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SEPTEMBER 2015

Wo die Kreativen sind

„Ich bin kein Imagefaktor“, raunzt er auf die Frage, ob ich hier die „Kreativen“ finde, und widmet sich wieder seinem MacBook. Ich weiß, ich bin am richtigen Ort, um Richard Floridas „Theorie der kreativen Klasse“ mit der Innsbrucker Realität zu vergleichen.

Fotos: Dominique Huter, Illustration: Monika Cichon

Talent ist mobiler als jemals zuvor und wird Orte verlassen, die nicht seinen Bedürfnissen entsprechen.

W

arme Semmeln findet man hier schon lange keine mehr, dafür allerlei Kreatives, geschrieben, musiziert, gebastelt und an die Wand gemalt. Geistig gruppengekuschelt, bestenfalls in einem Raum. Wieso? Zwei Drittel der österreichischen Kreativunternehmer arbeiten solo-selbstständig – ohne eigene Mitarbeiter. Allein zu bleiben, ist aber in den meisten Fällen keine Option. Man braucht Partnerschaften, Kooperationen und Netzwerke, um sich weiterzuentwickeln – Beziehung ja, Bindung nein. Wenn man im Wörterbuch das Wort „Kreativität“ nachschlägt, bekommt man als Definition folgenden Satz: „schöpferische Tätigkeit, mit deren Hilfe neue Lösungen für bereits vorhandene, aber auch neue Probleme geschaffen werden kann“. Ein alltäglicher Prozess hier im StockEins, dem Co-Working-Space der Bäckerei. Diese privat initiierte Innsbrucker Erfolgsgeschichte ist ein starker Impulsgeber für eine neue Art von kreativer Produktivität, die intelligenter und erfinderischer ist, weil sie anderen Mechanismen folgt als vorgegebene und fixierte Funktionsbereiche.

Urheber.

Und wer hat’s erfunden? Mitnichten die Schweizer, die „Theorie der kreativen Klasse“ kommt aus einem Land, deren Greenspan’sche Wirtschaft den Bach runter geht und in dem es einen neuen Messias braucht, natürlich einen US-Ökonomen, mit dem sonnigen Namen Richard Florida. Basis seiner Theorie ist der gesellschaftliche Strukturwandel im 20. Jahrhundert. Aus der Vogelperspektive betrachtet existieren demnach in postmodernen Gesellschaften primär nur mehr zwei soziale Gruppen: die „Kreative Klasse“ und die „Service-Klasse“ – während die klassische „Arbeiter-Klasse“ immer mehr im Verschwinden begriffen ist. Der kreative Output, die Innovationen, optimierte Prozesse oder neues Gedankengut, welche die Klasse der Kreativen produzieren, sind laut Florida der zentrale Faktor für zukünftiges Wirtschaftswachstum.

Das leuchtete dermaßen ein, dass vor ein paar Jahren auch hochamtlich ein neuer Wirtschaftszweig definiert wurde: die „Kreativwirtschaft“. In Tirol macht dieser Wirtschaftszweig derzeit rund 8 Prozent aus, mit einer Wachstumsrate von 10 Prozent in den letzten Jahren.

Talent ist mobil.

Was das mit einer Stadt wie Innsbruck und einer Einrichtung wie der Bäckerei zu tun hat? Floridas Wirtschaftstheorie kann einen großen Einfluss auf die räumliche Veränderung einer Stadt haben – abstrakter im Kopf der Stadtplaner, real für ihre Bewohner. So wird gerne versucht, mit ihr den Prozess der Gentrifizierung zu erklären.

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Dabei kommt es zu einer Ansiedlung der eben erklärten Kreativen Klasse in bestimmten „heruntergekommenen“ Stadtteilen, die wiederum durch innovative räumliche Ideen wie der Bäckerei eine Aufwertung eines Viertels, hin zum Trendviertel, in Gang setzen kann. Anders ausgedrückt: Talent ist mobiler als jemals zuvor und wird Orte verlassen, die nicht seinen Bedürfnissen entsprechen. Gewinnerstädte und -stadtteile werden diejenigen sein, die nicht nur exzellente öffentliche Dienstleistungen auf den Gebieten Bildung und Gesundheitswesen, sondern auch Schönheit, Vielfalt, Offenheit und soziale Beziehungen anbieten – und damit ist nicht ein stadtumspannendes Breitbandinternet zum konstanten Tindern gemeint, sondern eben der Ausblick auf die Nordkette, die 30.000 Studenten, die Innsbruck beleben, und eben auch kreative Quartiere wie die Gemeinschaftswerkstatt „Hinterstübchen“ in Hötting, das „Fab Lab“ und das von Geographen initiierte Veranstaltungszentrum „Motel“ in Wilten. Alles Beispiele für eine kreative Zwischennutzung baulicher Leerstände und ambitionierte Köpfen mit philanthropischen Anwandlungen.

Subkulturen und alternative Klientel werden gern mal zu einem pseudo-städtischen Aushängeschild gemacht.

 

Es macht auch wenig Sinn, kreative Räume als Nutzungskategorie in einem kommunalen Flächennutzungsplan auszuweisen – das führt unweigerlich dazu, dass so Räume wie auch Menschen lediglich als „kreativ“ vermarktet werden, das eigentliche Potential dahinter ersäuft wortwörtlich in der Hamburger Hafen City. Das heißt aber nicht, dass der städtische Golddukat abzulehnen wäre, dem geschenkten Gaul sollte man durchaus ins Maul schauen: Öffentliche Finanzierungen kommen oftmals nicht dort an, wo sie dringend gebraucht werden. Auch Florian Ladstätter, Zahlenkünstler der Bäckerei, hat damit zu kämpfen: „Ungefähr 15 Prozent unseres Jahresbudgets kommen von Land, Stadt und Bund. Den Rest müssen wir anders aufbringen und dadurch ‚ökonomischer’ denken, als es für den kreativen Prozess förderlich wäre. 

Was der Beamte nicht versteht.

Fehlende Subventionen passieren nicht etwa aus Boshaftigkeit, sondern fehlendem Wissen. „Innovativ“ und „kreativ“ sind eben keine Ausgeburten des Tiroler Dialekts und somit für manch einen Beamten in den betroffenen Schaltzentralen der „Macht“ schwer verständlich. Und das Wort „Cluster“ sollte man eben nicht mit dem „G’lusta“ verwechseln, letzteres schlägt sich höchstens in der Innsbrucker Restaurant-Szene nieder. Anders: „You can’t win with a losing hand!“ Wenn Bob Dylan über das ökonomische Ungleichgewicht und das wirtschaftliche „Verdursten“ singt, klingt das sternstunden-mäßig rau poetisch – in der städtischen Realität Innsbrucks oftmals nur rau. Oder wie Prof. Gottfried Tappeiner, Professor für Wirtschaftstheorie an der Universität Innsbruck, erklärt: „Innsbruck braucht einen höheren Kreativitäts-Index. Beispielsweise entscheidet auch die Kultur über den Erfolg eines kreativen Clusters in unserer Stadt. Und ich verweise auf das Kulturbudget. Altbekannte Institutionen und schon gesättigte Aktivitäten konstant mit einem Großteil des Budgets am Leben zu erhalten, ist nicht innovativ. Besser wäre es, damit 20 kleineren Initiativen den Weg zu ebnen. Die Szene sollte man nicht durch Geld am falschen Ort ersticken.“

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Kultur und Kreativität stehen miteinander in einer unweigerlichen Wechselwirkung und schaffen dabei neu-wahrgenommen städtischen Raum, auch in Innsbruck. Die Bäckerei symbolisiert die ersten Gehversuche einer konkreten, verräumlichten Förderung der Kreativ- und Kulturwirtschaft aus privater Initiative. K&K fördern heißt deswegen immer auch das kommunale, teils kleinstrukturierte Kulturleben mit hoher politischer Priorität zu fördern. Städte, die sich als Stätten der „Kreativen“ profilieren möchten, werden das ohne Erhöhung ihres Kulturetats nicht glaubhaft und effizient tun können – es sei denn sie haben großzügige Mäzene vor Ort, die kulturelle Infrastruktur zur Verfügung stellen und erhalten.

Geschmacksfazit.

Und schon befinde ich mich wieder auf der abgewetzten Couch im StockEins der Bäckerei und schau mich um. Die Atmosphäre hat mich inspiriert. Die Kreativen, die Kreative Klasse und die Kreativwirtschaft sind wir alle, die das Unsichtbare sichtbar machen – im städtischen Raum sowie im Geiste. Ob man die Menschen dahinter nun Business Angels, Mäzene oder moralische Hedonisten nennt, ist hier einerlei: Sie bieten der Kreativen Klasse einen Raum, um sich zu entwickeln. Oder in der Sprache Richard Floridas: „Kreativität ist organisch. Man kann sie nicht planen. Man kann ihr nur Platz und Freiheiten einräumen, um zu wachsen.“

„Kreativität ist organisch. Man kann sie nicht planen.“

Richard Florida