Zur Person
Dr. Christine Pernlochner-Kügler (49) hat Philosophie und Psychologie studiert und ist als Quereinsteigerin seit 2004 im Bestattungsbereich tätig. Gemeinsam mit ihrem Kompagnon Markus Ploner führt sie das Innsbrucker Bestattungsunternehmen „Bestattung und mehr I. Neumair“, wo sie den operativen Bereich leitet. Neben der Organisation von ortsüblichen Bestattungen und traditionellen Trauerfeierlichkeiten werden hier auch individuelle Trauerfeiern und Trauerrituale sowie professionelle Trauerbegleitung angeboten. Pernlochner-Kügler ist als Thanatologin überdies auch auf die optische Wiederherstellung von Unfallopfern spezialisiert, die eine Verabschiedung am offenen Sarg auch in dieser Extremsituation möglich macht.
„Was der Bestatter mit dem Verstorbenen gemacht hat, wollen die meisten Angehörigen ja gar nicht wissen.“
Christine Pernlochner-Kügler
Frau Pernlochner-Kügler, wenn man wie Sie tagtäglich mit dem Tod beschäftigt ist, hat man dann noch Angst davor? Christine Pernlochner-Kügler: Vor dem Tod schon. Diese Angst ist ja angeboren und auch wichtig, weil wir sonst nicht auf uns aufpassen würden. Was bei mir aber wegfällt, ist dieser ganze Müll an irrationaler Angst, den viele mit sich mitschleppen, weil sie zu wenig sachliche Informationen haben. Sobald jemand verstorben ist, verschwindet der Leichnam ja in der Regel beim Bestatter. Dann taucht der Tote erst wieder in einem verschlossenen Sarg oder in einer Urne auf. Was der Bestatter mit dem Verstorbenen gemacht hat, wollen die meisten Angehörigen ja gar nicht wissen. Blöderweise füllt man diese Wissenslücken dann aber mit Fantasien, die gruselig ausfallen und Ängste auslösen, die bei mir nicht aufkommen. Ein Sarg ist für mich so angstauslösend wie ein Tisch oder ein Sessel.
Öffnet der Tod tatsächlich unbekannte Türen? Für die Angehörigen schon: Denn irgendwann taucht in jeder Familie der erste Todesfall auf, durch den man – ob man will oder nicht – neue Erfahrungen sammelt. Wenn der Spruch aber auf das Weiterleben nach dem Tod anspielt, dann kann ich die Frage nicht beantworten. Ich persönlich glaube nicht, dass es danach weitergeht. Sollte es diese unbekannten Türen aber geben, bin ich für sie offen.
Welche Beileidsbekundung können Sie bis auf den Tod nicht ausstehen? Beileidsbekundungen finde ich grundsätzlich in Ordnung: Denn selbst wenn es eine Floskel ist, ist das eine Brücke der Kommunikation zum Trauernden. Wenn ich diese Kommunikation nicht am Friedhof oder bei der Trauerfeier suche, dann muss ich damit rechnen, dass die erste Begegnung womöglich im M-Preis beim Milchregal passiert – und das macht es nicht besser. Aufpassen muss man aber, wenn die Beileidsbekundung in eine Killerphrase kippt: Weisheiten wie „Du wirst schon sehen, die Zeit heilt alle Wunden“ oder „Du bist noch jung, du findest sicher einen neuen Partner“ verletzen zutiefst.
Die Bestattung Wien hat zuletzt mit dem Spruch „Corona Leugnen sichert Arbeitsplätze“ schwarzen Humor bewiesen. Darf man über den Tod Witze machen? Ja. Im Sinne der Integration muss man über den Tod sogar Witze machen. Denn wenn ich etwas ins Leben und in die Gesellschaft holen will, muss ich mich darüber auch lustig machen dürfen. Und nur weil Angehörige trauern, verlieren sie deshalb nicht ihren Humor. Wenn man den Trauernden die Möglichkeit gibt, auch in diesem schlimmen Moment einmal zu lachen, dann ist das eine extreme Erleichterung für sie. Und wir Bestatter würden unseren Beruf ohne Humor ohnedies nicht überleben: Er ist unsere Bewältigungsstrategie, durch ihn finden wir zu unserer emotionalen Balance zurück.
Aber im Ernst: Die Beerdigungs-branche muss doch von der Coronapandemie profitiert haben? Nein, hat sie eigentlich nicht. Im April gab es zwar einen spürbaren Anstieg an Todesfällen, unter denen auch etliche Covid-Opfer waren. Aber dadurch, dass die Beerdigungen kleiner geworden sind, hatten wir auch weniger Umsatz. Wir haben also nicht wirklich profitiert, sondern hatten nur mehr Stress. Aber wir mussten niemanden in Kurzarbeit schicken oder entlassen. Prinzipiell ist es so: Ein Bestattungsunternehmen ist eine krisensichere Sache.
Ihr Bestattungsinstitut bietet auch Führungen an, bei denen die Besucher in einem Sarg Probe liegen können. Welche Erkenntnis soll man dabei gewinnen? Angst überwindet man, indem man sich mit der Angst konfrontiert. Und die Angst vor dem Tod wird nun einmal am besten mit dem Sarg symbolisiert. Wer will, kann sich bei uns in einen hineinlegen, auf Wunsch machen wir auch den Deckel zu. Die meisten sagen dann, dass es sich eigentlich ganz kuschelig und gemütlich anfühlt. Viele hört man auch laut lachen, während sie diese Erfahrung machen und im besten Fall mit etwas weniger Angst nach Hause gehen.
„Die meisten sagen, dass es sich eigentlich ganz kuschelig und gemütlich anfühlt.“
In Serien wie „Six Feet Under“, „Das letzte Wort“ oder „After Life“ wird das Sterben mit Erfolg zum Thema gemacht. Wird der Tod damit ein wenig enttabuisiert? Solche Serien können sicher ein erster Schritt in Richtung Enttabuisierung sein, aber am Ende handelt es sich dabei halt doch nur um Fiktion. Sich die Leiche oder den Tod über dieses Hintertürl ins Wohnzimmer zu holen, hat mit der Realität und dem echten Sterben wenig zu tun. Den Tod kann man nun einmal nicht ein- oder ausschalten.
Was war der ungewöhnlichste letzte Wunsch, den Sie zu realisieren hatten? Da fällt mir die Geschichte von Paula ein. Das ist ein Mädchen, das mit sieben Monaten am plötzlichen Kindstod gestorben ist. Für die Familie war das natürlich eine Katastrophe. Ich habe dann die Eltern gefragt, ob sie noch einen letzten Wunsch für ihr Kind haben. Die Mama hat gemeint, dass sie noch einmal mit Paula spazieren gehen will. Das haben wir dann gemacht: Nachdem wir Paula gemeinsam verabschiedet hatten, sind wir mit ihr im Kinderwagen zum Krematorium spaziert, wo sie dann verbrannt wurde. Das mag zwar eigenartig klingen, aber der Weg dorthin war wunderschön und hat den Angehörigen dabei geholfen, loszulassen.
Mussten Sie einen Beerdigungswunsch auch schon einmal ablehnen? Wenn wir alte Nazis zu Grabe tragen müssen, dann wird es problematisch. Wenn da etwa versucht wird, Runenzeichen auf der Parte abzubilden, machen wir da natürlich nicht mit. Es gab auch einmal die Idee, sich am Friedhof mit irgendwelchen komischen Hitlergrüßen vom Verstorbenen zu verabschieden. Die Begründung „Wir sind ja nur unter uns und eigentlich keine Nazis, aber den Onkel würde das freuen“ habe ich aber nicht gelten lassen.
Gibt es etwas an Ihrem Beruf, das Sie als sterbenslangweilig empfinden? Ja! Kondolenzbücher zu erstellen oder Kranzlisten zu schreiben, finde ich furchtbar.
Bernhard Aichner hat die Idee zur Bestsellerreihe „Totenfrau“ entwickelt, als er bei Ihnen zu Recherchezwecken schnuppern war. Trägt die rachefreudige Bestatterin Blum, die demnächst auch auf Netflix in Serie gehen wird, Züge von Ihnen? Nein! Die Blum ist viel netter als ich. Ich bin nicht so romantisch, wie sie beschrieben wird. Mein Mann kann das bestätigen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Kurz gesagt:
Welche Lieder führen die Beerdigungs-Hitliste an?
- „Amoi seg ma uns wieder“ von Andreas Gabalier
- „I did it my way“ von Frank Sinatra
- „Time to say goodbye“ von Andrea Bocelli und Sarah Brightman
Welche Grabbeigabe werden Sie nie vergessen?
Einen Handstaubsauger
Was war Ihre außergewöhnlichste Urne?
Eine Sparkasse
Welche Serie gibt die authentischsten Einblicke ins Bestatterleben?
„Six Feet Under“
Wenn es morgen vorbei ist, was soll man heute noch tun?
Das, was man am liebsten tut