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NOVEMBER 2018

Ohne Journalismus keine Demokratie

Von den zeitgeistigen „Fake News“ bis zur altbackenen „Lügenpresse“ reichen die Vorwürfe an den Journalismus. Die Absichtsvollen geben den Ahnungslosen die Parolen vor. Massenhafte technische Fähigkeit zur Verbreitung von Inhalten schafft trügerische Vorstellungen über die Funktion von Medien in Demokratien.

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uellenbewusstsein war noch nie ein Massenphänomen. Die eine hatte es immer schon in „der“ Zeitung gelesen, der andere es seit jeher aus „dem“ Fernsehen erfahren. „Das“ Radio gilt seit alters als Ursprung von Nachrichten, „das“ Internet neuerdings als Wiege von News. Doch seit „aus Facebook“ die Möglichkeiten der vermeintlichen Abstammung von scheinbaren Unterrichtungen ergänzt, hat nicht nur die Herkunftsbestimmung ein Minderwertigkeitsproblem.

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We are overnewsed but underinformed: Diese abgedroschene Floskel des Informationszeitalters gerät in der Kommunikationsära zur Losung für eine Demokratie in der Krise. Die angeblich sozialen und mutmaßlichen Medien sind Instrumente der Agitation. Die Gesellschaft leidet dadurch zunehmend unter Desinformation. Statt des fruchtbaren Widerstreits von Meinungen entsteht ein furchtbarer Widerhall von Ansichten. Die Dummheit wird gesellschaftsfähig, die Lüge zum entlarvungsresistenten Sprech- und Schreibwerkzeug in den digitalen Salons.

Nachrichten sind Meldungen, nach denen man sich richten kann.

Dahinter steckt vielfach parteiliche Absicht. Sie hat nicht nur die Politik im Visier, sondern auch ihre einst privilegierten Vermittler. Die Vertrauenswerte für Volksvertretung und ihre Institutionen sind aufgrund des Dauerfeuers auf alle Mandatare längst im Keller. Die Zerstörung der Glaubwürdigkeit von Medien und Journalismus ist noch nicht derart gelungen. Doch für gleichermaßen autoritäre wie populistische Bewegungen sind sie das größte Hindernis und wichtigste Angriffsziel.

Die Politik will nicht Medien – sondern Öffentlichkeit.

 

Macht braucht Kontrolle. Kontrollverlust führt zur Ohnmacht – des Souveräns. Das Web 2.0 hat jeden Empfänger von Vielem zum möglichen Sender an alle erhoben. Doch diese Emanzipation der Adressaten ist eine Scheinqualifizierung. Denn die technische Befähigung zur Mitteilungsverbreitung benötigt keine Kompetenz zur Inhaltsgestaltung. Die massenhafte Mündigkeit zum Posten prallt auf das mehrheitliche Unvermögen, Fakten von Täuschungen, Daten von Irrtümern und Ansichten von Berichten zu unterscheiden. Das führt zum Paradoxon, dass viele Angriffe auf den Journalismus nicht einmal dem Journalismus gelten – weil das Angegriffene gar kein Journalismus ist. Zumindest nicht in jenem Sinne, dass Nachrichten Meldungen sind, nach denen man sich richten kann.

Journalismus ist Orientierungshilfe für die Öffentlichkeit.

Es braucht also vorerst eine Begriffsklärung, die über den Versuch hinausgeht, „einen Pudding an die Wand zu nageln“, wie der in der Schweiz ansässige deutsche Publizistik-Professor Stephan Ruß-Mohl die verzweifelte Suche nach einer Definition von Qualitätsjournalismus beschrieben hat. Der auch in Spanien lebende österreichische Medienforscher Andy Kaltenbrunner hingegen schreibt: „Wer Medien als zentrale Infrastruktur unserer Demokratie versteht, kann nicht nicht über Qualität im Journalismus reden.“

Eine von ihm geleitete Studie des Medienhauses Wien im Auftrag des Bundeskanzleramts kommt zum Schluss: „Journalismus ist die als Erwerbstätigkeit ausgeübte, regelmäßige Produktion und Verbreitung von Information, zum Zwecke der Orientierungshilfe für die Öffentlichkeit, in einem journalistischem Medium, das sich der Sicherung und Förderung der Demokratie verpflichtet hat und zur Gewährleistung dieses Anspruchs die journalistischen Prinzipien – wie Unabhängigkeit, Überparteilichkeit, Aktualität, Relevanz, Richtigkeit, Kontrolle, Allgemeinverständlichkeit – anwendet.“ Wissend um die Unzulänglichkeiten bei der Erfüllung dieses Auftrags folgt dann als etwas resignatives Fazit: „Das ist Journalismus. Wie gut oder schlecht die Verpflichtung zur Einhaltung journalistischer Standards im Gebrauch in der Praxis erfüllt wird, ist dann eine andere Frage – jene nach der Qualität im Journalismus.“

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Die sieben genannten Kriterien sind allerdings eine taugliche Checkliste für das Publikum, um vorerst selbst zu überprüfen, worum es sich handelt, bevor es gegen die Falschen zetert. Die Falschen sind immer öfter keine Journalisten, sondern Propagandisten. Denn die Politik will nicht Medien – sondern Öffentlichkeit. Denn Parteien wollen nicht Journalismus – sondern Zustimmung. Die vierte Gewalt im Staat ist weder legitimiert noch zementiert – lediglich akzeptiert. Die Digitalisierung erschüttert ihre Kontrollfunktion, weil sie territoriale Übergriffe ermöglicht.