ulia Rosa Peer hat viele Talente. Die gebürtige Zillertalerin war bereits am Tiroler Landestheater zu sehen, in der freien Szene, aber auch vor der Kamera in TV-Produktionen wie „Geteilte Heimat”, „Das Jüngste Gericht“ oder „Der Winzerkönig“. Bevor sie 2005 unter 1.000 Bewerberinnen für die Rolle der Mona in „In drei Tagen bist du tot“ ausgewählt wurde, war sie bereits in der Filmbranche tätig, etwa am Berliner Set von „V for Vendetta”. „Ich war mal ein Gothic Girl, das erste muslimische Gretchen, Nannerl Mozart, Terroristin und Traumforscherin“, ergänzt sie noch weitere abwechslungsreiche Performances. Dass sie so unterschiedliche Rollen spielen durfte, war ihr Glück, ist sie überzeugt: „Ich bin neugierig. Ich verlasse gerne meine Komfortzone und versuche, aus allen Aufgaben immer das Bestmögliche rauszuholen. Dank eines gewonnenen Stipendiums konnte sie 2012 auch für eine zweijährige Schauspielausbildung am William Esper Studio nach New York ziehen. „Dort lernte ich endlich Comedy zu spielen“, sagt sie grinsend.
//Heute lebt sie in Berlin und Innsbruck, ist nicht nur Schauspielerin, sondern auch Autorin, Moderatorin und Synchronsprecherin. Und als Linguistin auch ein großer Fan von Sprachen: „Sie sind ein Zugang zu anderen Kulturen und Gesellschaftsschichten“, erklärt die 33-Jährige. „Jede Sprache gibt uns einen neuen Blick auf das Leben, zeigt uns neue Facetten von uns selbst und auch in unserer Muttersprache erfinden wir uns immer wieder neu. Da bin ich ein ziemlicher Nerd und bemühe mich, in meinen Rollen sprachliche Feinheiten herauszuarbeiten“, fährt sie enthusiastisch fort.
„In meinem Beruf will ich mich auch für Werte einsetzen, die ich persönlich vertrete.“
Julia Rosa Peer, Schauspielerin
Für die deutsche Synchronfassung der Amazon-Serie „The Widow“ und Guy Ritchies „King Arthur” hat sie sich beispielsweise einen französischen Akzent zugelegt. Ihr nächstes Projekt? „Eine Nebenrolle in ‚Die Toten von Salzburg‘, die Folge wird den Titel ‚Schwanengesang‘ haben.“ Außerdem war sie vor ein paar Monaten in Guatemala unterwegs, wo sie ein Theaterfestival an einer öffentlichen Schule realisiert hat. Julia Rosa Peer ist also eine offene, angenehm bodenständige Person. Das mit dem verlassen der Komfortzone glaubt man ihr aufs Wort.
Mission mit Haltung.
Als sie erfuhr, dass Eric Marcus Weglehner an einem Filmprojekt über den Tiroler Mörder und Sexualstraftäter Guido Zingerle arbeiten würde, kontaktierte sie den jungen Regisseur, um mehr über das Projekt zu erfahren (s. Factbox für alle Infos zum Film). Darauf bot er ihr die weibliche Hauptrolle an, die sie prompt annahm: „Ich habe das Gefühl, dass es Bedarf für Filmstoffe gibt, die sich mit zeitgenössischen Inhalten in Tirol auseinandersetzen“, stellt sie fest. Dass sie mit der Rolle der Ida Hofer auch die Missbrauchsthematik einbringen konnte und wollte, verwandelte ihre schauspielerische Mitarbeit in eine regelrechte Mission: „In meinem Beruf will ich mich auch für Werte einsetzen, die ich persönlich vertrete. Ich will starke Frauen spielen, die ich auch im echten Leben sehen möchte“, sagt sie. Eine Botschaft, die für Peer stärker im Vordergrund steht als ihre persönlichen Karriereambitionen. Es sei nämlich wichtig zu überlegen, wie man welche Art von Geschichten erzählt und wie diese ein Publikum und die kommenden Genera-tionen prägen.
„Bestimmte Stereotype sind tief in uns drin, weil sie uns immer wieder erzählt wurden“, gibt sie zu bedenken. Und verweist auf Frauenfiguren, die nur passive Rollen verkörpern: „Ich will vorhandene Erzählweisen sicher nicht als komplett falsch darstellen, aber hinterfragen. Und es geht auch nicht darum, eine endgültige Meinung zu bilden, sondern Denkprozesse anzuregen.“ Das Ganze freilich auch im Sinne der #MeToo-Bewegung, die laut Peer erst gezeigt hat, wie viel Bewusstseinsbildung und Arbeit der Gesellschaft noch bevorstehen. Lauter Aspekte und Überlegungen, die in ihre Performance als Ida Hofer in „Zingerle“ miteinflossen und diese zu Peers wichtigster Rolle machten.
Empathy is the Key.
Ein Film über einen Frauenmörder, der zudem zum Großteil auf wahren Begebenheiten basiert, ist auf den ersten Blick schwer mit emanzipatorischen Anliegen vereinbar. In „Zingerle“ sind auch Gewaltszenen mit Provokationspotenzial zu sehen. In Kombination mit gefühlvolleren Momenten dienen diese aber auch einer mehrdimensionalen, realistischen Darstellung des Täters.
//Die Figur der Ida Hofer ist im Gegensatz zum Rest der Geschichte fiktional, wurde aber als dringend notwendiger Gegenpol zum Täter eingebaut. Um diese Frauenperspektive glaubhaft einzubauen, hat sich Peer sehr intensiv mit dem Thema beschäftigt, lange und offen mit Psychologinnen und Betroffenen gesprochen. Dazu sagt sie: „Wir sind vielfach der Meinung, wir könnten Täter-Opfer-Beziehungen verstehen. Allerdings ist diese viel komplexer, als wir glauben. Die Wissenschaft setzt sich damit zwar auseinander, aber davon kommt kaum was im nicht akademischen Diskurs an.“ Ihren kleinen, aber hoffentlich wertvollen Beitrag will Peer also mit Ida leisten, die im Film von ihrer Gewalterfahrung berichtet und einen emanzipatorischen Twist reinbringt. Die Figur stellt die Dimension ihres Leidens klar und lässt sich trotzdem nicht auf eine Opferrolle reduzieren, hofft Peer: „damit man im realen Leben genauer hinhört, wenn Betroffene ihre Geschichte erzählen.“
„Ich bin neugierig. Ich verlasse gerne meine Komfortzone und versuche, aus allen Aufgaben immer das Bestmögliche rauszuholen.“
Julia Rosa Peer, Schauspielerin
„Zingerle“
Das 40-minütige Drama zeigt die Geschichte des Sexualverbrechers und Mörders Guido Zingerle (Roland Silbernagl) im Tirol und Südtirol der 1950er-Jahre. Der Kriminalfall war damals einzigartig und schockierte die Öffentlichkeit sehr. „Sei brav, sischt holt di da Zingerle“, lautete noch Jahre später ein äußerst derber, aber gängiger Spruch, um unartige Kinder einzuschüchtern.
Der Film dringt tief in Guido Zingerles Innerstes und versucht, ein Psychogramm des Täters zu zeichnen.
Der Film feierte am Manchester Film Festival seine Weltpremiere und wird am 2. Juni um 19.45 Uhr erstmals in Österreich gezeigt, und zwar beim IFFI im Leokino. Julia Rosa Peer wird auch anwesend sein und anschließend Fragen aus dem Publikum beantworten.
Mehr Infos unter www.iffi.at oder www-zingerle-film.at