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NOVEMBER 2020

Mit ohne Viren studieren

Für die gut 27.000 Studierenden der Universität Innsbruck hat Anfang Oktober das zweite Corona-Semester begonnen. Wir haben uns am Campus Innrain umgesehen und mit den Menschen gesprochen, die dort arbeiten und lernen.

Foto: Axel Springer
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ichael trägt seine Uniform und eine schwarze Maske, die mit weißen Vampirzähnen bedruckt ist. Er ist einer der Securitys, die die insgesamt 96 neuein-gerichteten „Lernzonen“ im Unigelände kontrollieren. Zusammen mit zwei weiteren Kollegen patrouilliert er durch die Gänge der Geiwi und schaut, dass jede und jeder Studierende den Mund-und-Nasen-Schutz trägt und ausreichend Abstand hält. „Die Leute halten sich brav dran – meistens“, meint er schmunzelnd, „und wenn man mal was sagen muss, dann sind sie freundlich.“ 

 

Ums Eck sitzen Sarah, Jonas und Michael in einer Lernzone und machen Kaffeepause. Ein Aufsteller neben der Sitzgruppe verweist auf die Hygienevorschriften. Am Tisch klebt ein QR-Code für freiwilliges Contact Tracing. „Ich könnte hier nicht lernen, hier gibt es keine Biblio-theksstimmung“, findet Sarah. Mit dem Onlineersatzangebot der Universität sind die Jusstudierenden bis jetzt zufrieden. „Unser Institut hat den Onlineunterricht von null auf hundert super umgesetzt“, lobt Michael. 

 

Bis dato hat die Universität einen einstelligen Millionenbetrag in Corona-Maßnahmen investiert. Dazu zählen nicht nur Desinfektionsspender und Baumaßnahmen für die Lernzonen, sondern vor allem zusätzliches IT-Personal (sogenannte E-Tutoren, die die Lehrenden bei ihren Online-kursen unterstützen), Software für Onlinekurse und eine verbesserte technische Infrastruktur. 

Eine Gratwanderung. 

„Mir tun die jungen Leute leid, die da draußen sitzen müssen“, sagt Buchhändler Hubert Wittwer. Durch die Glasfassade der Universitätsbuchhandlung hat er nicht nur seine Drucker, sondern auch die Studierenden im gut gelüfteten Korridor im Blick. „Da frierst du dir den Hintern ab.“ 

 

Zu Semesterbeginn herrscht in der Studia normalerweise Hochbetrieb. Am zweiten Unitag ist es „noch ein bisschen verhaltener“, meint seine Kollegin Monika Lackner. Das größere Geschäft erwarte man sich erst in den nächsten Wochen. Allerdings sei dieses Semester ohnehin „eine Gratwanderung“. In der Studia stehen heuer tatsächlich nur die Bücher Rücken an Rücken. Zwischen den an der Kassa Wartenden hätte jeweils eine ganze Reihe gelber Jus-Kodizes Platz. „Die Mediziner“, scherzt Wittwer, „halten sowieso fünf Meter Abstand.“ 

 

Draußen am Geiwi-Vorplatz treffen wir Johann Katzlinger, den Vorsitzenden der ÖH Innsbruck. Durch das Scheitern der linken Koalition im Bundesvorstand „leidet die Glaubwürdigkeit der ÖH sehr“, bedauert Katzlinger. Hier in Innsbruck funktioniere die Zusammenarbeit der Fraktionen „sehr gut“. Allerdings regiert seine bürgerliche „AktionsGemeinschaft“ (AG) mit einer absoluten Mehrheit. 

 

„Die Leute halten sich brav dran – meistens.“

Michael, Securitymann 

 

„Die dritte Welle ist eine psychische.“

Johann Katzlinger, ÖH-Vorsitzender

Seit einer Woche vor Unibeginn befindet sich der ÖH-Chef im Dauereinsatz: Mit Vize-BM Anzengruber ist er im Gespräch, Flächen von Stadtimmobilien für Lernplätze zu akquirieren. Für Erstsemestrige der großen Fakultäten werden unter strengen Sicherheitsauflagen Tutorien abgehalten. Im November organisiert die ÖH einen „Mental Health Month“ mit Webinaren und Infoveranstaltungen, denn: „Die dritte Welle ist eine psychische“, teilt Katzlinger die Befürchtung einiger wissenschaftlicher Studien. ÖH, Universität und die Psychologische Studierendenberatung unterstützen in diesem Zusammenhang das Projekt „Nightline“, eine kostenlose telefonische Beratungsstelle für Studierende. 

Mit Kulanz gegen Corona.  

Setzte sich die ÖH im Sommer noch für „hybriden Unterricht“, also eine Mischung aus Präsenz- und digitaler Lehre ein, muss sie sich angesichts aktueller Zahlen mit weniger begnügen. Bei Präsenzlehrveranstaltungen mit Anwesenheitspflicht erwartet sich Katzlinger besondere Rücksicht seitens des Kollegiums. „Wenn es da keine Kulanz gibt, dann werden wir auf die Barrikaden gehen“, stellt er klar. 

 

„Die müssen nicht auf die Barrikaden gehen, weil wir das verstehen“, beschwichtigt Vizerektor Bernhard Fügenschuh. „Natürlich kann es nicht sein, dass man die Präsenzpflicht in dieser Form aufrecht hält.“ Österreichs Universitäten bekommen laufend Empfehlungen aus dem Bildungsministerium, können Maßnahmen jedoch selbstständig festsetzen. Während man in Innsbruck beispielsweise den Mund-und-Nasen-Schutz an den Lernzonen mit ausreichend Abstand zu den anderen runternehmen darf, herrscht an der Uni Wien in allen Gebäuden Maskenpflicht. „Harte Vorgaben muss man sich gut überlegen“, sagt Fügenschuh. Deshalb plädiere man an der Uni Innsbruck für Eigenverantwortung. „Wir haben es ja mit erwachsenen Leuten zu tun.“ 

 

Um illegale Raves in der Sillschlucht und Menschenansammlungen an der Innpromenade, die Anfang des Sommers teilweise internationale Schlagzeilen machten, ist man mittlerweile weniger besorgt. Am Inn sitzen die Gruppen laut Fügenschuh heute „mit einem ganz anderen Abstand als noch vor einem halben Jahr“. Außerdem gehöre die berüchtigte Innmauer nicht zum Unigelände.  

Jusstudentin Merve und alle anderen Bibliotheksbenutzer dürfen seit Semesterstart nur noch halbtags in die Lesesäle.

Der zwischenmenschliche Aspekt. 

Für die in Präsenz Lehrenden ist die Unterrichtsvorbereitung eine Doppelbelastung. „Alle müssen ein virtuelles Parallelangebot mitdenken“, fordert Fügenschuh, denn auch der Leitfaden aus dem Bildungsministerium sieht an die Corona-Ampel gebundene Wechsel der Lehrveranstaltungsmodi vor. Demnach könnten Kurse innerhalb eines Semesters von Präsenz- zu gänzlich digitalem Unterricht und wieder zurückspringen. Mit den Lernzonen am gesamten Unigelände will man Ausweichmöglichkeiten schaffen – immerhin seien die Räumlichkeiten aktuell nur zu einem Drittel befüllbar. „Wir sind eine Präsenzuni“, stellt Fügenschuh klar. Trotzdem möchte man auch in der Zeit nach Corona erprobte technische Hilfsmittel in den Unterricht integrieren.  

 

Den Ruf nach sogenannten „neutralen“, also nicht in die Studienzeit miteingerechneten Semestern sieht der Vizerektor kritisch: „Für die meisten Studierenden ist es möglich gewesen, ihr Studium aufrechtzuerhalten und die Prüfungen zu machen.“ Darüber hinaus habe es sogar einen Zuwachs an Prüfungsaktiven gegeben. Doch auch wenn der Universitätsbetrieb funktioniert, „fehlt einfach der zwischenmenschliche Aspekt“, fasst Fügenschuh zusammen. 

 

„Harte Vorgaben muss man sich gut überlegen. Wir haben es ja mit erwachsenen Leuten zu tun.“ 

Bernhard Fügenschuh, Vizerektor

Ein anstrengendes Studium. 

Vor dem Geiwi-Turm gönnen sich Francesco, Paolo und Elia eine Verschnaufpause im Freien. Die drei Trentiner verbringen einen Teil ihres Studiums der Atmosphärenwissenschaften in Innsbruck. „Es ist einfach schön, wieder an der Uni zu sein“, freut sich Francesco. An einem eingeschränkten Freizeitprogramm stört er sich nicht: „Wir mögen die Berge, wir wandern gerne und fahren gerne Rad – alles Aktivitäten, für die man keinen Kontakt mit anderen braucht.“ 

 

Möglichst wenig Kontakt ist auch das Credo in der Universitäts- und Landesbibliothek im Gebäude schräg gegenüber. Im Treppenhaus vor dem historischen Lesesaal eilt Merve hinauf zu ihrem Pult. Seit diesem Semester darf man sich Tisch und Sessel nur mehr wahlweise vormittags oder nachmittags reservieren. „In der Bibliothek habe ich einen Rhythmus, einen Plan, einen Tagesablauf“, erklärt die Jus-studentin, warum sie auch in Coronazeiten hierherkommt. Durch die neue Regelung haben es „vor allem die Berufstätigen schwer“, findet sie. 

 

Von acht bis zwölf darf sie an diesem Tag einen der ausgewiesenen Plätze belegen. Auf den ersten Blick scheint beim Betreten des Lesesaals alles normal zu sein. Erst dann erkennt man Desinfektionsflaschen und Masken auf den Tischen und die unsichtbaren Babyelefanten zwischen den Studierenden.