wert des mühsamen und langsamen  Einbringens, Aushandelns und Einigens ausreichend zu vermitteln. Es dominiert nicht diese demokratische Entschleunigung, sondern der wirtschaftliche Tempodruck mit seiner Not-Wendigkeit zu schnellen Entscheidungen, die sich zwangsläufig eher, aber nicht besser autoritär treffen lassen.

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Die praktische Ausformung demokratiepolitischer Langzeitperspektiven wiederum unterliegt dem permanenten Schielen auf kurzfristige Wahlerfolge. Im speziellen Fall der Europaregion gilt dies für alle Beteiligten.

In Österreich wie Italien sind die nächsten Parlamentswahlen planmäßig 2018, im Bundesland Tirol wie in der autonomen Region Trentino-Südtirol steht in diesem Jahr die Neubesetzung der drei Landtage auf dem Kalender. Vorgezogene Urnengänge gelten hier wie dort zumindest nicht als unwahrscheinlich. Aber auch bei programmmäßiger Abwicklung wird das Jahr 2017 bereits überall im Zeichen des Wahlkampfes stehen. Die Sorge um den allfälligen Machtverlust bestimmt bereits das heutige Handeln. Das ist persönlich nachvollziehbar und verständlich, aber politisch kurzsichtig und falsch. 

Grenzenloses Mutmachen.

Gerade jetzt braucht es das permanente Beharren auf dem gemeinsamen, grenzüberschreitenden Lebensraum. Dazu benötigt es vorerst nicht einmal Lösungsansätze. Es genügt die gebetsmühlenartige Betonung der unabänderlichen Absicht: Und im Übrigen sind wir der Meinung, dass die Europaregion Tirol mehr denn je unsere Zukunft ist. Grenzenlos, senza confini. Was hindert die Landeshauptleute dies- und jenseits des Brenners, solche Sätze in jede Rede einzubauen oder sie gar damit enden zu lassen? Andere Prioritäten? Dann haben sie uns über Jahrzehnte belogen. Furcht vor der eigenen Schneid? Sie ist berechtigt. Denn spätestens mit dem Beginn des unsäglichen Grenzmanagements stehen die Politiker auf der Probe von: Ich sage, was ich mache, und ich mache, was ich sage.

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Diese Herausforderung ist – zugegeben – enorm. Doch es braucht die dauernde

Gerade jetzt braucht es das permanente Beharren auf dem gemeinsamen, grenzüberschreitenden Lebensraum.