nd the winner is… the ORF.“ Das weitaus größte Medienhaus im Lande ist der heimliche Gewinner des längsten Tages der Zweiten Republik, wie Samstag, der 18. Mai 2019, schon bezeichnet wird. Weil kaum jemand sich erinnern kann, seit dem 11. September 2001 einmal so lange ununterbrochen ferngesehen zu haben. Und wie damals Armin Wolf gelang diesmal Tobias Pötzelsberger per Moderationsmarathon die Chancenergreifung im Sinne von „a star is born“.
//Doch glücklicher noch war wohl Alexander Wrabetz, dem schon vor der verzögert souveränen Situationsbewältigung durch seine TV-Info eine unverhoffte Atempause beschieden wurde. Seit Freitag, kurz nach 18 Uhr, war jedem ORF-Beobachter klar: Der seit Monaten unter Dauerbeschuss der FPÖ stehende, seit fast zwölfeinhalb Jahren amtierende Generaldirektor wird erneut seinem Ruf als Überlebenskünstler gerecht. Das könnte der größte anzunehmende Unfall für die Weiterentwicklung des Unternehmens sein.
//Denn die tadellosen Informationsleistungen und Rekordquoten zum historischen blauen Showdown entbinden aber weder den ORF noch seine medialen Mitbewerber von Hausaufgaben, die sich exemplarisch schon rund um die Fälle Gabalier und Böhmermann im Mai 2019 gestellt haben.
Facebook und Comedians.
In den USA löst einerseits Facebook das Lokalfernsehen als wichtigste Nachrichtenquelle ab und wirkt andererseits manch Late Night Comedian politisch einflussreicher als viele Journalisten. Die erstgenannte Entwicklung lässt sich in Österreich an der Publikumsstruktur von „Zeit im Bild“, „ZIB 2“ und auch „Bundesland heute“, der im Normalfall meistgesehenen TV-Sendung des Tages, ablesen. Die Zuschauer des heimischen Lokalfernsehens haben das Durchschnittsalter 60. Der zweite Trend darf angesichts der Popularität von „Willkommen Österreich“ bzw. Stermann & Grissemann vermutet werden. Das führt letztlich dazu, dass Politik und Medien immer noch stärker auf Infotainment abzielen, dessen Rahmenbedingungen sich wiederum durch den Turbo Social Media rasant verändern.
//Die Aufstiegsphase von Sebastian Kurz und die ausklingende Ära von Angela Merkel vollziehen sich nicht mehr in jener Welt, in der einst Wolfgang Schüssel und Gerhard Schröder für den Ernst des Lebens zuständig waren, während Schürzenjäger und Harald Schmidt für Unterhaltung sorgten – und sei Letzterer auch noch so politisch gewesen.
//Diese Identifikationsfiguren von damals in einem Atemzug zu nennen, ist grundsätzlich so falsch wie heute Andreas Gabalier und Jan Böhmermann in einen Topf zu werfen. Doch anders als ihre Genre-Ahnen sind der selbst ernannte Volks-Rock‘n‘Roller und der oft verkannte Grenzwert-Satiriker Themen der politischen Akteure und Berichterstatter. Diese Gemeinsamkeit gibt dem Unterhaltungskünstler wie dem Intellekt-Schmähführer einen übermäßigen Stellenwert, der zugleich als Armutszeugnis für Mandatare wie Journalisten wirkt.
Hätte dieser Armin Wolf das Gespräch mit Böhmermann geführt, wäre allerdings niemand auf die Idee gekommen, sich zu distanzieren.
Interview und Plauderei.
Dass Kurz für den von Faschismus faselnden Gabalier und dessen bei einer 1.-Mai-Feier der Grazer SPÖ unerwünschte Lieder die Freiheit der Kunst beschwört, ist pures Kalkül auf Wählerzielgruppen. Wenn es die Österreich-Beschimpfung von Böhmermann aus dem Kulturspätabend des ORF in die Politikressorts vieler Medien schafft, ist das die endgültige Pervertierung eines oft missbrauchten Spezialisten-Zitate-Journalismus. Nämlich dann, wenn der Experte bloß vertritt, was der Redakteur nicht sagen kann, darf oder will – und deshalb ausgesucht wurde.
//Der Einlass Böhmermanns von der kulturellen in die politische Arena ist ein Sonderfall dieses Missstands: Der Satiriker balanciert virtuos zwischen den Rollen als Akteur und Experte. Auch das unterscheidet ihn von Gabalier, der diese Kapazität trotz des kommunikativen Ritterschlags, einem inhaltlichen Fehltritt durch Kurz, nicht hat.
//Wer Berichte über das umstrittene Österreich-Gespräch mit Böhmermann sucht, findet sofort, dass dies ein ORF-Interview war. Auch Moderatorin Clarissa Stadler, die sich im Namen des Senders von Aussagen des Brachial-Satirikers distanziert hat, scheint in vielen Artikeln auf. Deutlich schwieriger lässt sich der Interviewer recherchieren. Sein Name fehlt durchwegs. In der am Welttag der Pressefreiheit, drei Tage vor Ausstrahlung der Sendung verschickten Programmankündigung des „Kulturmontags“ wird der Beitrag nicht einmal erwähnt.
//Das alles sollte stutzig machen in einem Land, wo jedermann möchtegern-kundig den Interview-Stil eines seiner profiliertesten Journalisten diskutiert. Hätte dieser Armin Wolf das Gespräch mit Böhmermann geführt, wäre allerdings niemand auf die Idee gekommen, sich zu distanzieren. Denn die Distanz wäre klar erkennbar gewesen. Doch Film-Ressortleiter Christian Konrad fragte mit den Mitteln der kenntnisreichen Kultur-Plauderei – Stichworte ohne Nachhaken. Ein fataler Fehlpass zu einem politischen Aktivisten in vollem Sturmlauf.
Polit-Panne und Medienfehler.
Wer Clarissa Stadler oder TV-Kulturchef Chef Martin Traxl nun für ihre Vorsicht schilt, handelt ebenso unfair, wie jene unredlich agieren, die den ORF deshalb der Selbstzensur bezichtigen. Der Ausgangspunkt der Affäre ist eine handwerkliche Unzulänglichkeit, die in aufrichtiger Diskussion nicht verschwiegen werden darf: Böhmermann derart zu befragen, wirkte so wie das Gespräch eines Sportreporters mit Putin. Der Rest ist kein Problem von Selbstzensur, sondern ein Mangel an Fehlerkultur. Letzteres gilt für den ORF wie für Kurz, dessen Gabalier-Sager das richtige Wort zum falschen Anlass war.
//Doch schwerer als eine Polit-Panne, die wohl schon unter Gewohnheitsrecht fällt, wiegt das gemeine Medienversagen in Folge des Böhmermann-Gesprächs. Permanentes Zitieren der Satiriker am falschen Ort ist Selbstbeschädigung. Denn Satire darf alles, Journalismus nicht. Schon sein Hang zum Aktivismus ist eine Glaubwürdigkeit kostende Grenzüberschreitung.
//Wer Hofnarren den Job machen lässt, den der Journalismus in anderer Weise und auf unterschiedliche Art erledigen soll, akzeptiert, dass es einen Hof und somit Herrschaft gibt. Demokratie ist etwas anderes. Sie benötigt neben Pressefreiheit den sorgsamen Umgang damit. Spekulation auf 840.000 Gabalier- und noch mehr Böhmermann-Fans auf Facebook sowie zwei Millionen Follower des Satirikers auf Twitter sind dafür falsche Leitlinien. Die permanente Überbewertung der Quote gegenüber der Qualität zieht Politik und Medien in einen Strudel, aus dem nur die Abwendung eines qualifizierten Publikums sie noch herausziehen kann.