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NOVEMBER 2018

Stadtgeschichte

Sieben Tatorte in Innsbruck

In der Nacht von 9. auf 10. November 1938 kam es im gesamten Reich zu Angriffen auf Juden. Heuer jährt sich die Reichspogromnacht zum 80. Mal. 6020 hat die Innsbrucker Schauplätze der Nacht recherchiert.

S

o kam es dazu: Das Grünspan-Attentat. Die Eltern des 17-jährigen Herschel Grünspan sitzen zusammen mit 16.000 anderen staatenlosen Juden an der Grenze zwischen dem Deutschen Reich und Polen fest, als er am 7. November 1938 in Paris ein Attentat auf das deutsche Botschaftsmitglied Ernst vom Rath verübt. Dieser wird verletzt ins Krankenhaus gebracht.

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Einige Tage später gedenken Hitler und seine Gefolgschaft in München ihrer toten Kameraden des Putsches von 1923. Als sich im Dunst der zahlreichen Bierkeller die Nachricht vom Tod des Diplomaten verbreitet, steigen nicht nur die Promillewerte, sondern auch die Rufe nach Vergeltung. Der Anschlag wird von der Naziführungsriege missbraucht, um Anschläge auf Juden im gesamten Reich zu verüben und sie als „Ausbruch des Volkszorns“ zu verkaufen.

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SS- und SA-Mitglieder im ganzen Reich erhalten den Befehl, in ziviler Kleidung jüdische Geschäfte und Wohnungen anzugreifen und einflussreiche Juden geräuschlos zu töten. Gemessen an der Größe der jüdischen Gemeinde ist der Pogrom in Innsbruck einer der blutrünstigsten Schauplätze des Reichs.

Sieben Tatorte in Innsbruck

Tatort 1:

Leopoldstraße

Alois Hermann betreibt einen Spirituosenladen in der Innsbrucker Leopoldstraße. Um sein Geschäft vor der „Arisierung“ zu retten, überträgt er es noch im April 1938 seinem Enkel Klaus (dieser war laut den Rassegesetzen „Mischling 1. Grades“). Dennoch plündern und zerstören SA-Männer in der Pogromnacht sein Geschäft. Schlussendlich fällt das Geschäft der Arisierung zum Opfer.

Sieben Tatorte in Innsbruck

Tatort 2:

Anichstraße

SA- und SS-Männer stürmen mehrere jüdische Wohnungen und malträtieren die Familien. Josef Adler erliegt einige Wochen später seinen Verletzungen. Die SS bricht auch in die Wohnung von Richard Berger ein, zerrt ihn in ein Auto und bringt ihn nach Kranebitten. Sie werfen seine Leiche mit dem zertrümmerten Schädel in den Inn.

Sieben Tatorte in Innsbruck

Tatort 3:

Maria-Theresien-Straße

Das Café Schindler befindet sich in der Maria-Theresien-Straße ebenso wie zahlreiche andere Geschäfte und Läden, auf denen die Aufschrift „Jude“ die „Arier“ davon abhalten soll hineinzugehen. So auch auf dem berühmten Kaufhaus Bauer und Schwarz. Im gleichen Haus überfallen SA-Männer in der Pogromnacht mehrere jüdische Wohnungen.

Sieben Tatorte in Innsbruck

Tatort 4:

Museumstraße

Neben dem Schuhgeschäft von Simon Graubart steht der Uhren- und Juwelierladen des verstorbenen Leopold Fuchs. Dessen Sohn Eduard Fuchs wird von SA-Männern malträtiert und geschlagen.

Sieben Tatorte in Innsbruck

Tatort 5:

Gänsbacherstraße

SS-Männer verprügeln und erstechen Richard Graubart und Dr. Wilhelm Bauer, die im selben Haus in der Gänsbacherstraße im Stadtteil Saggen leben. Die Morde werden erst nach Kriegsende genauer untersucht.

Sieben Tatorte in Innsbruck

Tatort 6:

Sudetendeutsche Straße (Sillgasse)

In der heutigen Sillgasse verschafft sich die SS Zutritt zum jüdischen Gebetshaus und schmeißt Bänke, Gebetsbücher und andere Gegenstände durchs Fenster. Die zerstörten Gegenstände verwendet der Hausmeister als Brennholz. Gegen Ende des Krieges wird das Haus bei einem Luftangriff schwer beschädigt.

Sieben Tatorte in Innsbruck

Tatort 7:

Andreas-Hofer-Straße

Vor der Pogromnacht begeht Frau Goldenberg aus Angst in dieser Wiltener Straße Selbstmord. Es ist nicht der einzige Suizid von Juden in dieser Zeit. In der Pogromnacht verprügeln SA-Leute hier den Geschäftsmann Hugo Schindler.

„Und immer war der Herr Graubart im Geschäft, ein freundlicher Herr, den meine Mutter gekannt hat, für mich der Inbegriff des seriösen Kaufmanns.“

Reinhold Stecher „Der blaue Himmel trügt“

Die Folgen: „Schutzhaft“, Strafe und Deportation.

Die angegriffenen Juden werden, falls nicht ermordet, in „Schutzhaft“ genommen. In der Pogromnacht entsteht ein Schaden von etwa 200.000 Reichsmark – für diesen müssen die Opfer selbst aufkommen. Anschließend werden ihnen noch Strafzahlungen auferlegt. Nachdem alles beglichen wurde, werden sie der Stadt verwiesen. Bis zum Ende des Krieges leben fast keine Juden in Innsbruck.