Du hast einmal gesagt, deine Art, die Berge zu erleben, wäre nicht, sich mit anderen Bergsteigerinnen zu messen, sondern mit dir selbst. Wann bist du zufrieden mit dir selbst? Tamara Lunger: Ich bin früher Skitourenrennen gelaufen, wo man natürlich stets das Beste geben will. Dabei ging es mir noch viel mehr darum, nicht besser zu sein als andere, sondern das Beste von mir zu geben. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich einen enormen Druck auf mich selbst ausübe und am Ende nicht nur das Gegenteil erreiche, sondern zusätzlich meiner Gesundheit schade. Am Berg herrschen andere Gesetze: Zum einen gibt es dort keinen Wettkampf, zum anderen bekommst du schnell eine Watschn, wenn du Fehler machst. Deswegen habe ich am Berg viel dazulernen dürfen und auch müssen.
//Mit jeder Expedition, egal ob sie mit einem Gipfel geendet hat oder ohne, habe ich eine Lehre mit nach Hause genommen. Einmal ist es um den Tod gegangen, einmal um das Umdrehen, einmal ums Ziel. Es ist für mich eine extrem schöne Schule des Lebens gewesen. Mit der Stärke kommt auch die Sicherheit, aber vor allem lernt man, besser auf sich selber zu hören. Ich bin ein sehr intensiver Mensch, der Wellen schlagen muss, sei es positiv oder negativ. Ich habe mittlerweile verstanden, dass negative Momente entweder das Davor oder das Danach eines glücklichen Zustands sind und dass sie mich sehr viel weiter bringen als die positiven.
Wie wichtig ist es für dich, auf dem Gipfel zu stehen? Der Gipfel ist natürlich die Kirsche auf der Torte. Am Ende ist aber die Lehre, die ich mitnehme, viel wertvoller fürs Leben. Wenn man einen Gipfel erreicht hat, erlebt man ein sehr intensives Gefühl der Freude, aber fragt sich auch bald danach, was jetzt als Nächstes kommt. Die negativen Erfahrungen zwingen einen dazu, sich und die Situation zu hinterfragen: Was hat man falsch gemacht, was muss man besser machen. Als ich Anfang dieses Jahres in Sibirien endlich wieder auf einem Gipfel gestanden bin, ist mir ein Stein vom Herzen gefallen. Das war die erste Expedition mit Gipfelerfolg seit dem K2 im Jahr 2014.
Was muss der Berg an sich haben, um das Feuer in dir zu erwecken? Das ist so, wie wenn dir ein Mann auf der Straße ins Auge sticht. Es muss einfach etwas in mir auslösen und wirklich so ein Gefühl von Verliebtheit hervorrufen. Wenn ich mich auf eine Expedition vorbereite und über sie nachdenke, habe ich tatsächlich Schmetterlinge im Bauch und freue mich wahnsinnig.
Wie ist es momentan mit den Schmetterlingen im Bauch? Ist etwas Konkretes geplant? Es war tatsächlich etwas geplant, ist jetzt aber auf Eis gelegt worden. Der Grund: Ich habe endlich eingesehen, dass ich mich um meine Gesundheit kümmern muss. Die letzten Jahre habe ich weiter und weiter gemacht, trotz Schmerzen. Jetzt stelle ich mich endlich dieser persönlichen Herausforderung und schaue auf mich und meinen Körper.
Mit Simone Moro hast du den richtigen Bergpartner gefunden. Was muss dein Bergpartner mitbringen? Ganz viel Geduld! Generell denke ich: Wenn es ein Mann ist, sollte er durchaus weibliche Eigenschaften besitzen. Simone ist sehr sensibel, und da passt es natürlich super. Sicherlich muss man auf derselben Wellenlänge sein, um wirklich über alles reden zu können, schließlich erlebt man während einer Expedition sehr intensive und teils schwierige Momente. Ganz wichtig ist natürlich, dass man auch Spaß miteinander hat!
Müssen Frauen sich besonders beweisen, um akzeptiert zu werden? Bei mir ist es überhaupt nicht so. Oft denkt man viel zu viel darüber nach, wie andere einen bewerten und über einen denken. Bei den ersten Expeditionen war Simone mein Mentor, und da habe ich mich ganz klar untergeordnet und probiert, so viel wie möglich zu lernen. Irgendwann ist der Zeitpunkt gekommen, wo mir bewusst wurde, dass wir jetzt auf gleicher Höhe sind und ich die gleiche Entscheidungsfreiheit habe, die gleiche Verantwortung und auch genauso viel im Rucksack tragen muss. Ich hatte nie das Gefühl, dass jemand sagt: Ach, du bist ja nur eine Frau. Eher das Gegenteil. Ich glaube tatsächlich, dass es daher kommt, dass ich mit drei Schwestern aufgewachsen bin und wir immer viel mit Jungs unterwegs waren und auch immer die gleichen Sachen gemacht haben. Ich glaube, das kommt mir jetzt sehr zugute! Wichtig ist aber, dass man es für sich selber entscheidet und mit einer Selbstsicherheit sagen kann, ja ich mache es und ich habe keine Angst davor. Nachher wird’s toll.
„Ich bin ein sehr intensiver Mensch, der Wellen schlagen muss, sei es positiv oder negativ.“
Tamara Lunger
Was ist das Schönste, das du am Berg erlebt hast? So seltsam es auch klingt: Das schönste Erlebnis war für mich der Absturz am Nanga Parbat. Ich bin damals 70 Meter vor dem Gipfel umgedreht und alleine abgestiegen. Während des Abstiegs bin ich 200 Meter gestürzt, und als ich gedacht habe, dass ich in wenigen Sekunden tot sein werde, bin ich trotzdem ganz klar im Kopf geblieben. Dadurch habe ich verstanden, wie Tamara in einer Paniksituation reagiert, nämlich mit Ruhe und klaren Gedanken. Das ist für mich eine wichtige Erkenntnis, sollte ich noch mal in eine solche Situation kommen.
Du hast gesagt, du bist noch nicht die Person, die du gern wärst. Wer ist diese Tamara, die du sein willst? Schwierige Frage. Es ist eine Tamara, die noch mehr in sich ruht und noch mehr akzeptiert, was das Leben ihr schenkt oder als Aufgabe stellt. Eine Tamara, die alles mit mehr Leichtigkeit nimmt und mehr auf ihren Körper hört. Und vor allem, dass sie die Freiheit in jedem Moment leben kann. Zurzeit ist es nämlich so, dass ich mich in den hohen Bergen frei fühle und hier daheim meine Freiheit noch eingeschränkt ist. Ich wünsche mir, dass ich in jeder Situation meines Daseins das Gefühl von Freiheit erreichen kann.
Vielen Dank für das Gespräch.
Info
Die Alpinmesse Innsbruck findet heuer am 20. und 21. Oktober statt, ausführliche Programm- und Ausstellerinfos gibt’s unter www.alpinmesse.info.
„Unpredictable“, der Vortrag von Tamara Lunger, beginnt am Samstag, 20. Oktober um 19 Uhr.
„Wenn ich mich auf eine Expedition vorbereite, habe ich tatsächlich Schmetterlinge im Bauch.“
Tamara Lunger