eine besten Freunde sind Ausländer!“, entgegnet der Angeklagte Peter D. auf die Frage der Richterin, ob er denn glaube, dass eine kriminelle Tat von einem Ausländer schlimmer sei als eine von einem Einheimischen. Nein, das sei natürlich nicht der Fall. Seinen „Leserbrief“ habe er in einem Anfall von Zorn geschrieben. Er wollte damit niemanden beleidigen oder gar zu einer Straftat aufrufen, betont er. Außerdem hätte er nie gedacht, dass das jemand ernst nehmen könnte.
//Im Saal 204 des Landesgerichts Innsbruck steht an einem Mittwochnachmittag im April der 48-jährige Peter D. vor Gericht. Er wohnt in Innsbruck, lebt von Sozialhilfe und ist seit zwei Tagen geringfügig bei einer Sicherheitsfirma angestellt. Peter D. ist geschieden und hat einen Sohn.
Innsbrooklyn.
Was aber ist geschehen? Als Peter D. im September letzten Jahres vor seinem Computer sitzt, stößt er auf der Facebook-Seite „Innsbruck Intern“ auf einen Artikel der Kronenzeitung mit dem Titel „Welle der Gewalt im Innsbrucker Nachtleben“. Der Text ist zu diesem Zeitpunkt neun Monate alt und protokolliert lediglich „Gewaltexzesse“ in Innsbruck, die in den vorangegangenen Wochen von Ausländern begangen worden sein sollen: Ein Staatenloser stach auf einen Südtiroler ein, ein Trio verprügelte einen Tiroler auf brutalste Weise in Wilten, drei „Schwarzafrikaner“ beraubten einen Einheimischen, ein Serbe fuchtelte vor einem Lokal mit einer Pistole herum und zehn Männer prügelten auf einen 22-Jährigen ein.
//Geht man leichtgläubig an den Text heran, gewinnt man den Eindruck, dass Innsbruck ausschließlich aus No-go-Areas besteht und dass Snoop Dog und Notorious B.I.G. hier durchaus hätten Karriere machen können. Peter D. kommentiert den Artikel.
„Meine besten Freunde sind Ausländer!“
Peter D.
Herr der Sinne.
Einige Wochen später stehen Beamte der Kriminalpolizei vor seiner Tür: Ob er der besagte Peter D. sei? Ob er diesen Kommentar verfasst habe? Ob er wisse, dass dies eine Straftat darstelle?
//„Ich hatte ganz vergessen, dass ich das geschrieben habe“, sagt Peter D. Er sei damals durch eine schwere Zeit im Leben gegangen, meint er – habe mit einer Krankheit zu kämpfen gehabt und am besagten Tag Alkohol konsumiert. Dass das in Verbindung mit Medikamenten nicht die klügste Idee war, wisse er, habe das aber zu dem Zeitpunkt nicht reflektiert: „Ich war einfach nicht Herr meiner Sinne“, sagt Peter D.
Aber, aber ...
Für schwere Situationen habe sie durchaus Verständnis, sagt die Richterin. Dafür, dass er aber nicht Herr seiner Sinne gewesen sein soll, erscheint sein Kommentar aber nicht so wirr: Keine Ausrufezeichen mit reingerutschten 1ern, keine übertriebene Verwendung von Großbuchstaben etc. „Ich kann nur nochmal sagen, dass ich nichts gegen Ausländer hab – das war der Alkohol.“
//Und was ist mit der nahezu fehlerfreien Rechtschreibung, möchte die Staatsanwältin wissen? Peter D. habe nämlich lediglich das Adjektiv „kriminelle“ groß geschrieben und das Wort „Gsindel“ mit langem I. Ansonsten sei sein Kommentar fehlerfrei. Wie er sich das erkläre? Das mit der Rechtsschreibung habe er einfach drauf, meint er, selbst wenn er sturzbetrunken sei.
„Normalerweise
bin ich der feinste Mensch.“
Peter D.
Und selbst so?
Die Richterin lässt aber auch jetzt nicht locker: „Herr. D., ich sehe in Ihren Akten, dass Sie selbst vorbestraft sind.“ 2007 ist Peter D. wegen Körperverletzung und im selben Jahr wegen Unterlassung von Unterhaltszahlungen verurteilt worden, 2010 ein weiteres Mal wegen Letzterem. Ob es ihm denn nicht komisch vorkomme, andere Leute wegen Kriminalität zu verurteilen, wenn er selbst keine weiße Weste habe. Nein, denn seine Straftaten haben eine Vorgeschichte: Bei der Körperverletzung beispielsweise habe er aus Notwehr gehandelt. Sein Vorstrafenregister sage nichts über seinen Charakter aus: „Normalerweise bin ich der feinste Mensch“, sagt Peter D. „Schade“, meint er, „dass mein bester Freund heute nicht da ist. Er ist Ausländer und könnte bestätigen, dass ich ein Korrekter bin.“ Die Richterin weiß nicht genau, was sie darauf sagen soll. Sie fragt, ob sonst noch Fragen offen seien. Nein.
Hitlervideo.
Abschließend kommt es zu einer „Diskussion“ über Humor:
//Richterin: „Auf Ihrem Handy ist ein Hitlervideo gefunden worden, wie erklären Sie sich das?“
//Peter D.: „Ich habe das Handy der Polizei freiwillig gegeben. Ich wusste gar nicht, dass da so ein Video drauf ist.
Das hat mir irgendwann einmal jemand als Witz geschickt. Das war halt lustig.“
Richterin: „Aber entschuldigen Sie mal. Hitler ist doch nicht lustig, nur damit wir uns verstehen.“
//Peter D.: „Ja, genau! Entschuldigung, es ist natürlich nicht lustig.“
Plädoyers.
Staatsanwältin: Es gibt berechtigte Zweifel, dass Peter D. nicht Herr seiner Sinne war. Der Kommentar „Alle umlegen, diese ausländischen Kriminellen Schweine. In ein Container, ab nach Italien und ins Meer versenken. Fockengsiendl grausligs.“ wirkt einfach nicht konfus. Auch grobe Rechtschreibfehler sind, wie schon angemerkt, nur bei zwei Wörtern festzustellen. Daher plädiere sie auf schuldig und legt dem Angeklagten nahe, am Programm „Dialog statt Hass“ teilzunehmen.
//Peter D. hat auch am Ende keine Einsicht: „Im Zweifelsfall sollte ich freigesprochen werden.“ Er sei sich keiner Schuld bewusst, da er das nicht so gemeint habe und außerdem unter Alkoholeinfluss gestanden sei.
//Die Richterin spricht Peter D. frei. Die Staatsanwältin geht in Berufung.
„Wie man Meinungen äußert“
6020 hat mit Kristin Henning vom Verein Neustart über Hass im Netz gesprochen.
Sehr geehrte Frau Henning, was macht der Verein Neustart? Henning: Neustart leistet Sozialarbeit im Auftrag der Strafjustiz. Dazu gehören beispielsweise Bewährungshilfe und elektronisch überwachter Hausarrest. Unter anderem realisieren wir das Projekt „Dialog statt Hass“ bei Personen, die in sozialen Medien „verhetzt“ haben.
Wer ist der durchschnittliche Hassposter? In unserem Projekt waren die Klientinnen und Klienten zu 70 Prozent männlich, Österreicher, sozial gut integriert und mit großer Wahrscheinlichkeit älter als 40 Jahre. Motiv für viele war, dass Sie Angst um gesellschaftliche Entwicklungen haben. Ihnen war auch nicht bewusst, dass sie mit ihrem Posting selbst eine Straftat begingen. Die Verhetzung richtete sich meistens gegen Flüchtlinge und Muslime.
Was erfährt der Verurteilte beim Projekt „Dialog statt Hass“? Erstens versuchen wir zu verdeutlichen, worin das Vergehen besteht: Es war schließlich nicht die Meinungsäußerung, die strafbar war. In einem zweiten Schritt arbeiten wir an der Medienkompetenz und klären die Frage, wie soziale Medien mit ihren Algorithmen funktionieren bzw. wie Informationen überprüft werden können. In einem dritten Schritt erarbeiten wir, wie man seine Meinung äußern kann, ohne andere zu beleidigen oder zu verhetzen.
Ist Hass im Netz ein großes Problem? Bei unserem Projekt haben wir seit Anfang 2018 in Tirol insgesamt 15 Personen betreut. 2017 gab es österreichweit 130 Verurteilungen. Auch wenn dies quantitativ geringe Zahlen sind, so nimmt die Polarisierung der Gesellschaft und Hasspostings aber immer weiter zu.
Zur Person:
Dr. Kristin Henning
Ansprechpartnerin in Tirol bei NEUSTART für allgemeine Fragen, zuständig für Fallzuweisung und Öffentlichkeitsarbeit.