chriften ändern sich mit jeder Generation. Sie spiegeln Geschmäcker und Moden wider“, sagt Markus Weithas, Obmann von WEI SRAUM. Designforum Tirol. Er leitet auch die regelmäßig stattfindenden Typowalks durch Innsbruck. Dabei werden je nach Thema bestimmte Schriftzüge an Geschäften oder Häuserfassaden besucht und die wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Hintergründe beleuchtet, die die jeweiligen Typo-Trends prägten.
Die Unterschiede stecken oft in feinen, für Laien fast unbemerkbaren Details. Wer sich aber darauf einlassen mag, wird eine bunte, facettenreiche Welt entdecken. „Zeichen sind Botschaften und selten Zufall“, ist Weithas überzeugt. Gute Typografie sollte vor allen Dingen zum Charakter des beschrifteten Objekts passen. Ob und wie das an folgenden zwölf Innsbrucker Fassaden gelingt, erklärt der Fachmann selbst.
1. MUSEUM Schrift am Ferdinandeum
Markus Weithas: Manche Schriften altern so gut, dass sie Jahrtausende überdauern und immer wieder neu interpretiert werden. Diese ist von der Capitalis monumentalis abgeleitet, die aus der römischen Antike stammt, nur das U ist moderner – die Römer verwendeten stattdessen ein V. Schrift und Objekt könnten nicht besser zueinander passen: An diesem Ort wird Antikes und Erhaltenswertes für uns und die Zukunft aufbewahrt. Die aktuelle Installation des Kunstprojektes „de-decode de-recode re-decode re-recode“ von Christoph Hinterhuber kontrastiert wunderbar mit dem alten Schriftzug – die Buchstabenfiguren sind von ihrer Art her beide über 2.000 Jahre alt.
2. Apotheke zum Tiroler Adler*
Apropos würdevoll Altern: Die Capitalis monumentalis im Apothekennamen trifft hier auf die Fraktur, eine Schrift, die in der Renaissance entstand. Aus heutiger Sicht wirkt erstere trotzdem moderner. Die gemeinsame Gestaltung ist aber harmonisch, die illustrierten Heilpflanzen passen zum Thema.
* ist übrigens eine Arbeit von Karen Gleissner, siehe Factbox.
3. Tiroler Heimatwerk
Kaum eine Schrift verkörpert die Blut-und-Boden-Ideologie so stark wie diese hart gebrochene Frakturschrift. Umgangssprachlich wird sie auch Schaftstiefelgrotesk genannt. Im Nationalsozialismus entstanden, war sie eine Neuinterpretation der Frakturschrift, die als urdeutsche Schrift galt. Ihre Vorlage stammt nämlich aus dem 16. Jahrhundert, die wieder auf den gotischen Schriften des 12. Jahrhunderts fußt. In Nord- und Westeuropa weit verbreitet, überlebte sie am längsten im deutschsprachigen Raum. Sie stand lange Zeit für „Deutschtum“. Bismarck soll mal gesagt haben: Deutsche Texte in lateinischer Schrift lese ich nicht. Verboten wurde sie ausgerechnet von den Nazis mit dem Bormann-Erlass vom 3. Jänner 1941. Ein Sonderfall in der Geschichte der Schrift.
4. Befreiungsdenkmal am Landhausplatz
Ich durfte hierfür die passende Typografie recherchieren und fand die moderne und doch unauffällige Schrift namens Peignot, entworfen vom französischen Plakatkünstler Adolphe Cassandre. Er lebte in Paris und den USA, war geboren in Russland, womit eine Verbindung zu den drei Befreiungsmächten gegeben war. Auch formal passt die Schrift perfekt: Die Strichstärken haben genau dieselben Proportionen wie der Grundriss des Denkmals.
5. Anton Götsch Mehlniederlage in der Kiebachgasse
Typo und Bild dieser liebevoll ausgeführten Relief-Arbeit erzählen die Geschichte eines bis heute erfolgreichen Innsbrucker Familienbetriebs. Bei Anton Götsch bekam man das Mehl der Rauchmühle. Das Wort „Mehlniederlage“ dafür ist ein Traum: Es ist das alte Wort für „Mehlniederlassung“ und war im 19. Jahrhundert üblich, so gesehen ein Gruß aus der Geschichte unserer Sprache. Die Gams kennt man von den Mehlpackungen von Rauchmehl.
6. Café Katzung
Die Schrift Rotis stammt aus der Feder von Typo-Gott Otl Aicher. Kritisiert wird sie, weil die einzelnen Zeichen zwar starke Charaktere seien, im Schriftbild aber nicht zusammenspielen würden. Aber: Wer Aichers Schrift verwendete, setzte damals bewusst ein politisches, NS-kritisches Statement. Er war verheiratet mit Inge Aicher-Scholl, Schwester von Sophie und Hans Scholl. Und später u. a. für das Design der Olympischen Spiele in München 1972 verantwortlich – eine heikle Angelegenheit, zumal die letzten deutschen Spiele 1936 stattfanden. So setzte er auf eine bunte und offene Gestaltung.
7. Der Brillenmacher in der Riesengasse
Was für ein Typo-Mashup: Das runde E kommt wohl aus der Buchschrift Unziale, die im 4. Jahrhundert nach Christus entstand und für Pergamenthandschriften und Bibelmanuskripte verwendet wurde. B, R und L erinnern leicht an Capitalis. Plötzlich kommt ein Minuskel h daher, was typografisch gesehen einfach witzig ist. Zusammenpassen tut’s trotzdem. Eine schöne Arbeit von Max Spielmann.
8. Eisgrotte
Dieser historische Gruß der Typomode, vielleicht aus den 60ern, zeigt, was Typo damals konnte – und erinnert auch ein bisschen an Geisterbahn. Darum ist er wiederum toll: Wenn Eis schmilzt, rinnt’s genau wie die Schriftzeichen, fast synästhetisch. Da kriegt man einfach Lust auf Eis.
9. Hörtnagl Feinkost
Der billig wirkende blau-orange Schriftzug ist ein Re-Design des alten Logos, das von Wilhelm Nicolaus Prachensky gestaltet wurde. Entstanden zur Zeit der ersten Computer zeigt er, wie Moden vergehen – in ein Zeichen eingedampft sind Slogan, Signet und Schriftzug. In der frühen Apple-Zeit war diese Schriftmischung „cool“, schnell und modern war die Devise. Das aufgefettete „Feinkost“ zeigt, was man mit dem Computer damals schon anstellen konnte. Die typografische Qualität des alten Prachensky-Logos wurde hier leider nicht übertroffen.
10. Tommy Hilfiger
Meiner Meinung nach eine fantastisch schöne Schrift, die nach wie vor weltweit verwendet wird: Die Gill Sans, benannt nach Eric Gill, Typograf und Bildhauer. Privat war Gill sexuell obsessiv, er hat Tagebuch über all seine Akte geführt, inklusive den inzestuösen Verhältnissen mit seinen beiden Schwestern. Er soll auch seine Töchter im Teenageralter missbraucht haben. In Zeiten von #metoo eine spannende Frage: Wäre das ein Grund, seine Schrift nicht zu verwenden?
11. Irish Pub Maria-Theresien-Straße
Schrift erzählt immer ihre typografische Geschichte mit: Unsere Kleinbuchstaben stammen ca. aus dem 8. Jahrhundert. Dass hier das R groß ist, erinnert an die Zeit der Entstehung von Groß- und Kleinschreibung. Was heute falsch wirkt, war damals richtig.
12. Alt Innsbruck
Hier werden dreierlei Schriften vermischt: Ein bisschen Capitalis beim V und ein bisschen Unziale. Dann kommen noch Elemente aus einer gebrochenen Schrift hinzu – die sich erst ab dem 12. Jahrhundert in der Gotik entwickelte. Die Mischung stimmt so überhaupt nicht, kommt aber trotzdem glaubwürdig rüber. Eine nette Erfindung.
Buchstabensalat
Karen Gleissner ist Grafikdesignerin und seit zehn Jahren Retterin von Schriftzügen, die aus dem Stadtraum verschwinden. Eine mitunter recht aufwändige Arbeit, zumal sie das nicht nur in Absprache mit den Eigentümern abwickelt, sondern oftmals auch vor logistischen Herausforderungen steht; eine Schrift einfach abzureißen, ist nämlich leichter, als sie behutsam abzumontieren.
Aufbewahrt werden sie in ihrem „Buchstabenarchiv“, wo lauter Zeugnisse für Innsbrucks Schriftkultur und Identität zu finden sind. „Auch bei uns wird die Welt immer globaler und austauschbarer. Wo früher vielleicht eine Bäckerei oder ein Handschuhfachgeschäft war, ist heute ein multinationaler Shop“, stellt sie fest.
„Wer aber auf Typos achtet, geht mit ganz anderen Augen durch die Stadt,“ ist sie überzeugt. Gleissner findet es schön, wenn alte Buchstaben und Schriften hie und da im urbanen Raum wieder sichtbar werden, wie bei „Urbantypes Innsbruck“, einer Ausstellung im WEI SRAUM 2017, oder im Innsbrucker Standesamt, wo die Schrift „Gemeinsam eins sein“ zu sehen ist.
Aktuell ist sie deshalb auf der Suche nach einer großen, leeren Wand in der Innenstadt für eine temporäre Installation. Bei Interesse bitte [email protected] kontaktieren.
Alle Infos zum nächsten Typo-Walk-Termin findet ihr unter:
www.weissraum.at/veranstaltungen