Mag. Sabine Pogadl und Dr. Martina Foradori sind Mediatorinnen und leiten seit 2000 das „fair! Kompetenzzentrum für Mediation“ in der Pradlerstrasse 36. Nach der Weihnachts- und nach der Urlaubszeit ist in ihrer Praxis so viel los wie sonst das ganze Jahr nicht.
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Warum wird Weihnachten so viel gestritten? Pogadl: Wir verbinden mit Weihnachten übergroße romantische Erwartungen: Draußen schneit es, wir sitzen mit unseren Lieben im Kerzenschein zusammen, alle freuen sich über ihre Geschenke und haben sich lieb. Wenn es dann nicht so kommt, sind wir enttäuscht, zweifeln an uns selbst oder geben den anderen die Schuld.
Oft sind wir es auch gar nicht mehr gewöhnt, einen ganzen Abend mit sämtlichen Familienangehörigen zu verbringen. Das stresst zusätzlich!
Foradori: Dazu kommt, dass die Vorweihnachtszeit häufig sehr stressig ist. So laufen wir bereits ziemlich ausgelaugt in die Endrunde ein. Da reicht dann schon eine einfache Frage wie: „Warum gibt’s keine Pommes, sondern Erdäpfel?“ und es kommt zu einem Streit. Die meisten setzen sich einfach viel zu sehr unter Druck, es muss doch nicht alles perfekt sein! Ich erinnere mich an einen Fall aus unserer Praxis: Eine absolut perfektionistische Mutter hat bereits gestresst den Weihnachtsbaum geschmückt, der Ehemann und die drei erwachsenen Kinder haben ihr nicht geholfen, nur zugesehen und dann auch noch leicht spöttische und kritisierende Bemerkungen gemacht.
Es hat dann damit geendet, dass die Mutter den geschmückten Weihnachtsbaum gepackt und beim Fenster rausgeworfen hat.
Pogadl: Oft geht es auch gar nicht um den vordergründigen Streitpunkt. Probleme, die es schon länger gibt, brechen aufgrund der emotionalen Grundstimmung in der Weihnachtszeit halt eher auf.
Foradori: Auch ein Thema: der Alkoholgenuss zu Weihnachten. Der Alkohol fördert die Streitbereitschaft, indem er die Zungen lockerer macht. Noch dazu macht das viele Rumsitzen unzufrieden. Also ruhig mal raus!
„Wir sind es nicht mehr gewöhnt, einen ganzen Abend mit sämtlichen Familienangehörigen zu verbringen.“
Sabine Pogadl
Wie streiten wir zu Weihnachten richtig? Pogadl: Wenn Streitthemen aufkommen, ruhig bleiben und Toleranz üben! Zuhören und Nachfragen, statt wild drauf los zu argumentieren! Auch wenn man eine andere Meinung hat, kann man die Sichtweise des anderen akzeptieren. Das Ganze geht dann in Richtung „aktives Zuhören“, so lautet der Fachbegriff dafür.
Foradori: Hilfreich bei Streitigkeiten ist auch das Formulieren von „Ich-Botschaften“. Dadurch kann man überzogene Vorwürfe und Beschuldigungen am besten vermeiden. Ich erkläre dem anderen, was bei mir gerade los ist, und erkläre, was mich gerade verletzt bzw. kränkt. Man muss sich nicht alles gefallen lassen und soll seinen Ärger, bzw. seine Kränkung durchaus kundtun. Auch ein Tipp: tief Luft holen, innehalten, Auszeiten suchen und das Gespräch auf später verschieben. Gerade wichtige oder emotionale Themen wie Erbschaften sollten wirklich nicht zur Weihnachtszeit besprochen werden, die Zeit ist ohnehin schon so emotionsgeladen.
Pogadl: Natürlich ist es schwierig, sachlich zu bleiben, wenn es um Emotionen, Kränkungen und Enttäuschungen geht. Man sollte sich Gedanken darüber machen, was die Gründe für die Wut sind. Meist ist es hilfreich, das Vier-Augen-Gespräch zu suchen und den Konflikt nicht gleich vor der ganzen Familie auszutragen.
Streiten auch Mediatoren zu Weihnachten? Pogadl (lacht): Auch bei uns fallen spitze Bemerkungen wie „das ist aber eine kitschige Dekoration“. Wir haben nicht mehr und nicht weniger Konflikte als andere. Wir können allerdings sicher besser damit umgehen und pflegen eine gute Streitkultur. Man schaut einfach, was hat dieser Konflikt jetzt mit mir zu tun? Warum trifft mich das so? Ein Mediator weiß besser, wie er mit Emotionen und Verletzungen umgeht.
Warum gibt es in Familien generell so viele Streitigkeiten? Foradori: Weil die Beziehungen so eng sind, weil man voneinander abhängig ist und weil man genau weiß, womit man den anderen trifft.
Pogadl: Man traut sich bei Familienmitgliedern mehr. Mit einer Freundin geht man möglicherweise höflicher um als mit der Mama. Es gibt auch Dynamiken in einer Familie und häufig eine bestimmte Rollenverteilung, beispielsweise eine Schwester, die sich immer um alle gekümmert hat und von der das nach wie vor erwartet wird.
Hängt die Häufigkeit von Familienstreitigkeiten mit dem sozialen Status zusammen?
Pogadl: Darüber haben wir in der Praxis diskutiert und sind aufgrund unserer jahrelangen Erfahrung zu dem Schluss gekommen, dass der soziale Status gar nichts mit der Wahrscheinlichkeit für Familienkonflikte zu tun hat. Zu uns kommen Menschen aus allen Gesellschaftsschichten. Nach Weihnachten halt ein paar Menschen mehr (lacht).
Vielen Dank für das Gespräch.
Die drei häufigsten Gründe für Weihnachtsstreit:
1. Verwandte 2. Weihnachtsdeko 3. Arbeitsteilung