aus aus dem Alltag, rein in die Sonne“, steht in blau-gelber Schrift auf einer der vielen Postkarten mit motivierenden Sprüchen, die im Papelier-Workshopraum an die Wände geklebt worden sind. Auf den Tischen liegen schon Holzunterlagen und Stifte bereit, der Raum ist so niedlich dekoriert, dass man einen ganzen Film an Sofortbild-Polaroids im Nu verschießen könnte. Lucia Joglar, eine spanische Grafikerin in einem Innsbrucker Büro, trifft die letzten Vorbereitungen, um den Teilnehmern des Workshops „Handschriften und Lettering ausprobieren“ eine kreative Atmosphäre zu schaffen.
//Lettering ist im Prinzip die Kunst, Wörter und Sätze auf ansprechende Weise darzustellen, und obendrein der letzte Schrei unter offensichtlich zeitlich flexiblen Bloggern und Influencern. Meine Mission für den Kurs ist von Anfang an klar: Weihnachts- und Grußkarten bis zum Jahr 2025 zu kreieren.
Der Stift findet dich.
Als es noch zehn Minuten bis zum Kursbeginn sind, wird mir klar, dass ich das einzige männliche Wesen sein werde, welches an jenem Tag die Kunst des schönen Schreibens erlernen wird. Schließlich betritt doch noch ein junger Mann schnellen Schrittes die Werkstatt, fragt aber bloß, wer seinen Peugeot in der Ausfahrt geparkt hat. Niemand von uns. „Uns“, das sind zwei Grafikerinnen, eine Fotografin, die früher mal Grafikerin war und sich und ihre Linse nun aber auf „Menschen, die sich gern haben“ fokussiert, ein Mutter-Tochter-Duo, zwei mutmaßliche Studentinnen und eine Ergotherapeutin.
Herausforderung Nummer eins auf dem Weg zum schönen Buchstaben ist das richtige Werkzeug. Nach den ersten Versuchen erkennt man, dass man sich den Stift nicht selbst aussucht. Ähnlich wie bei Ollivanders, dem magischen Zauberstabgeschäft aus Harry Potter, ist es ein japanischer Stift, präzise, spitz zusammenlaufend und einen satten Grünton von sich gebend, der mich auserkoren hat, mit ihm zu schreiben – und nicht umgekehrt.
Der Spruch meines Herzens.
Der Anfang ist hart. Während die Grafikerinnen mir gegenüber bereits über das perfekte „E“ debattieren, versuche ich mich zu erinnern, wie man ein „A“ schreibt. Von „Frohe“ geschweige denn „Weihnachten“ bin ich noch meilenweit entfernt. Lucia legt uns schon zu Beginn nahe, uns einen Spruch auszusuchen, den wir schließlich auf eine Postkarte übertragen sollen. Frustriert blättere ich durch eine Ausgabe des „flow“-Magazins, einem knallbunten, vorsätzlich inspirierenden Hipster-LSD-Trip in Papierform. „Europäer haben Uhren, Afrikaner haben Zeit”, lautet ein Spruch darin, der latent rassistisch rüberkommt. Auch „Rise and Shine“, ein Spruch an der Wand, klingt zu martialisch, um ein harmloses Stück recycelten Kartons zu upcyclen. Schließlich entscheide ich mich für „Glück beginnt in dir“.
Nach dem Herumexperimentieren mit diversen Schriften stürze ich mich in mein Erstlingswerk. Wenige Minuten später bin ich im Flow, verstehe den Titel des obskuren Magazins vor mir, fühle mich wie ein Mönch im Mittelalter, der halb in Meditation, halb in reine Wonne versunken auf seinem Pult sitzt und anstatt der Genesis postindustrielle Selbstfindungs-Parolen abmalt. Euphorie steigt in mir auf, ein Ehrgeiz, den ich noch nie verspürt habe. Ich träume davon, diesen Spruch über meinen Schreibtisch zu hängen, ja ihn vielleicht mit natürlich abbaubarer Bio-Tinte auf eine Kaffeetasse zu drucken.
Yoga für Bequeme.
Es ist vollbracht. Meine verschwitzten und zittrigen Finger lassen den Stift fallen. Benommen schaue ich auf. „Sehr … nett”, sagt die Fotografin, während ich an die sprichwörtliche Anverwandte dieser Redewendung denke. Das Ergebnis ist nicht gerade überragend, doch: Die Arbeit macht tatsächlich Spaß.
Die Freude an der Sache ist nur ein Grund, weshalb es die Papelier-Workshops in der Bäckerei gibt. Seit zwei Jahren veranstaltet Lucia mit ihrer Grafikerkollegin Noelia Vidal, die schon etwas früher damit begonnen hat, Kreativworkshops. Als Grafikerinnen kam für die beiden das Arbeiten mit Stift und Papier im Beruf zu kurz. Heutzutage beschäftige man sich in der Grafik meist zuerst mit dem Computer, bevor man sich das Papier aussuche. Um sich und anderen in der Freizeit die persönliche Handarbeit näherzubringen, veranstalten sie in der Innsbrucker Bäckerei mehrmals jährlich Bastel-Workshops zu mitunter saisonalen Themen.
//Was der Kunst des Letterings neben der kreativen Ausdrucksform vor allem zugutegehalten werden kann, ist die Entspannung, die sich dabei einstellt. Yoga für Faule, meinetwegen Bequeme, könnte man es nennen. Der Wunsch zum Perfektionismus stellt sich mit der Zeit selbst bei den ungeduldigsten, unperfektionistischsten Menschen, allen voran mir, ein. In zehn Jahren sehe ich mich jetzt in einer kleinen ehemaligen Schmiede, die ich zur Manufaktur umfunktioniert habe und in der ich seelenruhig Tag für Tag Turnbeutel, Kaffeetassen, Kalender und Weihnachtskarten (die ich im Workshop dann doch nicht fertig gebracht habe) beschreibe und bedrucke. Ich kann das jetzt ganz offen sagen, denn ich weiß: „Glück beginnt in dir.“